DVAG-Schelte wird zur Provisions-Kritik

In gleich zwei Sendungen widmete sich das ZDF den Geschäftspraktiken von Deutschlands größtem Finanzvertrieb, der DVAG. Viele der Vorwürfe sind bekannt und dürften am Unternehmen abprallen – Leidtragender könnte hingegen jemand vollkommen Unbeteiligtes werden.

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11:11 Uhr | 17. November | 2021
Jan Böhmermann Bild: picture alliance/Eventpress Golejewski

Jan Böhmermann knöpfte sich in seinem "ZDF Magazin Royale" den Allfinanzvertrieb DVAG vor. Bild: picture alliance/Eventpress Golejewski

Einen Anruf der unangenehmen Art haben viele Deutsche schon bekommen: Ein alter Schulfreund meldete sich nach Jahren der Funkstille überraschend. Nach zwei, drei Sätzen Smalltalk wird das Gespräch dann schnell auf den Versicherungsschutz oder die Geldanlage gelenkt – hier hat der alte Schulfreud schließlich ein paar ganze heiße Angebote in petto.  

Insbesondere Beschäftigte von Strukturvertrieben sind angehalten, ihre ersten Kunden aus dem Familien- und Freundeskreis zu generieren. Diese Vorwürfe sind nicht neu und wurden in den vergangenen Tagen vom ZDF erneuert, das sich in zwei Sendungen – dem „ZDF Magazin Royale“ sowie „Frontal 21“ – mit Deutschlands größtem Finanzvertrieb, der DVAG, auseinandersetzte.  

"Gehirnwaschende Drückerkolonne"

An Schärfe fehlte es dabei nicht: Als „gehirnwaschende Drückerkolonne“ bezeichnete Satiriker Jan Böhmermann den 1975 von Reinfried Pohl gegründeten Finanzvertrieb. Böhmermann selbst präsentierte sich als Klischee-Vertriebler, der sich versehen mit Gelfrisur und Einstecktuch anfangs begeistert der DVAG anschloss, am zunehmenden Vertriebsdruck schließlich aber zerbrach, so dass sich sein Haartransplantat – eine Anspielung auf DVAG-Werbeikone Jürgen Klopp – stressbedingt und blutend ablöste.  

Der hohe Vertriebsdruck auf die einzelnen Vermögensberater wurde auch am Dienstag in der Politsendung „Frontal 21“ aufgegriffen, in der eine Aussteigerin aus dem Innenleben des Finanzvertriebs plauderte. „Meiner Meinung nach kann man die Ziele nur erreichen, wenn man skrupellos ist und den Kunden ins Gesicht lügt“, erklärte die anonym bleibende Ex-Angestellte, dass bei der DVAG die Interessen der Vermögensberater über denen der Kunden stünden. Es gelte schlicht und einfach, möglichst viel zu verkaufen, um auf der Karriereleiter nach oben zu kommen, so der Vorwurf. Die Beratungsqualität bliebe dabei auf der Strecke.  

Als Beleg hierfür wird das Beispiel einer 29-jährigen Kundin genannt, die bei der DVAG einen Fondssparplan, eine Riester-Rente und eine weitere Rentenversicherung abgeschlossen hatte. Von den hierfür eingezahlten 2.400 Euro gingen 542 Euro für Verwaltungskosten drauf – die Kosten fressen die Rendite auf.  

Bekannte Kritikpunkte

Die Vorwürfe sind nicht neu – immer wieder berichten Aussteiger negativ über Deutschlands größten Finanzvertrieb. „Es ist wie Gehirnwäsche“, titelte der „Spiegel“ beispielsweise im Frühjahr 2019 und berichtete über zwei Aussteiger, deren Aussagen sich weitgehend mit denen der anonymen Ex-DVAG-lerin aus dem ZDF decken.  

Für Negativschlagzeilen in der Branche sorgte zuletzt zudem ein sogenannter Mandantenschutzbrief. In diesem, mit dem Logo der DVAG versehenen Brief wurde Kunden, die ihre bei der DVAG abgeschlossenen BU- oder Rentenversicherungen kündigen wollten, über damit verbundene erhebliche Vermögensverluste informiert. Sollten Makler dennoch zur Kündigung raten, sollten diese auf einem beigefügten Formular die möglichen Verluste genau beziffern.  

Die DVAG stritt damals auf procontra-Nachfrage eine Urheberschaft ab. Ein entsprechendes Geschäftsgebahren werde zudem nicht unterstützt. Auch die Vorwürfe des ZDF wies das Unternehmen routiniert zurück.  

Grund zur Sorge besteht offenbar nicht. Trotz vieler Negativschlagzeilen floriert das System: Im März dieses Jahres vermeldete der Finanzvertrieb ein weiteres Rekordergebnis. Der Umsatz kletterte um 5,9 Prozent auf 1,98 Milliarden Euro, der Jahresüberschuss wuchs um vier Prozent auf 211,8 Millionen Euro.  

Kritik am Provisionssystem

Leidtragender der Berichterstattung ist somit nicht die DVAG selbst, sondern vielmehr der Durchschnittsmakler, sofern er auf Provisionsbasis berät. Denn der Sprung von der DVAG-Kritik hin zur Kritik am Provisionssystem ist schnell gemacht. „Der Provisionsanreiz entpuppt sich sehr schnell als Fehlanreiz“, erklärt Professor Hartmut Walz von der Hochschule Ludwigsburg gegenüber „Frontal 21“. Es entsteht der Eindruck, dass die zweifelhaften Geschäftsmethoden der DVAG stellvertretend für die gesamte Branche stehen, da diese schließlich auch überwiegend auf Provisionen setzt.  

Das Provisionssystem wird somit wieder an den Pranger gestellt. Die Folgen bleiben abzuwarten: Derzeit verhandeln die sogenannten Ampel–Parteien laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung wieder über die Einführung eines Provisionsdeckels. Welches Ergebnis diese Verhandlungen haben werden, wird in den kommenden Wochen zu sehen sein.