Betriebsschließungen: Corona wird zum Stresstest für die Versicherungsbranche

Millionen Geschäfte haben aktuell geschlossen und verlieren dadurch viel Geld. Können Versicherer solche Schäden ablehnen? Was Makler über die aktuelle Situation wissen sollten, erläutert procontra in diesem und darauf folgenden Artikeln.

16:03 Uhr | 26. März | 2020
Viele Betriebe in Deutschland mussten aufgrund der Corona-Krise schließen.

Viele Betriebe in Deutschland mussten aufgrund der Corona-Krise schließen. Foto:picture alliance/Christoph Schmidt/dpa

Dr. Knut Pilz gilt seit seinem Kreuzzug im PKV-Treuhänderstreit nicht gerade als Freund der Versicherungsunternehmen. Doch die aktuellen Argumente des Fachanwalts für Versicherungsrecht können nicht einfach abgetan werden. Seiner Berliner Kanzlei würden Schreiben der Ergo Versicherung AG vorliegen, die ihren Kunden die Deckungszusage für Corona-Schäden verweigert. Konkret geht es dabei um bestehende Betriebsschließungsversicherungen (BSV).

Pilz erklärt: „Unterhält der Betreiber eine sogenannte Betriebsschließungsversicherung, gehen wir davon aus, dass der Versicherer in der Regel für die eintretenden Schäden leisten muss. Versichert sind üblicherweise Schäden, die dem Betreiber aufgrund einer behördlichen Schließung entstehen, welche auf einer der im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten beruht.“ Doch laut Pilz würden das, neben den Düsseldorfern, noch weitere Versicherer nicht so sehen und die Leistung ablehnen.

Die Allgemeinheit fordert Antworten

Von der Ergo heißt es dazu auf mehrfache procontra-Nachfrage nur: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu einzelnen Kundenbeziehungen nicht äußern. Es ist immer eine Einzelfallentscheidung, die vom gewählten Versicherungsprodukt abhängig ist.“ Auf die Diversität von Einzelfällen kann in der aktuellen Situation aber nicht abgestellt werden. Vielmehr ist die Allgemeinheit betroffen und somit alle vorhandenen BSV-Tarife. Schließlich sind nach den Anordnungen der 16 Bundesländer mittlerweile Millionen von Geschäften geschlossen.

Während die Einnahmen ausbleiben, fallen bei den Betrieben vermutlich täglich Kosten in Milliardenhöhe an, zum Beispiel für Miete und Personal. Schäden, gegen die sich Unternehmer mit einer BSV zumindest teilweise abgesichert sahen. Doch anscheinend ist die Regulierung der Corona-bedingten BSV-Schäden ein hochkomplexes Thema, dass die Versicherer derzeit einer regelrechten Zerreißprobe unterzieht. Das zeigt auch der Umgang weiterer Anbieter mit der Situation.

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Namentlich nennt Tobias Strübing die Axa als einen der Versicherer, die aktuell die Deckung für BSV-Schäden aufgrund des Coronavirus ablehnen. Der Fachanwalt für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte erläutert den Hintergrund: „Es gibt Versicherungsbedingungen, die nur pauschal auf das Infektionsschutzgesetz verweisen und Versicherungsschutz bieten, wenn eine in diesem Gesetz genannte meldepflichtige Krankheit zu einer Schließung führt. Dann dürfte dem Grunde nach Versicherungsschutz bestehen.“

Einige Versicherer, darunter die Axa, gehen anders vor. Sie verweisen zwar auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG), listen darauf aufbauend aber zusätzlich in ihren Bedingungen bestimmte Krankheiten auf, die versichert sein sollen. Da das Coronavirus beziehungsweise Covid-19 noch nicht lange bekannt ist, taucht es in diesen Auflistungen regelmäßig nicht auf, weshalb sich die Versicherer nicht in der Leistungspflicht sehen.

Allgemeine Anordnung oder Einzelverfügung?

Eigentlich dürfte dieses Argument nicht gelten. Denn als schnelle Reaktion auf das im Dezember 2019 in China erstmals aufgetretene Virus war hierzulande im Januar eine staatliche Verordnung erlassen worden, die zum 1. Februar in Kraft getreten ist. Diese hat eine Ausdehnung der meldepflichtigen Krankheiten nach § 6 IfSG auf das Coronavirus festgelegt. In den meisten Fällen dürften die Versuche der Versicherer, die Leistung abzulehnen, einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten, glauben die Juristen Pilz und Strübing.

