Wann eine Lebensversicherung nachhaltig ist
84 Seiten, 104 Seiten, 118 Seiten: Drei Beispiele der Länge von Angebot und Antrag für eine „einfache“ fondsgebundene Rentenversicherung mit dem Anspruch der Nachhaltigkeit, aber ohne staatliche Förderung und sonstige, außergewöhnliche Extras. Das macht weder dem Vermittler noch dem Kunden Spaß zu lesen.
Dabei ist der Seitenumfang überwiegend, aber nicht ausschließlich dem deutschen und dem europäischen Gesetzgeber geschuldet, die den Versicherern beide eine Reihe Pflichten auferlegt haben, worüber ein Kunde informiert sein muss.
Kunden nach relevanten Informationen suchen lassen
Allen voran muss das Angebot selbst eine Reihe Informationen beispielsweise zum Verlauf der Überschuss- und Leistungsentwicklung unter verschiedenartigen Modellannahmen einschließlich auch einer vorzeitigen Beendigung enthalten. Das allein nimmt bei den drei Musterangeboten verschiedener Maklerversicherer zwischen zehn und 18 Seiten Raum ein.
Nicht optimal ist, wenn der Kunde, der ein Angebot einer nachhaltigen Rentenversicherung angefragt hat, ein vielfältig verwendbares Angebot mit und ohne nachhaltigen Fonds erhält und sich selbst zusammensuchen soll, welche der Informationen für ihn relevant sind.
Ein Blatt mit vielen Seiten
Die Datenschutzmitteilungen erstrecken sich über eine bis vier Seiten. Das Produktinformationsblatt nach VVG wird seinem Namen nicht ganz gerecht, denn es umfasst zwischen vier und neun Seiten.
Das Basisinformationsblatt nach europäischer Vorgabe umfasst jeweils drei Seiten. Zwei bis drei weitere Seiten dienen der Information zur Besteuerung der Rentenversicherung.
Die Versicherungsbedingungen kann man auf 16 oder auch auf 37 Seiten darstellen, die Schriftgröße animiert trotzdem teilweise nicht ernsthaft zum Nachlesen. Im Antrag sind auch noch Geldwäschegesetz-relevante Informationen zu erheben.
Klimaschädigende Informationspflicht zum Klimaschutz
Das alles wäre schon genug. Aber durch sogenannte Level II-Vorschriften sind inzwischen europäische Pflichtinformationen nach Transparenzverordnung (oder: SFDR) hinzugekommen. Sie verursachen eine wenig nachhaltige Verlängerung der Dateien um nochmals elf bis 14 Seiten. Das alles muss entweder gedruckt oder wenigstens elektronisch gespeichert werden, verursacht also Treibhausgasemissionen.
In einem Fall wird dies durch eine versichererindividuelle Erstinformation rund um das Thema Nachhaltigkeit von nochmals drei Seiten ergänzt. Der Vorteil ist, dass der Kunde zumindest einen Überblick erhält, welche drei Arten von Präferenzen er äußern kann, die Vermeidung von negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen (PAI), die Taxonomiekonformität oder die ESG-Konformität nach Artikeln 8 oder 9 SFDR.
Dass die beiden letztgenannten nicht identisch sind, wird mithilfe von Piktogrammen und Beispielen verdeutlicht. Der Kunde ahnt an dieser Stelle bereits, dass das alles nicht ganz leicht übereinzubringen ist. Ein einfacher Wunsch, „ich möchte eine nachhaltige Versicherung“, reicht nicht. Ergänzt wird das Ganze um Prosa zur eigenen Sichtweise der Unternehmensnachhaltigkeit. Das ist interessant, hat aber keinen unmittelbaren Einfluss auf die angebotene Rentenversicherung selbst.
Ist die Rentenversicherung ein „Finanzprodukt“?
Die SFDR-Pflichtinformation enthält viel weiteres Verwirrungspotenzial, das ausdrücklich nicht den Versicherern, sondern den Autoren der Europäischen Aufsichtsbehörden und der EU-Kommission anzulasten ist. Der Kunde erfährt als erstes plakativ, dass mit dem angebotenen „Finanzprodukt“ – angeboten wird aber eine Versicherung – in den hier betrachteten drei Beispielsfällen jeweils keine nachhaltige Investition angestrebt sei.
Der unbedarfte Kunde könnte an dieser Stelle das Angebot zurückweisen und dem Vermittler mitteilen, dass er gerade eine nachhaltige Rentenversicherung angefragt habe, das Angebot also nicht passen kann.
Sodann wird zum Angebot angegeben, „es werden damit ökologische/soziale Merkmale beworben und obwohl keine nachhaltigen Investitionen angestrebt werden, enthält es einen Mindestanteil von Prozent an nachhaltigen Investitionen“. Hier dürften selbst viele Vermittler, die die Hintergründe nicht sehr genau kennen, an ein redaktionelles Versehen des Versicherers glauben. Der Kunde könnte das zudem verstehen als, „der Versicherer wollte zwar eigentlich gar keine Nachhaltigkeit, dann ist ihm aber doch welche in Höhe von Prozent aufgefallen“.
