EU strafft Nachhaltigkeitsregularien – sinnvoll oder Rolle rückwärts?
Die EU-Kommission hat ein sogenanntes Omnibus-Paket zum Bürokratieabbau vorgelegt. Es sieht unter anderem vor, dass kleine und mittelgroße Unternehmen von den Berichtspflichten der Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) befreit werden. Darüber hinaus sind Vereinfachungen bei der EU-Taxonomie und bei der Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) vorgesehen. Die EU will so die Wettbewerbsfähigkeit und die Resilienz der europäischen Wirtschaft stärken (procontra berichtete).
Götz Treber, Leiter Kompetenzzentrum Unternehmenssteuerung und Regulierung beim Gesamtverband der Versicherer (GDV), begrüßt die Gesetzesinitiative, Verena Menne, Geschäftsführerin des Forum Nachhaltige Geldanlagen e.V (FNG), sieht das indes kritischer.
Die Omnibus-Initiative ist gut für die Wettbewerbsfähigkeit EuropasGötz Treber
Leiter Kompetenzzentrum Unternehmenssteuerung und Regulierung beim GDV
Die EU-Kommission will Unternehmen von überflüssigen Berichtspflichten befreien und die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Gut so: Es geht los mit dem versprochenen Bürokratieabbau in Brüssel.
Europa ist der Standort weltweit führender Erst- und Rückversicherer und verfügt über einen bedeutenden Versicherungsmittelstand. Ein starker, diverser Versicherungssektor stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union, weil er Risikoschutz und Finanzierung für die Realwirtschaft bereitstellt. Wird der Sektor gestärkt, kommt das auch der Wirtschaft und damit der Wettbewerbsfähigkeit Europas zugute.
Das Omnibus-Paket zur Nachhaltigkeit ist nur ein Baustein des Arbeitsprogramms der EU-Kommission zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit. Es ist auch eine Antwort auf die Bestandsaufnahme von Mario Draghi, der in seinem Bericht zur Zukunft europäischer Wettbewerbsfähigkeit vom September 2024 US-amerikanische mit europäischer Regulierung verglichen hat: „[…] around 3,500 pieces of legislation were enacted and around 2,000 resolutions were passed in the US at the federal level over the past three Congress mandates (2019-2024). During the same period, around 13,000 acts were passed by the EU.” Allein die im gleichen Zeitraum zusätzlich veröffentlichten Dokumente, die die Versicherungswirtschaft betreffen, umfassen nach GDV-Schätzung über 10.000 Seiten.
Hohe Umsetzungskosten
Wir Versicherer sehen das Thema von zwei Seiten: Als Nutzer von Nachhaltigkeitsinformationen schätzen wir Daten von hoher Qualität. Auf der anderen Seite wissen wir als Ersteller von Nachhaltigkeitsinformationen um die Kosten von Daten. Im Zuge der Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) hat die Ampel-Regierung geschätzt, dass der jährliche Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft 1,58 Milliarden Euro beträgt – eines der teuersten Gesetzgebungsvorhaben der alten Bundesregierung. Nach Schätzung zahlreicher Versicherer können die tatsächlichen Umsetzungskosten sogar höher liegen.
Entlastung für kleine und mittelständische Versicherer
Genau hier knüpft das Omnibus-Paket zur Nachhaltigkeit an, mit dem die EU-Kommission die Berichtspflichten entschlossen reduzieren will. Vorgeschlagen wird, dass ein Teil der kleinen und mittelständischen Versicherer von den umfangreichen Anforderungen der Nachhaltigkeitsberichtsrichtlinie befreit werden soll. Richtig ist auch, auf zusätzliche sektorspezifische Nachhaltigkeitsstandards zu verzichten. Insgesamt sollen die zu berichtenden Datenmengen deutlich reduziert werden.
Rat und Parlament sollten nun möglichst schnell Rechtssicherheit schaffen. Ziel sollte eine Nachhaltigkeitsberichterstattung sein, die den Fokus auf die wirklich nützlichen Informationen legt.