Eine weitere brennende Frage ist derzeit, ob die BSV-Policen auch bei der jetzigen allgemeinen Anordnung greifen oder ob für die Leistungspflicht der Versicherer eine konkret gegen den individuellen Betrieb gerichtete Einzelverfügung notwendig ist. Laut Strübing sei dies zwar gegenwärtig in vielen Fällen streitig.

Bei der Kanzlei Wirth geht man jedoch davon aus, dass die allgemeinen Anordnungen ausreichem, weil die meisten Bedingungen dies nicht exakt geregelt hätten. Unterstützung erhalten Makler und ihre BSV-Kunden auch von der Hamburger Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte. Auf deren Internetseite findet sich eine Reihe von Antworten auf die häufigsten Fragen zur aktuellen Situation in der BSV. Zudem hat die Kanzlei ein Musterschreiben verfasst, das Makler oder auch direkt ihre Kunden an Versicherer richten können, die sich bei der Schadenregulierung derzeit noch zieren. Das Schreiben thematisiert auch eine mögliche persönliche Haftung der Versicherungsvorstände bei nachweislich gesetzeswidrigem Handeln.

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Doch auch für Makler könnte sich die BSV während der Corona-Krise verstärkt zu einem Haftungsthema entwickeln. Etwa dann, wenn die Vermittler bestimmte Kunden nicht auf die Versicherbarkeit behördlich bedingter Betriebsschließungen angesprochen haben. Dass es sich dabei – auch bedingt durch die aktuelle Ausnahmesituation – um ein hochemotionales Thema handelt, hatten die Reaktionen auf ein kürzlich geführtes Interview mit einem Juristen gezeigt. Dieser hatte in infolge der Entwicklungen eine auf Makler hereinbrechende Klageflut prophezeit.

Deutlich entspannter sieht man die Situation bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Es sei zwar mit Fällen zu rechnen, in denen Kunden ihre Makler wegen nichtversicherten Schäden in die Haftung nehmen wollen, heißt es dazu von Rechtsanwalt Jens Reichow. Mindestens ein solcher Fall eines Maklers würde seiner Kanzlei auch schon vorliegen. Die Hamburger Juristen gehen jedoch davon aus, dass es nicht zu einer Klagewelle kommen, sondern bei Einzelfällen bleiben wird.

Knackpunkt dafür sei die Frage, ob gemäß § 61 VVG ein konkreter Beratungsanlass bestanden habe. Die Rechtsprechung gehe hier von einem weit gefassten Beratungsanlass aus. „Soweit die betrieblichen Versicherungen thematisiert wurden, wäre daher sicherlich auch über eine Betriebsunterbrechung oder Betriebsschließung zu reden gewesen, selbst wenn zum Zeitpunkt der Beratung oftmals die Bedrohung durch das Coronavirus noch weit weg war“, erklärt Reichow.

Allerdings ist nach jetzigem Kenntnisstand davon auszugehen, dass hier auch nach den Betriebsarten zu unterscheiden ist. Beispielweise müsste das Risiko behördlicher Betriebsschließungen nach dem IfSG etwa bei Gastronomiebetrieben oder medizinischen Einrichtungen vermutlich anders thematisiert werden als bei Bürobetrieben.

Kunde muss Beratungsanlass beweisen

Im Idealfall könne der Makler eine Beratungsdokumentation vorweisen, aus der hervorgeht, dass die konkreten Themen beim Kunden angesprochen wurden oder die belegt, dass der Kunde nur ganz gezielt nach konkreten Absicherungen gefragt hat. Auch die weitere Korrespondenz mit dem Kunden komme als Beweismittel in Betracht, so Reichow.

Der Jurist erläutert weiter: „Selbst wenn der Versicherungsmakler keine entsprechende Dokumentation vorweisen kann, so dürften seine Chancen sich gegen die Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers wegen nichtversicherter Schäden des Coronavirus zu wehren, durchaus gut sein. Denn selbst beim Fehlen einer solchen Dokumentation wäre der Versicherungsnehmer beweisbelastet dafür, dass es einen Beratungsanlass gegeben hat. Die bekannte Beweislastumkehr bei fehlender Dokumentation gilt nämlich nur, wenn feststeht, dass es einen Beratungsanlass gegeben hat und es um die Frage geht, ob der Versicherungsmakler die ihm obliegende Beratungspflicht erfüllt hat.“

Sofern sich das Haftungsthema für Makler aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließungen erhärtet, steht ihnen grundsätzlich ihre Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (VSH) zur Seite. Sie begleicht Schäden aufgrund von Beratungsfehlern und trägt auch die Kosten zur Abwehr unbegründeter Ansprüche. Genauere Informationen, worauf es dabei in der aktuellen Situation ankommt, werden wir zeitnah in weiteren Beiträgen erörtern.  

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