„Da sich die Union in zunehmendem Maße mit den katastrophalen und unabsehbaren Folgen des Klimawandels, der Ressourcenverknappung und anderer nachhaltigkeitsbezogener Probleme konfrontiert sieht, müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um Kapital zu mobilisieren, und zwar nicht nur durch die Politik, sondern auch durch den Finanzdienstleistungssektor“, heißt es in der Begründung zur Offenlegungsverordnung der EU (2019/2088).
Detaillierte Kundenbefragung
Diesem Ziel dient auch die Delegierte Änderungsverordnung 2021/1257 zur Richtlinie IDD. Ab heute müssen Anbieter ihr Produktfreigabeverfahren bei neu entwickelten oder wesentlich veränderten Produkten um Nachhaltigkeitsaspekte ergänzen sowie diese in der laufenden Produktprüfung beachten. Für Vermittler wichtig ist, dass sie beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten die Eignungsprüfung um eine Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden ergänzen.
Die Verordnung enthält detaillierte Vorgaben, was erfragt werden muss: Ob in der Versicherungsanlage eine ökologische Nachhaltigkeit im Sinne der Taxonomieverordnung der EU (2020/852) oder eine allgemeine Nachhaltigkeit („ESG“) im Sinne der Offenlegungsverordnung einbezogen werden soll und mit welchen Mindestanteilen. Außerdem soll der Kunde bestimmen, ob die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden sollen, welcher Art und in welchem Anteil. So könnte sich ein Kunde beispielsweise wünschen, zu mindestens 50 Prozent taxonomiekonform, zu mindestens 90 Prozent ESG-konform und auf keinen Fall in Kernenergie, Kriegswaffen oder in Kinderarbeit hergestellte Produkte zu investieren.
Versäumnisse in Deutschland
Dagegen schweigt sich die Verordnung darüber aus, wie das Ganze prozessual umgesetzt werden soll. Eine zentrale Frage ist zum Beispiel, woher der Vermittler die nötigen Informationen bekommt, damit er die detailreichen Vorgaben des Kunden in die Eignungsprüfung und damit in den Abgleich mit verfügbaren Produkten einbeziehen kann.
Absurd erscheint, dass einerseits Versicherungsvermittler diese Nachhaltigkeitsberatung durchführen müssen, obwohl ihr zentraler Beratungsanlass aus Themen wie Altersvorsorge oder Absicherung von Hinterbliebenen und von Krediten besteht. Andererseits müssen Finanzanlagenvermittler und -berater diese erweiterte Eignungsprüfung nicht durchführen, obwohl die Anlageberatung den Kern ihrer Tätigkeit darstellt.
Grund ist ein Versäumnis des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums, das seit der letzten Bundestagswahl auch den Klimaschutz im Titel führt. In der Finanzanlagenvermittlungsverordnung fehlt ein Verweis auf die Anwendbarkeit der Delegierten Änderungsverordnung zur Richtlinie MiFID II (2021/1253) – Schwester der oben erwähnten IDD-Änderungsverordnung. Denn MiFID II und die darauf basierenden Verordnungen adressieren nur Wertpapierfirmen, nicht Finanzanlagenvermittler.
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Keine verbindliche Anleitung aus Europa oder Deutschland
Wie die erweiterte Eignungsprüfung ablaufen könnte, dazu hat die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA am 12. April ein Konsultationspapier veröffentlicht. Erst knapp zwei Wochen vor dem 2.8. veröffentlichte sie das endgültige Papier, zudem herabgestuft von rechtsverbindlichen Leitlinien („Guideline“) herabgestuft zu einer Empfehlung („Guidance“).
Dabei hätten selbst Leitlinien erst noch von den deutschen Aufsichtsbehörden geprüft und entweder übernommen oder abweichende, eigene Leitlinien entwickelt werden müssen. Nun schweigen die deutschen Aufsichtsbehörden komplett: Auf Anfrage teilte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) lediglich mit, dass die „Auslegungshilfe“ nicht verbindlich sei. Von den Industrie- und Handelskammern hieß es, man prüfe das EIOPA-Papier. Nicht einmal eine amtliche, deutsche Übersetzung wird angekündigt. Anscheinend geht man davon aus, dass jeder Vermittler ausreichend der englischen Rechtssprache mächtig ist und mit dem EIOPA-Papier zurechtkommen wird.
DIN und Rating-Agenturen aktiv
So untätig bisher Behörden und Ministerien bleiben, so rührig ist die Branche. In den letzten Wochen überschlugen sich die Meldungen über Hilfen, die für Vermittler entwickelt wurden. Ein DIN-Arbeitskreis entwickelte eine Ergänzung der DIN-Norm 77230, die zwar keine Vorgaben für die Eignungsprüfung, dafür nun aber einen neuen Anhang mit einem Prozessvorschlag für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen enthält.
Ein Konsortium aus Going Public!, Defino, iS2, Zielke Research Consult und Morgen & Morgen kündigte einen „ESG-Profiler“ auf Basis der Norm an. Zielke liefert zudem Morgen & Morgen sowohl Daten aus einem CSR-Unternehmensrating sowie Zertifizierungen für Versicherungsanlageprodukte.
