Ist ein Versicherungsmakler „unabhängig“? Oder ist er „ungebunden“? Oder „treuhänderähnlicher Sachwalter“? Die von den Kommissionsvorschlägen im Mai ausgelöste Debatte, in der auch zwei Vermittlerverbände und ihre jeweiligen Rechtsgutachter auftraten, spricht für eine Identitätskrise des Berufsstands. Was unterscheidet den Versicherungsmakler vom „gemeinen“ Versicherungsvertreter, und warum braucht es trotzdem auch noch einen Versicherungsberater? Und müssen Versicherungsmakler ein Alleinstellungsmerkmal aufgeben, wenn sie künftig weiter Courtage beziehen wollen?
Sind nicht alle inzwischen „Sachwalter“?
Die Verwirrung beginnt bei den Begriffen. Nach einer oft zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1985 ist der Versicherungsmakler „treuhänderähnlicher Sachwalter des Kunden“. Das Gericht hatte zudem ausgeführt, dass er das auch dann sei, wenn Makler wie in vielen Ländern üblich, durch Provision von den Versicherern entlohnt werden.
„Treuhänderähnlicher Sachwalter“ bedeutet allerdings nicht automatisch „unabhängig“. Diesen Zusammenhang kann man dem BGH-Urteil nicht entnehmen, wie Professor Christoph Brömmelmeyer auf einer Pressekonferenz des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) hervorhob. Und ob „Sachwalter“ wirklich etwas Besonderes sei, müsse man kritisch hinterfragen, seit es den aus der Europäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD stammenden Grundsatz des Handelns im bestmöglichen Interesse des Kunden gibt. Dem sind ausnahmslos alle im Versicherungsvertrieb Tätigen unterworfen – Versicherer, Vertreter, Makler, Berater.
Der Begriff „unabhängig“ wurde in der damaligen Urteilsbegründung tatsächlich nur einmal verwendet, um zu erklären, wie ein Vermittler zwischen den Vertragsparteien Versicherer und Kunde agiert: Die „Mittlertätigkeit kann verschiedene Intensität aufweisen, sie kann unabhängig sein oder von einer der beiden Seiten gesteuert werden.“ Etwas später wird ausgeführt, dass der Makler nicht an einen Versicherer „gebunden“ sei. Das könnte man so verstehen, dass der BGH damals einen Gegensatz zwischen „unabhängig“ und „gebunden“ gesehen sowie „gebunden“ im Sinne von „gesteuert“ verstanden hat.
Europa ist es egal, wie deutsche Berufe heißen
In der IDD werden keine Berufsstände reguliert, so Brömmelmeyer, sondern Tätigkeiten. Deshalb ist es Sache des deutschen Gesetzgebers, Klarheit in die Begriffe zu bringen, wenn er eine im Zuge der Kleinanlegerstrategie geänderte IDD umzusetzen hat. Wann das der Fall sein wird, ist noch nicht abzusehen, so der BVK.
Im deutschen VVG werden weder die Begriffe „unabhängig“ noch „gebunden“ verwendet, sondern die berufliche Tätigkeit und deren Auftraggeber bei den drei Berufsständen Versicherungsvertreter, Versicherungsmakler und Versicherungsberater in § 59 VVG kurz und knapp erläutert. Der erstgenannte vermittelt oder schließt Versicherungen im Auftrag eines Versicherers ab. Der zweitgenannte macht dasselbe, ohne dafür von einem Versicherer oder Vertreter betraut worden zu sein. Der drittgenannte berät den Kunden und vertritt ihn außergerichtlich gegenüber dem Versicherer. So weit, so unklar.
Nicht abhängig, also unabhängig?
Die Gewerbeordnung (§ 34d GewO) übernimmt diese Definitionen. Wieder wird kein Begriff „unabhängig“ verwendet. Der Versicherungsberater darf allerdings keine Vergütungen von einem Versicherer annehmen oder sich „in anderer Weise von ihm abhängig“ machen. Das wiederum hat wohl den Verbraucherzentrale Bundesverband bewogen, in zwei erfolgreichen, aber noch nicht rechtskräftigen Verfahren Wettbewerbsverstöße zu behaupten, die die beklagten Makler begangen haben sollen.
