Finanzbildung

Willkommen im Land der Ahnungslosen

Die Bundesregierung bereitet eine Finanzbildungsstrategie vor, um die Menschen fitter im Umgang mit Geld zu machen. Doch können auch Finanzberater davon profitieren?

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14:11 Uhr | 03. November | 2023
Finanzwissen

Fehlendes Finanzwissen kostet einer Allianz-Studie zufolge einen durchschnittlichen Haushalt in Deutschland jährlich 2.300 Euro.

| Quelle: Nauval Wildani

Sind Finanzberater schuld am fehlenden Finanzwissen der Bürger? Profitieren sie sogar von der allgemeinen Ahnungslosigkeit in Sachen Geld? Das sind gewagte Behauptungen. Bildung findet schließlich in den Schulen statt – und in den Familien mit ihrer Vorbildfunktion. Andererseits gibt es in Deutschland mehr als 200.000 Versicherungsvermittler und Finanzanlagenberater, die Tag für Tag ihre Kunden über Geldanlage und Versicherungen beraten. Bleibt von dem Gesagten nichts hängen?

Nichtwissen fordert Berater

procontra hat Johannes Treu, Wirtschaftsprofessor an der IU Internationale Hochschule in Erfurt, dazu befragt. Er beginnt seine Ausführungen so: „In einer idealen Welt würden Finanzberater ihre Kunden bei der Entscheidungsfindung unterstützen und die Lücken in deren Finanzwissen schließen„. Die Berater würden Kunden dabei helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen, die ihren Anforderungen und Zielen entsprechen. „In diesem Fall wäre das Nichtwissen der Kunden eine Herausforderung für den Berater“, sagt Treu wohl auch mit Blick auf den notwendigen Zeitaufwand.

„Andererseits„ fährt Treu fort, „können Finanzberater in Fällen von asymmetrischer Informationsverteilung einen großen persönlichen Vorteil aus der Situation ziehen. Sie könnten versucht sein, ihr größeres Wissen zu nutzen, um Produkte zu verkaufen, die für sie lukrativer sind, aber nicht unbedingt im besten Interesse der Kunden.“

Vertrauen ist das A und O

Aber wäre so ein Verhalten realistisch? Treu jedenfalls ist der Auffassung, dass das Ausnutzen eines Wissensvorsprungs für Finanzberater auf Dauer „kein nachhaltiges Geschäftsmodell sein kann, da es das Vertrauen untergräbt, das für die Beziehung zwischen Finanzberatern und ihren Kunden essenziell ist.“

Analoges sagt – schon von Berufswegen – ein Sprecher des Verbandes BDVM: „Makler sind treuhänderische Sachwalter der Kunden und somit prädestiniert dafür, über eine Beratung in deren besten Interesse die finanzielle Bildung ihrer Kundschaft nachhaltig zu fördern.„ Dem Sprecher zufolge profitieren Makler von einer besser informierten Kundschaft, die dann ja auch ihre finanziellen Lücken kenne. „Je mehr Bildung vorhanden ist, desto besser kann der unabhängige Versicherungsmakler differenziert über mögliche Absicherungs- und Vorsorgeoptionen im Markt beraten.“

Bundesregierung hat einen Plan

Mehr Finanzwissen für alle Bürger hat sich jetzt auch die Bundesregierung auf die Fahne geschrieben. Aktuell basteln das Finanz- und das Bildungsministerium an einer entsprechenden nationalen Strategie, nachdem die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) wiederholt darauf hingewiesen hat, dass Deutschland das einzige Industrieland ohne nationale Finanzbildungsstrategie sei. Das wollen Christian Lindner und Bettina Stark-Watzinger jetzt ändern. Weil Bildung Ländersache ist, bleiben ihren Ministerien allerdings nur Appelle und der Aufbau einer zentralen Finanzbildungsplattform, welche Bildungsangebote bündelt.

Dass Bedarf dafür besteht, belegen Studien regelmäßig; allein in den vergangenen zwölf Monaten zum Beispiel von der OECD, der Finanzaufsicht BaFin, der Auskunftei Schufa, der Postbank, dem Versicherer Allianz sowie von der IU Internationale Hochschule unter Leitung von Professor Treu. Beispielhaft für hier nur das Ergebnis der IU-Kurzstudie: Von einem maximal möglichen Gesamtwert von 20 erreichten die befragten 1.202 Personen zwischen 16 und 65 Jahren im Durchschnitt 10,7 Punkte. „Es besteht noch Luft nach oben“, resümiert Treu.

TikTok als Ratgeber

Bemerkenswert ist, dass laut IU-Umfrage fast 40 Prozent der Menschen unter 25 Jahren soziale Medien wie Instagram, TikTok und YouTube nutzen, um sich in Finanzfragen zu informieren. Und trotz des zum Teil ausbaufähigen Finanzwissens würden Personen am ehesten ihren eigenen Entscheidungen trauen (82 Prozent), vor der Familie (60 Prozent), Freunden (44 Prozent) und Finanzberatern (39 Prozent). Mehrfachnennungen waren hier erlaubt. Dazu Treu: „Wer sich selbst, der Familie oder Influencern zu stark vertraut, geht ein unnötiges Risiko ein.“ Auch deshalb seien dringend mehr Aufklärung und Bildungsinvestitionen notwendig.

Die Quellen des Finnanzwissens

In die gleiche Richtung weist ein Ergebnis der erwähnten Allianz-Studie: Demnach koste fehlendes Wissen einen durchschnittlichen Haushalt jedes Jahr 2.300 Euro. „Geringe Finanzkompetenz tut richtig weg„, sagt Ludovic Subran, Chefökonom der Allianz. Und weiter: „Über lange Anlagezeiträume, zum Beispiel beim Sparen für den Ruhestand, kann das buchstäblich ein Vermögen kosten.“ Die gute Nachricht sei: Kluge Finanzentscheidungen zu treffen, sei keine Raketenwissenschaft. Wenn man sich Grundkenntnisse aneigne, habe man deutlich mehr Geld im Portemonnaie. 

Wirtschaft startet Kampagnen

Aus der privaten Wirtschaft kommen seit geraumer Zeit Bildungsinitiativen. Aktuell hat die Allianz eigenen Angaben zufolge eine Online-Plattform für finanzielle Allgemeinbildung eingerichtet. Dort fände man leicht verständliche Informationen, könne interaktive Werkzeuge nutzen und sich für ein kostenlose Coaching durch Experten der Allianz anmelden. Das Problem: Das über die Allianz-Homepage zu erreichende Tool gibt es nur in Englisch. „Leicht verständlich“ ist das für viele Nutzer nicht.

Neu sind Videos des Vermögensverwalters Amundi für junge Leute zum Thema Altersvorsorge, die über Social-Media-Kanäle ausgespielt werden. Vom Versichererverband GDV gibt es seit langem die Initiativen 7 Jahre länger und Stadt.Land.unter. Die Kampagnen zielen stets auf eine bestimmte Zielgruppe. Für eine ganzheitliche Beratung sind unabhängige Finanzberater wichtig. Schuld am fehlenden Finanzwissen sind sie nicht. Laut Treu gibt es dafür mehrere Gründe, vor allem mangelnde schulische Bildung und keine offene Diskussion über Geld im sozialen Umfeld.