ESG-Ratings der Versicherungsunternehmen gibt es ebenfalls, zum Beispiel von der Assekurata Rating-Agentur oder von Franke und Bornberg. Letztere kündigten außerdem an, dass Nutzer ihrer Software ebenfalls bei der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen und dem Abgleich mit vorliegenden Informationen unterstützt werden.
Kennzahlen brauchen Datengrundlage
Ein Dilemma bleibt die Datenlage. So schlägt EIOPA vor, die Versicherer sollten ab 1.1.2023 zwei einfache Kennzahlen liefern, eine Nachhaltigkeitsquote der enthaltenen Anlagen gesamt und eine ohne Staatsanleihen. Wie solche Kennzahlen mit der detailverliebten Abfrage nach der IDD-Änderungsverordnung matchen, wird ebenso wenig erläutert wie, woher genau die Versicherer diese Kennzahlen gewinnen sollen.
Am 1.1.2023 sind zwar die Technischen Regulierungsstandards zur Taxonomieverordnung in Kraft, aber die helfen auch nur, zwei von sechs Umweltzielen exakt zu definieren. Dabei geht es um die Treibhausgasemissionen.
In allen anderen Umwelt- (E), Sozialen (S) und Governance-Bereichen (G) bleiben die Produktgeber auf teils vage Informationen angewiesen, die ihnen die Unternehmen, Projekte oder Fondsgesellschaften zuliefern, deren Anlagen dem Versicherungsprodukt zugrunde gelegt werden. Eine umfassende Verpflichtung zur Offenlegung wird erst mit der Ende Juni im Trilog verabredeten, aber noch nicht in Kraft getretenen neuen Richtlinie CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) kommen – für Unternehmen aller Branchen ab 250 Mitarbeitende.
In der Branche ist zudem nach den Greenwashing-Vorwürfen gegen mehrere Anbieter Nervosität zu spüren. Innovationsfördernd ist diese Keule nicht gerade, die umso leichter zu schwingen ist, desto unklarer die rechtlichen Vorgaben sind.
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Prozessvorschläge von Verbänden
Die Kunden, die anfänglich meist nur das Schlagwort Nachhaltigkeit kennen werden, sollen nach den Vorstellungen der EIOPA in einer Erstinformation über das Konzept aufgeklärt werden. Einen Textvorschlag gibt es weder aus Europa noch von deutschen Behörden. Zum Befragungsprozess macht EIOPA den sinnvollen Vorschlag, ihn zweistufig durchzuführen und damit das Auswahldilemma zu reduzieren: Erst die klassische Eignungsprüfung mit dem Ergebnis einer nach Kriterien wie Rendite, Sicherheit und Liquidität gestalteten Produktauswahl, dann eine Feinselektion nach den Nachhaltigkeitspräferenzen. Zudem soll der Kunde diese anpassen dürfen, wenn seine Wünsche so nicht erfüllbar sind, allerdings muss dies sorgfältig dokumentiert werden.
Für diesen Prozess gibt es immerhin einige Praxishilfen von Vermittlerverbänden. Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) veröffentlichte vor kurzem eine aktualisierte Checkliste für Vermittler, die sich eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie geben und umsetzen wollen. Die beiden Verbände Bundesverband Finanzdienstleistung AfW e.V. und Votum Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e. V. aktualisierten ihre Verbändeempfehlung zur Offenlegung und der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. Der Arbeitskreis Beratungsprozesse bietet einen Vorschlag für ein Merkblatt, eine Checkliste zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen und Tipps für ein nachhaltiges Vermittlerbüro an.
Sensibilisierung der Kunden nutzen
Vermittler müssen sich nun ihren eigenen Reim auf die Vielzahl an Rechtsvorgaben und Empfehlungen machen. Das beginnt mit der Frage, was sie unter dem Begriff „Versicherungsanlageprodukte“ verstehen. Eine enge Auslegung sind ungeförderte, kapitalbildende Lebens- und Rentenversicherungen, aber auch geförderte können einbezogen werden. Ebenso ist es eine persönliche Entscheidung, als Finanzanlagenvermittler die Pflichten anzuwenden.
Sodann kann man Betroffenen derzeit nur empfehlen, eine eigene, kleine Erstinformation zu entwickeln und Kunden darauf hinzuweisen, dass sie aktuell nur weitergeben können, was ihnen selbst an Informationen vorliegt. Das sollte sorgfältig dokumentiert werden. So werden Angriffsflächen reduziert, gleichzeitig aber auch Chancen eröffnet. Denn die Sensibilität der Kunden für Nachhaltigkeitsthemen ist durch die Klimaproteste der Jugend und erst recht durch die kriegsbedingten Probleme bei der Energieversorgung hoch. Gesprächsstoff gibt es genug, und das ist immer schon eine gute Voraussetzung für erfolgreiche Beratungs- und Verkaufsgespräche gewesen.
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