Interview

"Wir haben keine Chance, die PKV-Versicherten vor diesen rechtswidrigen Wegen zu warnen"

Der procontra-Bericht über Schlupflöcher zur Rückkehr in die GKV hat hohe Wellen geschlagen. Wir sprachen hierüber mit Stefan Reker, Geschäftsführungsmitglied beim Verband der Privaten Krankenversicherung.

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12:08 Uhr | 12. August | 2024
Stefan Reker, Geschäftsführungsmitglied und Kommunikationschef beim Verband der Privaten Krankenversicherung

Stefan Reker, Geschäftsführungsmitglied und Kommunikationschef beim Verband der Privaten Krankenversicherung

| Quelle: PKV-Verband

procontra: Wie das Bundesgesundheitsministerium gegenüber procontra erklärte, will man dort nun das Schlupfloch für ältere PKV-Versicherte schließen, über die Gründung eines Scheingewerbes zurück in die GKV zu kommen. Was wissen Sie über diese Pläne und den vorgesehenen Zeitraum? Und wie bewerten Sie diese Ankündigung aus Sicht Ihres Hauses?

Stefan Reker: Wir kennen dazu bisher nur das Statement der Ministeriums-Pressestelle gegenüber procontra. Konkrete Entwürfe liegen meines Wissens noch nicht vor, sodass man das im Detail noch nicht bewerten kann. Generell wäre es durchaus im Interesse der Versicherten, wenn den Anbietern dieser fragwürdigen Tricksereien ein Riegel vorgeschoben würde.

Die PKV-Unternehmen haben leider keine Chance, ihre Versicherten vor diesen rechtswidrigen und riskanten Wegen zu warnen. Wenn jemand die Aufnahmeerklärung einer gesetzlichen Krankenkasse vorlegt, muss die PKV seine Kündigung akzeptieren und hat kein Prüfrecht, ob das mit rechten Dingen oder über ein Scheingewerbe im Ausland zustande gekommen ist.

procontra: Es gibt noch einen weiteren Wechsel-Trick: Privat krankenversicherte Rentner können ihr Einkommen durch Wahl einer Teilrente gezielt vorübergehend so weit absenken, dass sie über die Familienversicherung ihres Ehepartners zurück in die GKV kommen können. Das Bundesgesundheitsministerium möchte auch dieses Schlupfloch schließen. Begrüßen Sie das?

Reker: Diese Neuregelung zur sogenannten Flexirente ist Bestandteil des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes. Ein Wechsel in die GKV ist damit für solche Personen untersagt, die nur aufgrund des Absenkens ihrer Altersrente auf eine Teilrente in die Familienversicherung kommen. Dass diese Gesetzeslücke geschlossen wird, liegt in der Logik des Sozialrechts. Die Entscheidung für die PKV soll ein Leben lang gelten und ein Wechsel erst im Alter, ohne vorher in der GKV Beiträge gezahlt zu haben, ist nicht erwünscht.

procontra: Haben Sie Zahlen, wie häufig diese beiden Schlupflöcher genutzt werden? Sind das aus Ihrer Sicht eher Einzelfälle oder ein häufig zu beobachtendes Phänomen?

Reker: Konkrete Zahlen dazu liegen uns nicht vor. Soweit ich das überblicke, sind es eher Einzelfälle. Einige sogenannte Experten für diese Schlupflöcher sind in den sozialen Medien mit ihren marktschreierischen Werbeanzeigen sehr aggressiv unterwegs. Das erweckt bei manchem vielleicht den Eindruck eines größeren Umfangs, als das Thema in der Realität hat.

procontra: Welches Risiko gehen PKV-Versicherte persönlich ein, wenn sie über den fingierten Umweg einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Ausland in die GKV zurückkehren und das später auffliegt?

Reker: Da gelten die Rechtsvorschriften der Krankenkassen, das könnte die GKV also genauer erklären. Ich weiß aber von Verbraucherschützern, dass ein mit solchen Tricks erschlichener Wechsel in die GKV unter dem Risiko steht, dass der Vertrag wegen Täuschung dauerhaft unwirksam ist und von der GKV jederzeit gekündigt werden kann, wenn die Schummelei rauskommt. Dann wird es für die Versicherten richtig teuer. Sie müssten ihre gesetzliche Pflicht zur Versicherung dann im PKV-Basistarif erfüllen, in dem für sie der GKV-Höchstbeitrag von zurzeit 844 Euro im Monat fällig würde.

procontra: Zeigt die Diskussion über die Rückkehr-Möglichkeiten älterer PKV-Versicherter und die Verwendung von Schlupflöchern nicht eindrucksvoll, dass die PKV für viele Versicherte im Alter offenbar doch so teuer wird, dass sie sie nicht mehr bezahlen können? Denn Fakt ist doch, dass die private Versicherung – anders als die gesetzliche Ver­si­che­rung – den Beitrag nicht an das niedrigere Einkommen im Rentenalter anpasst.

