Alarmstufe Rot in der Pflegeversicherung: Erste Kasse beantragt Finanzhilfe
Zum 1. Januar wurde der Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung (SPV) um 0,2 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent angehoben. Damit sollen in diesem Jahr rund 3,7 Milliarden Euro an Mehreinnahmen in die klammen Pflegekassen fließen.
Wie sich jetzt zeigt, reicht das offenbar hinten und vorne nicht, um das unterfinanzierte System zu stabilisieren. Im Gegenteil: Beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) ist inzwischen der erste Finanzhilfe-Antrag einer von der Pleite bedrohten Pflegekasse eingegangen.
Gegenüber procontra bestätigte das BAS jetzt diesen bislang einmaligen Vorgang, über den zuerst der Tagesspiegel berichtet hatte. Um welche Pflegekasse es konkret geht, darüber wollte die Behörde keine Angaben machen. Es soll jedoch keine kleine Kasse sein.
Ausgleichsfonds unter Druck
„Hintergrund des Finanzhilfe-Antrags sind mögliche Liquiditätsschwierigkeiten der Pflegekasse, die bereits verstärkt bis vollständig ihre Rücklage einsetzen muss, um zahlungsfähig zu bleiben“, erklärt BAS-Sprecher Michael Mühlhoff unter Verweis auf die angespannte Situation des SPV-Ausgleichsfonds, der vom BAS als Rechtsaufsicht verwaltet wird.
Im Wege des monatlichen Finanzausgleichs zwischen den Pflegekassen sorgt dieser Fonds für die Ausstattung der Pflegekassen mit Liquidität: Die Pflegekassen, deren Mittel-Ist geringer ausfällt als das Mittel-Soll, erhalten Zahlungen aus dem Ausgleichsfonds. Umgekehrt zahlen diejenigen Pflegekassen, deren Mittel-Ist das Soll übersteigt, den Unterschiedsbetrag an den Ausgleichsfonds.
Einzelne Pflegekassen könnten in Liquiditätsschwierigkeiten geraten
Nun ist die finanzielle Situation der SPV aber derart angespannt, dass der Ausgleichsfonds verstärkt Mittel der Pflegekassen heranziehen muss, um überhaupt seine eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten: „Empfängerkassen“ erhalten so weniger Mittel aus dem Ausgleichsfonds, „Zahlerkassen“ zahlen mehr an den Ausgleichsfonds.
BAS-Sprecher Mühlhoff zu procontra: „In der Folge müssen die Pflegekassen verstärkt bis vollständig ihre Rücklagen einsetzen, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Hier nun kann es bei tendenziell einnahmeschwächeren Pflegekassen oder besonderen untermonatlichen Einnahmen- und Ausgabenschwankungen dazu kommen, dass einzelne Pflegekassen in Liquiditätsschwierigkeiten geraten könnten. In diesem besonderen Fall leistet der Ausgleichsfonds auf Antrag besondere Hilfen, sofern und solange er selbst leistungsfähig bleibt.“
Bund soll Corona-Gelder zurückzahlen
Laut Tagesspiegel schließt BAS-Chef Frank Plate nicht aus, dass demnächst noch mehr Kassen in Zahlungsnöte geraten könnten. Die neue Bundesregierung müsse deshalb schnell handeln, sonst drohe der Pflegeversicherung die Pleite. Wie DAK-Vorstandschef Andreas Storm fordert denn auch BAS-Präsident Plate vom Bund die sofortige Rückzahlung von Corona-bedingten Ausgaben in Höhe von rund 6 Milliarden Euro, die den Pflegekassen während der Pandemie zu Unrecht aufgebürdet worden seien (zum Beispiel für Corona-Tests oder Corona-Prämien für Pflegekräfte).
Die soziale Pflegeversicherung steht vor allem durch den demografischen Wandel vor großen Herausforderungen. Die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf nimmt rasant zu. Gleichzeitig wurden neue Leistungen in die SPV aufgenommen, und auch die Löhne der Mitarbeiter sind in jüngster Zeit deutlich gestiegen. All das führt dazu, dass sich zwischen Einnahmen und Ausgaben ein immer größerer Graben auftut.