Im einen Fall rügte das Landgericht Köln, der Makler habe Versicherungsberatertätigkeiten und Honorarentlohnung angeboten. Es setzte sich dabei allerdings nicht mit der Tatsache auseinander, dass genau dazu Versicherungsmakler nach § 34d Abs. 1 S. 8 GewO befugt sind, wenn auch nur gegenüber bestimmten Kunden. Im anderen Fall schloss sich das Landgericht Bremen der Meinung des Klägers an, dass ein Makler auf seiner Webseite keine „unabhängige Beratung“ versprechen dürfe.
Ungebunden sei der Makler und frage hinreichend viele Versicherer
In der IDD wird ebenfalls keine Antwort auf die Frage geliefert, was „unabhängig“ ist. Aber immerhin taucht an einer Stelle der Begriff „ungebunden“ auf: In Artikel 29 wird für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten die Beratungsgrundlage definiert, die dann einzuhalten ist, wenn man „dem Kunden mitteilt, dass die Beratung ungebunden erfolgt“.
Das ist allerdings genau die Beratungsgrundlage des Versicherungsmaklers, wie sie auch für alle anderen Versicherungen im Artikel 20 Abs. 3 IDD definiert wird und in den § 60 Abs. 1 S. 1 VVG übernommen worden ist. Es geht dabei um eine „hinreichende Anzahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und von Versicherern“, die dem Rat zugrunde zu legen sind, um „nach fachlichen Kriterien“ eine Empfehlung einer geeigneten Versicherung abgeben zu können.
In Bremen kann man auch teilunabhängig sein
Mit „fachlichen Kriterien“ ist nun sicher nicht gemeint, „nach der höchstmöglichen Provision“, wie es wohl vonseiten der Verbraucherschützer unterstellt wird. Das Bremer Landgericht leitete daraus einen gesteigerten Unabhängigkeitsanspruch ab, man müsse „vollständig unabhängig von etwaigen Provisionen oder anderen Zuwendungen“ sein. Kann man also teilunabhängig und vollständig unabhängig sein?
Letzteres wäre allerdings nicht einmal der deutsche Versicherungsberater. Denn seit die IDD ins deutsche Recht umgesetzt wurde, darf der Versicherungsberater laut § 34d Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GewO „für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen“ übernehmen. Zwar darf er auch dafür nicht vom Versicherer vergütet werden. Für einen „Abschluss von Versicherungsverträgen“ wäre allerdings schon einmal eine Zeichnungsvollmacht eines Versicherers nötig – kann man dann trotzdem noch „vollständig unabhängig“ sein? Oder wenigstens „teilunabhängig“ wie ein Makler? Ist der Berater dann also doch ein Makler?
Und dann heißt es in der GewO auch noch weiter, dass der Versicherungsberater soweit möglich Nettotarife anbieten soll. Wenn nicht, dann gehen auch Bruttotarife, und der Versicherungsberater soll eine „Auskehrung der Zuwendungen durch das Versicherungsunternehmen an den Versicherungsnehmer“ veranlassen. Wenn man aber einem Courtage-Versicherungsmakler unterstellt, er suche Versicherungen nach höchstmöglicher Courtage aus, sollte man dann nicht redlicherweise ansatzweise in Betracht ziehen, dass ein Versicherungsberater auch seine Empfehlungen danach ausrichten könnte, wo er dem Kunden den höchsten „Rabatt“ beschaffen kann, zumal das Honorar dann umso leichter zu rechtfertigen wäre?
Gebunden ist man als Erlaubnisfreier – sonst nicht?
Aber der deutsche Gesetzgeber hat sich schon viel früher selbst ein Definitionsproblem geschaffen. In § 15 VersVermV steht völlig unvermittelt ein Begriff des „gebundenen Versicherungsvertreters“, und zwar in Zusammenhang mit der statusbezogenen Erstinformation beim Neukunden. Den Begriff sucht man in der GewO vergeblich.