Reker: Die Beiträge in der PKV orientieren sich – anders als in der GKV – nicht prozentual am Einkommen des Versicherten, sodass die Krankenversicherung bei sinkendem Einkommen im Rentenalter meist einen relativ höheren Teil der Einkünfte beansprucht.

Die Versicherten können und sollten für diesen absehbaren Finanzbedarf im Rentenalter zusätzlich vorsorgen, was mit den im Vergleich zur GKV gesparten Beiträgen ohne weiteres möglich ist. Bei aktuell bis zu 844 Euro GKV-Beitrag für gutverdienende Angestellte dürften für 35-jährige Neuversicherte hochwertige PKV-Tarife monatlich mindestens 200 Euro günstiger sein. Für 200 Euro erhielte man zum Beispiel schon in einer risikoarmen Kapitallebensversicherung nach 30 Jahren mehr als 430 Euro Zusatzrente oder über 120.000 Euro Kapitalauszahlung mit Alter 65. Damit wären die PKV-Beiträge im Alter sehr gut abgesichert. Zudem bieten viele PKV-Unternehmen geeignete Ansparmodelle in Form von Beitragsentlastungstarifen.

Die Daten des PKV-Versichertenbestands zeigen übrigens, dass die Beiträge in höherem Alter eben gerade nicht stär­ker ansteigen, sondern sogar langsamer steigen als in den Lebensjahren davor – und mit Alter 60 und 65 sowie in ganz hohen Altern sogar deutlich sinken.

procontra: Sie verweisen regelmäßig auf Zahlen, die belegen, dass hohe PKV-Beiträge im Alter eher die Ausnahme sind. Aber bilden diese Zahlen nicht Durchschnittswerte ab, in die auch die niedrigen Beiträge jüngerer Versicherter einfließen?

Reker: Nein, unsere Daten zeigen die Durchschnittsbeiträge der Privatversicherten jeweils auch separat für alle Altersgruppen. Der Durchschnittsbeitrag bei den über 60-Jährigen beträgt etwa 600 Euro. Damit die Statistik aussagekräftig ist, sind übrigens die Beihilfever­sicherten darin nicht enthalten, denn deren Beiträge sind deutlich niedriger und würden den Schnitt senken.

Sehr hohe Beiträge sind in der PKV die absolute Ausnahme. So zahlten im Jahr 2022 nur 2,3 Prozent aller Privatversicherten einen Beitrag über dem Höchstbeitrag der GKV. Beiträge über 1.000 Euro gab es nur bei 0,07 Prozent aller Versicherten. Monatsbeiträge über 1.500 Euro betrafen nur 0,001 Prozent der Versicherten – und dabei handelt es sich stets um Verträge mit besonders hohen Leistungsumfängen – und um offenkundig besonders zahlungskräftige Versicherte. Manche Medien füttern ihre Schlagzeilen gerne mit so spektakulär hohen Beiträgen – doch damit sind sie quasi 99,9 Prozent von der Realität entfernt.

procontra: Unabhängig von der aktuellen Situation halten Sie einem Wechsel von der PKV in die GKV generell für eher riskant – auch für Unter-55-Jährige. Der Grund: die Betroffenen erfüllten oft nicht die Fristen, um später in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu kommen. Können Sie das einmal näher erläutern?

Reker: Gerade in Medienberichten mit spektakulären „Beitragsschock“-Schlagzeilen werden oft derartige Wechsel-Tipps angeboten. Doch die Realität und die GKV-Regeln sind kompliziert. Es gibt eine K.O.-Klausel, die sogenannte 9/10-Regelung (§ 5 Absatz 1 Nummer 11 SGB V). Sie begrenzt im Alter den Zutritt zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Zugang erhält nur, wer in der 2. Hälfte seines Erwerbslebens mindestens 90 Prozent der Zeit in der GKV versichert war.

Konkretes Beispiel: Bei Berufsbeginn mit 21 und Rente mit 67 gilt, dass von den letzten 23 Erwerbsjahren mindestens 20 Jahre und 8 Monate in der GKV stattfinden müssen. Das bedeutet in diesem Fall, dass es schon beim Wechsel ab dem Alter 46 ein böses Erwachen geben könnte, weil dann in der GKV nur noch der Status eines freiwilligen Mitglieds erreicht wird. Das aber hat schwerwiegende Folgen für die Beitragshöhe. Denn nur bei Mitgliedern der KVdR wird der GKV-Beitragssatz lediglich auf ihr Renteneinkommen erhoben sowie auf ihre etwaige betriebliche Altersvorsorge.