Viele Bilder, wenig Klarheit
Anschließend werden die Strategien im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken detailreich in Prosa erläutert. Es muss ein Entscheidungsdiagramm gezeigt werden, wie die Gelder der Kunden investiert werden. Ungeschickt ist, wenn darin überhaupt keine Prozentangaben genannt werden und der Leser selbst entscheiden soll, was genau der Versicherer machen wird, wenn er beispielsweise entscheidet, ob er seine Investitionen auf ökologische und soziale Merkmale ausrichtet oder nicht, und was davon wie weiter angelegt wird.
Eine gute Idee der europäischen Aufsichtsbehörden schließlich war, den Mindestanteil taxonomiekonformer Anlagen als zwei einfache Kreisdiagramme darzustellen, eines davon mit und eines ohne Staatsanleihen als Berechnungsgrundlage. Dennoch ungeschickt ist, wenn der Anteil nachhaltiger Investitionen 0 Prozent beträgt, aber im Kreisdiagramm eine 100 Prozent-Angabe ins Auge springt – was erst durch Nachlesen richtigerweise als „nicht taxonomiekonform“ einzuordnen ist.
100 oder doch nur 0,4 Prozent?
Naturgemäß fallen zudem die vorherigen Angaben an SFDR-konformen Anlagen, mit denen also irgendwelche ökologischen oder sozialen Ziele beworben oder sogar aktiv angestrebt werden, sowie an Taxonomie-konformen Anlagen zum Teil sehr deutlich auseinander. So weist eines der drei Angebote beispielsweise eine 100 Prozent-Quote an Investitionen aus, die „auf ökologische oder soziale Merkmale“ ausgerichtet seien. Im Kreisdiagramm werden aber nur noch 0,4 Prozent gezeigt – das ist der taxonomiekonforme Anteil.
Wahrscheinlich wird auch das vielen Vermittlern schwerfallen, dem Kunden unfallfrei zu erklären. Und Kunden könnten sich einen eigenen, unschönen Reim auf die vermeintliche Widersprüchlichkeit dieser Angaben machen.
Fondswelt mit eigenen Nachhaltigkeitsdefinitionen
Teilweise enthalten die Angebote zusätzlich Fondssteckbriefe zwischen drei und 23 Seiten, ansonsten wird auch auf Abrufmöglichkeiten im Internet verwiesen. Die Fondsinformationsblätter müssen ebenfalls eine Offenlegung der Nachhaltigkeit nach SFDR enthalten. Doppelt hält besser? Eher nein, denn die SFDR-Offenlegungen des gesamten Rentenversicherungsprodukts einerseits und der hinterlegten Fonds sind naturgemäß nicht identisch.
Da liest der Kunde dann beispielsweise von Morningstar-Sternebewertungen oder einem Scope ESG-Rating sowie von sehr unterschiedlichen, individuellen Prozentanteilen nachhaltiger Anlagen im Sinne der SFDR.
Gab es nicht noch ein Ziel namens Altersvorsorge?
Zusammenfassend sind die Nachhaltigkeitsinformationen bestenfalls verwirrend für die Leser. Erschwerend kommt hinzu, dass Rentenversicherungen eigentlich einen anderen, primären Zweck verfolgen, auch wenn sie mit Kapitalanlagen wie Fonds hinterlegt sind. Den Zweck Altersvorsorge dürften aber Kunden rasch vergessen haben, wenn sie anfangen, sich in die zahllosen Pflichtinformationen einzulesen.
Die Europäische Union hat damit der Versicherungsbranche und den Kunden einen Bärendienst erwiesen. Das gute Ziel einer Umschichtung von Anlagen zur Förderung nachhaltigen Wirtschaftens wird durch eine detailverliebte, technokratische und ausschließlich an Anlagekategorien orientierten Informationspolitik verfehlt. Auch Mitgliedsstaaten wie Deutschland wird damit kein Gefallen getan, die auf die freiwillige, kapitalgedeckte Altersvorsorge angewiesen sind, um Altersarmut zu vermeiden und den sozialen Frieden im Land zu wahren.
Nach der Europawahl wäre es sinnvoll, wenn sich EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat über Prioritäten verständigen würden. Sofern das wichtigste Ziel die Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels ist, sollte auch genau nur dieses Ziel verfolgt werden und nicht mehr zahllose weitere, die sich alle unter dem Beliebigkeitsbegriff „Nachhaltigkeit“ fassen lassen. Und es wäre gut, wenn die Pflichtinformationen nicht mehr von Technokraten allein entworfen werden dürfen, sondern erst einen Praxistext mit Kunden, Vermittlern und Beratern erfolgreich bestanden haben müssen, bevor sie in geduldige Level I-, Level II- und Level III-Vorgaben geschrieben werden dürfen.