DAV präsentiert neue Zahlen: So hat sich die BU-Wahrscheinlichkeit entwickelt
Die Welt hat sich seit 1997 erheblich verändert: Statt des sogenannten Millenium-Bugs, der zur Jahrtausendwende den Absturz zahlreicher Computersysteme verursachen sollte, fürchten die Menschen heute die Corona-Pandemie, statt eines Tamagochis werden wieder Haustiere aus Fleisch und Blut, die sich viele Menschen während der Corona-Krise anschafften, gefüttert.
Eine Erkenntnis hat aber nach wie vor Bestand: Die Berufsunfähigkeit bleibt für die Deutschen eines der größten, aber auch am meisten unterschätzten Gefahren. „Ohne eine entsprechende Absicherung sind das für die meisten kaum zu kompensierende Einschnitte im Haushaltseinkommen und für Alleinverdiener oder Singles kann das sogar den Ruin bedeuten“, erklärte Dr. Herbert Schneidemann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV).
Ein Mahnruf, der in der Vergangenheit offenbar nicht immer die Zielgruppe erreichte. So hatten sich im Jahr 2019 von insgesamt 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland gerade einmal 17 Millionen gegen eine Invalidität abgesichert. „Die Menschen versichern ihr Smartphone, aber nicht ihre Arbeitskraft und damit ihre Existenzgrundlage“, mahnte Schneidemann bei einem DAV-Pressegespräch, auf dem die Versicherungsmathematiker die neuen Tafeln vorstellten, mit denen die Versicherer ihre Reservierung für BU-Schäden auf Angemessenheit untersuchen können. Die letzten Tafeln stammten noch aus dem Jahr 1997.
Signifikanter Anstieg bei jungen Frauen
Denn das Risiko, berufsunfähig zu werden, ist kein starres, sondern steht durchaus im Zusammenhang mit aktuellen Entwicklungen, beispielsweise der Digitalisierung und dem Klimawandel. So weisen einige Studien daraufhin, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der weltweit zu beobachtenden Zunahme von Atemwegserkrankungen kommt. Experten gehen davon aus, dass auch schwerere Krankheitsverläufe in Zukunft wahrscheinlicher werden.
Gleiches gilt für das Thema Hautkrebs – zwar gibt es noch keine Beweise, dass durch den Klimawandel das Hautkrebsrisiko steigt, Indizien für diese These gibt es allemal. So stieg laut Deutscher Krebsgesellschaft die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland von 144.000 Fällen im Jahr 2007 auf 224.000 im Jahr 2015. Das Umweltbundesamt warnte zuletzt, dass die Zunahme von Hitze, Starkregen und Orkane nicht nur physische Auswirkungen auf die Menschen haben könne, sondern auch psychische. So könnten sich die für den Menschen nachteilig entwickelnden klimatischen Bedingungen auch in Stress, Angstzuständen und Depressionen niederschlagen.
Bei den BU-Versicherern selbst diagnostiziert man dann auch eine Zunahme psychischer Erkrankungen - insbesondere bei jüngeren Frauen. So haben Frauen unter 40 Jahren im Vergleich zur vorangegangenen Untersuchung vor 20 Jahren (1997) ein um über 30 Prozent erhöhtes Risiko – „ein signifikanter Anstieg“, erklärte DAV-Vorstandsmitglied Nils Dennstedt, der vor allem auf psychische Erkrankungen zurückzuführen ist. Bei Männern dieser Altersgruppe blieb die BU-Wahrscheinlichkeit hingegen stabil. Die Gründe für diese Entwicklung bleiben aber vorerst unklar – verantwortlich hierfür könnten neben dem Klimawandel auch die stärkere Doppelbelastung bei Frauen sein, Beruf und Familienplanung unter einen Hut zu bekommen. Auch ein stärkeres Bewusstsein für psychische Erkrankungen könnte diese Entwicklung mitverursachen.
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Erfreulicher fällt hingegen die Entwicklung bei älteren Menschen – Männern wie Frauen – aus. So sank die Wahrscheinlichkeit, berufsunfähig zu werden, bei weiblichen Versicherungsnehmern um 36 Prozent, bei männlichen gar um 45 Prozent. „Hier spiegelt sich der Wandel der Arbeitswelt wider“, ordnete Schneidemann die Entwicklungen ein. „Zum einen sind immer weniger Personen in körperlich anstrengenden Berufen tätig und zum anderen sinken generell die körperlichen Anforderungen in vielen Berufen. Dieser positive Trend überkompensiert glücklicherweise den auch in dieser Altersklasse zu beobachtenden Anstieg der Schadenfälle durch psychische Erkrankungen“, konstatierte Schneidemann.
Eine positive Entwicklung der vergangenen Jahr stellt die Tatsache dar, dass immer mehr Versicherte schnell in ihren Beruf zurückkehren können. Laut Dennstedt würden 19 Prozent der Versicherten in den ersten zwei Jahren ihrer Berufsunfähigkeit wieder in ihren zuletzt ausgeübten Beruf zurückkehren, vor 20 Jahren waren es nur elf Prozent. Dies sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass immer mehr Versicherer Wiedereingliederungsmaßnahmen und Assistance-Leistungen für ihre Versicherten anbieten.
Wer hingegen länger als drei Jahre berufsunfähig war, bei dem schwinden die Chancen, wieder in seinen Beruf zurückzukehren. Von dieser Gruppe landeten nur 16 Prozent wieder im Berufsleben. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es noch 26 Prozent gewesen.
Covid-Effekt noch unklar
Keine Aussagen machten die Aktuare dazu, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf das BU-Risiko hat. Dies liegt zum einen daran, dass die nun erstellten Tafeln auf Daten aus dem Zeitraum von 2011 bis 2015 basierten – also lange, bevor die Corona-Pandemie ein Thema wurde. Zudem würden sich Langzeitfolgen einer Erkrankung – auch unter dem Begriff „Long Covid“ bekannt – erst in den kommenden Jahren zeigen. Die Auswirkungen von Long Covid könnten ersten Einschätzungen der Aktuare allerdings weitgehend abgefedert werden, erklärte Schneidemann.
Schneidemann und seine Kollegen machten zudem klar, dass die Tafel des DAV keine Aussagen über die Preisgestaltung, sondern nur über die Reservierung machten. Nennenswerte Preiseffekte durch die neuen Zahlen erwarte er aber nicht, erklärte Schneidemann, schließlich würden die einzelnen Versicherer ihrer Bestand sowie das Leistungsaufkommen stets im Blick haben.
Makler können aus den DAV-Zahlen neue Beratungsansätze insbesondere gegenüber jüngeren Kunden gewinnen. Erneut zeigt sich, dass psychische Ursachen die Hauptursache für eine Berufsunfähigkeit sind, folglich jeder Arbeitnehmer betroffen sein kann. Auch der Einwand, sich mit der Absicherung seiner Arbeitskraft Zeit lassen zu können, lässt sich angesichts der neuen Entwicklungen entkräften.
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