Demgegenüber gilt für freiwillig Versicherte im Rentenalter GKV-Beitragspflicht auf alle Einkünfte. Also nicht nur auf die Rente, sondern auch auf Mieteinnahmen, Lebensversicherungen und Kapitalerträge und manchmal sogar auf die Einkünfte des Ehepartners. Das gilt bis zur Bemessungsgrenze von aktuell 5.175 Euro und somit bis zu einem Beitrag von 1.051 Euro pro Monat inklusive Pflegeversicherung. So viel zahlen nur rund 2 Prozent aller Privatversicherten.

Unternehmer und Freiberufler wie Ärzte oder Gastwirte müssen beim Verkauf ihrer Firma, Praxis oder Gaststätte übrigens auch GKV-Beitrag auf die Veräußerungsgewinne zahlen. Wenn also ein niedergelassener Arzt zum Ruhestand die eigene Praxis verkaufen und den Erlös als Altersvorsorge nutzen will, müsste er rund 20 Prozent dieses Erlöses als Beitrag an die GKV zahlen.

Gerade Selbstständige sorgen oft mit Kapitalanlagen und Immobilien fürs Alter vor, deren Erlöse in der GKV beitragspflichtig würden. In der PKV wären sie dann in der Regel weitaus günstiger versichert, weil dort die Einkünfte für die Berechnung der Beiträge keine Rolle spielen. Wenn ich dann solche Wechsel-„Geheimtipps“ in manchen Medien lese, die sich an Top-Verdiener richten, frage ich mich kopfschüttelnd: Wer schützt eigentlich die Verbraucher vor solchen Verbraucherjournalisten?

procontra: Kommen diese Nachteile denn nicht nur zum Tragen, wenn ich überhaupt andere Einnahmen habe?

Reker: Das stimmt, wer nur Einkünfte aus seiner gesetzlichen Rente hat, ist in der GKV ziemlich günstig versichert. Das dürfte aber auf die allermeisten Privatversicherten nicht zutreffen. Übrigens führt auch schon der Bezug einer Rente aus alternativen Alterssicherungen wie zum Beispiel dem Versorgungswerk der Rechtsanwälte dazu, dass man nur noch den Status eines freiwillig Versicherten erhält – egal wie lange man vorher in der GKV versichert war.

procontra: Welche Möglichkeiten zur Beitragssenkung haben ältere PKV-Versicherte generell?

Reker: Zunächst gibt es im Alter einige automatische Beitragsminderungen. So fällt ab dem Alter 60 die Zahlung des gesetzlichen Zuschlags in Höhe von 10 Prozent des Beitrags weg, der in den Jahren zuvor zum Aufbau eines zusätzlichen individuellen Vorsorgekapitals dient. Ab Renteneintritt fallen zudem die Beiträge für die Krankentagegeldversicherung weg, was eine weitere Entlastung bringt. Mit zunehmendem Alter werden zudem die Mittel aus den Alterungsrückstellungen und dem erwähnten 10-Prozent-Zuschlag beitragssenkend eingesetzt.

Wem der Beitrag trotzdem zu hoch erscheint oder wer im Alter in finanzielle Schwierigkeiten gerät, dem bieten sich mehrere Möglichkeiten. Jeder Privatversicherte hat nach § 204 des Versicherungsvertragsgesetzes das Recht, jederzeit in andere gleichartige und auch preiswertere Tarife seines Versicherers wechseln zu können.

Um den Versicherten dabei eine besonders qualifizierte und kostenlose Beratung anzubieten, gibt es spezielle Tarifwechsel-Leitlinien des PKV-Verbandes. Darin gehen Versicherungsunternehmen mit insgesamt über 80 Prozent Marktanteil die Selbstverpflichtung ein, zu Gunsten des Kunden über die gesetzlichen Anforderungen hinauszugehen. Die Leitlinien bieten zudem detaillierte Verbraucherinformationen zum Vorgehen bei einem Tarifwechsel.

Darüber hinaus gibt es den Standardtarif, einen gut funktionierenden Sozialtarif der PKV. Für langjährig Privatversicherte (Eintritt vor 2009) bietet er vergleichbare Leistungen wie die GKV für einen Durchschnittsbeitrag von rund 400 Euro. Dabei werden ihre langjährigen Alterungsrückstellungen beitragsmindernd eingerechnet.

Und für ganz schwierige Fälle gibt es den Basistarif, der vergleichbare medizinische Leistungen wie in der GKV garantiert und eine Deckelung des Beitrags auf maximal den Höchstbeitrag der GKV. Bei vorliegender Hilfebedürftigkeit wird der Beitrag im Basistarif auf die Hälfte des GKV-Höchstbeitrags begrenzt. Können die Versi­cherten auch den reduzierten Beitrag nicht leisten, übernimmt der Sozialhilfeträger einen weiteren Teil oder sogar den kompletten Beitrag, sodass im Notfall ein vollständi­ger Krankenversicherungsschutz für Null Euro Eigenbeitrag gesichert werden kann.