Das Omnibus-Gesetzgebungspaket der EU sendet ein falsches SignalVerena Menne
Geschäftsführerin des Forum Nachhaltige Geldanlagen e.V (FNG)
Die EU-Kommission hat mit ihrem Omnibus-Gesetzgebungspaket einen Kurswechsel in der Nachhaltigkeitsregulierung eingeleitet, der Europas Nachhaltigkeitsagenda und damit die Wettbewerbsfähigkeit erheblich gefährdet. Aus dem anfänglichen Ziel Bürokratie abzubauen, könnte ein Kahlschlag in der Nachhaltigkeitsberichterstattung und Lieferkettenregulierung werden.
Wirtschaftliche Chancen und Risiken durch den Klimawandel sind damit für Investoren weniger klar erkennbar – das Gesetzespaket könnte somit ein großer Rückschritt bei der Umlenkung von Kapital in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten werden.
Zugang zu Nachhaltigkeitsdaten wird eingeschränkt
Die Vorschläge der Kommission betreffen die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), die Taxonomieverordnung und die CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive). Zukünftig könnten 80 Prozent der aktuell erfassten Unternehmen aus den Nachhaltigkeitsberichtspflichten der CSRD fallen. Damit würde der Zugang zu entscheidenden und vergleichbaren Nachhaltigkeitsdaten stark eingeschränkt.
Dass die EU-Taxonomie für viele Unternehmen nur noch freiwillig angewandt werden soll, würde ebenso dazu beitragen, dass die Transparenz am Markt reduziert und eine Fragmentierung von Nachhaltigkeitsdaten die Folge sein wird. Investoren würden dadurch deutlich weniger Orientierung haben.
Die mögliche Lockerung der Sorgfaltspflichten zu Umwelt- und Menschenrechten entlang der Lieferkette und das Aufweichen der Umsetzungsanforderung der Klimatransitionspläne für die größten EU-Unternehmen beeinträchtigen zudem die Umsetzung zukunftsorientierter, nachhaltiger Risikobewertungen.
Nachhaltigkeit erfordert Verbindlichkeit und klare Rahmenbedingungen
Damit macht die Omnibus-Initiative aus der notwendigen Vereinfachung der Regulierung eine drastische Reduktion des Ambitionsniveaus der EU-Nachhaltigkeitsagenda. Darüber hinaus schafft sie Rechtsunsicherheit durch den erneuten Gesetzgebungsprozess. Investoren und Finanzinstitute benötigen jedoch verlässliche Rahmenbedingungen und Transparenz, um beurteilen zu können, welche Unternehmen zukunftsfähig aufgestellt sind. Dies betrifft nicht nur Umweltaspekte wie Klima und Biodiversität, sondern auch die Resilienz der Unternehmen entlang ihrer gesamten Lieferkette.
All dies geschieht zu einem Zeitpunkt in der die globale Durchschnittstemperatur im vergangenen Jahr erstmals 1,6 Grad über dem vorindustriellen Niveau lag und täglich ca. 150 Arten aussterben. Dabei hängen 50 bis 100 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung vom Funktionieren der weltweiten Ökosysteme ab. Extremwetterereignisse, Dürren und Überschwemmungen bedrohen die Wirtschaft, der rasante Rückgang der Arten unsere Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten.
Es geht um grundlegende Weichenstellungen
Bei der CSRD, CSDDD und der Taxonomieverordnung geht es nicht um ‚Feel-good-Fragen‘, sondern um grundlegende Weichenstellungen, damit wir unseren wirtschaftlichen Wohlstand nicht gefährden. Wir brauchen eine kohärente Nachhaltigkeitsberichterstattung und -regulierung, die den Finanzmarkt in die Lage versetzt, Risiken einzuschätzen, Chancen zu nutzen und damit einen Beitrag zur Transformation unserer Wirtschaft zu leisten.