„Lebensversicherern drohen Liquiditätsengpässe“
Derzeit reihen sich zufrieden bis euphorisch formulierte Pressemitteilungen der Lebensversicherer aneinander: Gleich mehrere – darunter auch einige Marktriesen – haben in den vergangenen Wochen steigende Überschussbeteiligungen für das kommende Jahr angekündigt, Senkungen gab es bislang keine. Die Unternehmen können ihren Kunden also wieder eine höhere Verzinsung bieten und alle sind happy, könnte man meinen. Doch Dr. Carsten Zielke, Geschäftsführer von Zielke Research Consult, sieht die Situation der Lebensversicherer weiterhin kritisch, wenn auch aufgrund von nun geänderten Gesichtspunkten.
Die sinkenden Solvenzquoten und die steigende Belastung durch die Zinszusatzreserve der vergangenen Jahre seien durch die Zinswende nicht mehr kritisch zu sehen, sagte Zielke heute bei der Vorstellung einer Studie zur aktuellen Solvenzsituation der deutschen Lebensversicherer. Doch obwohl die Anbieter ihren Neu- und Bestandskunden zukünftig endlich wieder eine höhere Verzinsung für ihre Verträge bieten können, könnten sinkende Nachfrage und erhöhtes Stornoaufkommen zu den neuen Problemen der Branche werden.
Stornobedingte Liquiditätsengpässe verhindern
„Die Gefahr für die Lebensversicherer besteht darin, dass jetzt vielleicht viele Kunden ihre Verträge auflösen, um die Energierechnungen und anderes zu bezahlen“, sagte Zielke. Die Unternehmen stünden deshalb vor der Herausforderung, stornobedingte Liquiditätsengpässe zu verhindern. Ab welcher Stornoquote – diese war bereits im Jahr 2021, als noch keine Rekordinflation herrschte, leicht angestiegen – es für die Anbieter kritisch wird, konnte Zielke auf procontra-Nachfrage nicht konkret benennen. Er antwortete aber, dass eher die Lebensversicherer Probleme bekommen würden, die viel Einmalbeitragsgeschäft gezeichnet hätten.
Dieses Problem hatten kürzlich mehrere Versicherungsvorstände auf der DKM angesprochen. Man spüre bereits seit Monaten ein rückläufiges Neugeschäft bei den Einmalbeiträgen, so der Tenor. Da die Banken die Zinserhöhungen schneller und flexibler an ihre Kunden weitergeben können, macht sie das im Kampf um die Sofortanlage von größeren Beträgen attraktiver als die Lebensversicherer. Zwar hat zum Beispiel die Allianz bereits gegengesteuert und die Verzinsung entsprechender Produkte kurzerhand erhöht. „Doch wer 1.000 Euro bei vier Prozent Zinsen und zehn Prozent Inflation einzahlt, hat am Jahresschluss effektiv 945 Euro Kaufkraft“, rechnet Zielke vor. Rationale Kunden würden ihr Geld dann lieber heute verkonsumieren, als es mit garantiertem Verlust anzulegen, schätzt er.
Der hohe Anteil ihrer Einlagen in festverzinslichen, langlaufenden Papieren würde die Lebensversicherer träge und nicht direkt konkurrenzfähig gegenüber den Banken machen, so Zielke weiter. Zumal sich viele stille Reserven in der Kapitalanlage durch den extrem schnellen Umschwung des Zinsniveaus nun zunehmend in stille Lasten verändern werden.
Zwei Ratschläge für die Lebensversicherer
Um einen deutlichen Rückgang des Neugeschäfts sowie eine stark steigende Stornoquote einzudämmen, empfiehlt der Versicherungsökonom den Unternehmen zwei Maßnahmen: Zum einen sollten sie auf bankähnliche Produkte setzen. Für ideal hält Zielke sogenannte Tranchenprodukte, also Garantieverträge mit externer Sicherung. Sie würden Sicherheit und Partizipation an einer Anlagestrategie kombinieren und die jüngst gestiegenen Kapitalmarktzinsen würden sehr attraktive Konditionen für diese Produktart bieten, wodurch sich Garantieniveaus von 100 Prozent und mehr darstellen ließen.
Noch viel wichtiger, um neue Kunden gewinnen und alte halten zu können, sieht der Versicherungsökonom die Herausstellung der Attribute, dass deren Geld bei den Versicherern sicher und gegebenenfalls nach ESG-Kriterien angelegt ist. „Dieses gute Gefühl kann dabei helfen, die aktuell negative Realverzinsung in Kauf zu nehmen, die sich eventuell auch bald wieder korrigiert“, rät Zielke. Außerdem empfiehlt er den Unternehmen gegenüber ihren Kunden zu betonen, dass sie ihr Investmentportfolio stärker in Richtung Sachwerte wie Immobilien führen. So könnten sie zeigen, dass sie etwas für den Inflationsausgleich tun und die Negativverzinsung in Grenzen halten.