Kolumne
Die alte Börsendevise „Sell in May and go away“ – verkaufe die Aktien im Mai und verlasse den Markt – wird zumindest kalendarisch wieder aktuell. Diese wohl bekannteste Börsenweisheit hat aber noch einen zweiten Teil: „But remember to come back in September“ – denke aber daran, im September wieder einzusteigen. Angeblich soll diese Weisheit ihren Ursprung im alten Londoner Bankenviertel haben. Demnach sollen Banker im Mai verkauft haben, um der Sommerhitze der Stadt zu entfliehen und erst zum „St. Leger's Day“ (einem bekannten englischen Pferdewettrennen, das Mitte September stattfindet) wieder zurückzukehren.
Bei einer Betrachtung der Monatsrenditen bis 1965 zurück zeigt sich für den DAX tatsächlich, dass die Monate Mai und September im Durchschnitt negative Renditen gebracht haben. Somit müsste es eigentlich heißen: „…come back end of September“. Eine allgemeine Regel lässt sich aber kaum ableiten, denn dafür ist die Streuung der Monatsergebnisse um den Mittelwert zu groß. Vielmehr zeigt sich, dass ein Aushalten oft besser ist als ein Aussteigen, wenn es an den Aktienmärkten unruhig zugeht. Denn üblicherweise steigen Anleger nicht nur zu spät aus, sondern auch zu spät wieder ein. Verhaltensökonomisch ist dies mit der Verlustaversion gut begründet.
Ein derartiges Verhalten kann aber teuer werden. Beispiel: Wer über die letzten 25 Jahre im MSCI-Welt investiert war, erzielte im Jahresdurchschnitt 6,5 Prozent. Verpasste er allerdings die besten 20 Tage an den Aktienmärkten, dann waren es nur 1,5 Prozent. Verpasste diese Person gar die besten 40 Tage, dann musste sie einen durchschnittlichen Verlust von 1,5 Prozent pro Jahr erdulden. Für den DAX, den S&P 500 und den MSCI-Europa lassen sich ähnlich starke Unterschiede nachweisen, wenn die besten Tage verpasst wurden.
All dies führt erneut eindringlich vor Augen: Investieren ist nicht spekulieren. Und spätestens hier kommt wieder eine andere Börsenweisheit ins Spiel: Hin und Her macht Taschen leer.