Diesen Status soll der erlaubnisfreie Versicherungsvertreter angeben, der von einem Versicherer ins Vermittlerregister eingetragen wurde. Preisfrage: Ist dann im Umkehrschluss der Ausschließlichkeitsvertreter mit Gewerbeerlaubnis ein „ungebundener Vertreter“? Oder gar gleich ein „Mehrfachvertreter“, wie es jedenfalls die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) seinen Webseitenbesuchern erklären will?
Wenn offenbar schon Ausschließlichkeitsvertreter „ungebunden“ sein können, was ist dann noch der Unterschied zum Makler? Und warum die Aufregung über dessen Bezeichnung als „unabhängig“? Hintergrund des Begriffs „gebundener Vertreter“ war übrigens eine solche Definition in der alten EU-Versicherungsvermittlerrichtlinie IDD, die es aber nicht in die heutige IDD geschafft hatte. Damals waren damit alle Arten von Ausschließlichkeitsvertretern gemeint. An spätere deutsche Spitzfindigkeiten mit unterschiedlichen Registrierungsbestimmungen und daraus abgeleiteten Gewerbebegriffen haben die Autoren der IMD sicher nicht denken müssen.
Begrifflich besteht gar kein Unterschied
Aber dennoch: Wäre eine Selbstbezeichnung des Maklers als „ungebunden“, aber nicht als „unabhängig“, die Lösung? Ein nüchterner Blick in den Duden zeigt Folgendes: „Unabhängig“ bedeutet danach, „nicht von etwas beeinflusst, durch etwas bedingt, bestimmt“. „Ungebunden“ wird erklärt mit: „durch keinerlei verpflichtende Bindungen festgelegt; frei von Verpflichtungen“. Als Synonym werden für beide Begriffe weitgehend identisch angegeben: „autonom, eigenständig, eigenverantwortlich, emanzipiert“.
Kurz gesagt: Unabhängig und ungebunden ist quasi dasselbe. Und keiner der bestehenden Vermittler- und Beratertypen kann von sich in jeglicher Hinsicht sagen, „nicht von etwas beeinflusst“ oder vollkommen „frei von Verpflichtungen“ zu sein. Vertreter sind per Vertretervertrag durch einen oder mehrere Versicherer verpflichtet und von diesen beeinflusst. Courtage-Makler unterwerfen sich implizit und explizit Pflichten wie einer Interessewahrung durch Annahme von Courtagezusagen und lassen sich möglicherweise von Courtagehöhen beeinflussen. Honorar-Makler und Versicherungsberater sind beeinflusst durch die Gestaltung von Nettotarifen sowie von Durchleitungslösungen, insbesondere, wenn man dem Kunden erklären will, welchen Gegenwert er für sein Honorar erwarten darf.
Und schließlich noch eine letzte Frage: Kann es für einen Kunden überhaupt hilfreich sein, von jemandem beraten zu werden, der für sich in Anspruch nehmen kann, so richtig „vollständig unabhängig“ zu sein? Denklogisch wäre das jemand, der null Komma null Einfluss aus einer Beziehung zu Versicherern geltend machen kann, weil er sich in keiner Weise beeinflussen lässt. Das mag bei einem Rechtsanwalt oder einem Richter funktionieren, wenn der eine abstrakte Rechtsfrage zu einem längst bestehenden Versicherungsvertrag aus neutraler Sicht prüfen soll. Aber bei jemandem, der dem Kunden helfen will, die richtige Versicherung zu finden und abzuschließen, oder sich zu kümmern, dass die Versicherung auch laufend zu den Bedürfnissen des Kunden passt? Mit dogmatischer Prinzipienreiterei entfernt man sich komplett vom Kunden und seinen Bedürfnissen.
Bis der ganze Wirrwarr geklärt ist, sollten Makler vielleicht einfach die Definition aus dem VVG verwenden und sämtliche Begriffe wie „unabhängig“ und „ungebunden“ meiden. Man kann sich damit Ärger ersparen.