Longial-Expertin Sprick: Was bei Insolvenz mit der bAV passiert
procontra: Was bedeutet eigentlich Insolvenz?
Anja Sprick: In der Regel bedeutet die Insolvenz eines Arbeitgebers, dass er überschuldet oder zahlungsunfähig ist. Ist genügend Insolvenzmasse vorhanden und besteht ein Insolvenzgrund, erlässt das Gericht einen Beschluss, mit dem das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt wird. Zu dessen Aufgaben gehört es, die Insolvenzmasse zu verwalten und diese unter den Gläubigern aufzuteilen. Der Insolvenzverwalter tritt dann an die Stelle des Arbeitgebers.
procontra: Und was passiert in einem solchen Fall mit der betrieblichen Altersversorgung der Arbeitnehmer?
Sprick: Die Insolvenzsicherung der betrieblichen Versorgungszusagen hat in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert und ist für die meisten Fälle im Betriebsrentengesetz (BetrAVG) geregelt. Dabei ist der Insolvenzschutz abhängig vom Durchführungsweg, über den die betriebliche Altersversorgung im Unternehmen bzw. die jeweilige Versorgungszusage durchgeführt wird.
procontra: Am weitesten verbreitet ist sicherlich die Direktversicherung in Kombination mit der Entgeltumwandlung und dem gesetzlich verpflichtenden Arbeitgeberzuschuss. Was gilt für diesen Durchführungsweg?
Sprick: Hier muss ich etwas ausholen. Eine Direktversicherung liegt vor, wenn für die betriebliche Altersversorgung eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen wird und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich der Leistungen des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind. Die Bezugsberechtigung kann durch den Arbeitgeber unterschiedlich ausgestaltet werden. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen dem unwiderruflichen Bezugsrecht und dem eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht.
Bei der Entgeltumwandlung über eine Direktversicherung ist nach dem Betriebsrentengesetz (§ 1b Abs. 5) dem Arbeitnehmer mit Beginn der Entgeltumwandlung ein unwiderrufliches Bezugsrecht im Versicherungsvertrag einzuräumen.
procontra: Das bedeutet konkret?
Sprick: Wenn über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet wird, steht dem unwiderruflich Bezugsberechtigten, also dem Arbeitnehmer bzw. seinen engen Hinterbliebenen, ein sogenanntes Aussonderungsrecht an der Direktversicherung zu. Das bedeutet, dass der Insolvenzverwalter die Aussonderungsberechtigten vorweg zu befriedigen hat, da ihre Ansprüche nicht zur Insolvenzmasse gehören und deshalb nicht am Insolvenzverfahren teilnehmen. Der Insolvenzverwalter kann also den Direktversicherungsvertrag nicht kündigen und die Versicherungssumme nicht in die Insolvenzmasse einziehen.
In der Praxis sieht das Aussonderungsrecht so aus, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer mit Zustimmung des Insolvenzverwalters in den Versicherungsvertrag eintreten kann. Der Insolvenzverwalter muss die Freigabe erteilen. Falls der Arbeitnehmer schon einen neuen Arbeitgeber gefunden hat, kann die Direktversicherung auch auf einen neuen Arbeitgeber übertragen werden.
Eine Direktversicherung mit unwiderruflichem Bezugsrecht ist also die sicherste Variante für den Arbeitnehmer. Eines gesetzlichen Insolvenzschutzes nach dem Betriebsrentengesetz bedarf es hier daher nicht, weil hier der Schutz durch die Insolvenzordnung zum Tragen kommt.
procontra: Und wie verhält es sich bei einem eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht?
Sprick: Bei einem eingeschränkt unwiderruflichem Bezugsrecht ist im Insolvenzfall zu prüfen, ob die im Versicherungsvertrag vereinbarten Bedingungen für die Voraussetzungen für ein unwiderrufliches Bezugsrecht bereits vorliegen oder nicht. Diese Art der Bezugsberechtigung wird in der Regel bei rein arbeitgeberfinanzierten Versorgungszusagen vereinbart.
Der Arbeitgeber macht die Unwiderruflichkeit des Bezugsrechts von bestimmten Voraussetzungen, „Einschränkungen“, abhängig. Hierbei handelt es sich insbesondere um Voraussetzungen zur Unverfallbakeit von Anwartschaften. Nach heutiger Rechtslage bleibt die Anwartschaft erhalten, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 21. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens drei Jahre bestanden hat.
Solange diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, hat der Arbeitnehmer nur ein eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht. Scheidet der Arbeitnehmer vor Eintritt der vereinbarten Voraussetzungen aus dem Arbeitsverhältnis aus, hat dann der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Direktversicherung zu kündigen und den Rückkaufswert für sich zu beanspruchen. Im Falle der Insolvenz kündigt in der Regel der Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse.
procontra: Aber als Arbeitnehmer habe ich doch keinen Einfluss darauf, ob mein Arbeitgeber insolvent wird.
Sprick: Das stimmt. Für diese Fälle, bei denen im Rahmen einer Insolvenz dem Arbeitnehmer gekündigt wird und noch kein unverfallbarer Anspruch besteht, hat der Bundesgerichtshof (BGH IV ZR 411/13 vom 24.6.2015) deshalb abweichend entschieden, dass die Versicherungsleistungen dem Arbeitnehmer auch dann zustehen, wenn die Voraussetzungen für ein unwiderrufliches Bezugsrecht mangels ausreichend langer Betriebszugehörigkeit noch nicht vorliegen.
Hintergrund für diese Entscheidung und Ausnahme ist, dass der Arbeitnehmer im Insolvenzfall des Arbeitgebers keinerlei Einfluss auf das Arbeitsverhältnis hat, so dass hier der BGH eine Ausnahme sieht. In diesem Ausnahmefall – Kündigung durch den Insolvenzverwalter – steht das Bezugsrecht trotz Nichteintritt der vertraglich vereinbarten Voraussetzungen an die Unwiderruflichkeit dem Arbeitnehmer und dessen Vermögen zu. Damit sind auch die arbeitgeberfinanzierten Direktversicherungszusagen in solchen Fällen umfassend geschützt.
Daneben gibt es weitere Möglichkeiten, wie eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrechte ausgestaltet werden können. Hinsichtlich des Insolvenzschutzes ist immer der Einzelfall zu betrachten.
procontra: In welchen Fällen greift denn der gesetzlichen Insolvenzschutzes nach dem Betriebsrentengesetz?
Sprick: Der gesetzliche Insolvenzschutz nach dem Betriebsrentengesetz greift bei den anderen Durchführungswegen über Direkt-/Pensionszusagen des Arbeitgebers, über Pensionskassen, wenn es sich um eine regulierte Pensionskasse handelt, über Pensionsfonds, auch wenn die Versorgungsmittel versicherungsförmig angelegt sind und daher im Ergebnis die gleiche Sicherheit wie ein Versicherer dahintersteht, oder über Unterstützungskassen. Das gilt selbst dann, wenn im Falle der Unterstützungskassen die Versorgungszusagen kongruent rückgedeckt sind. Und schlussendlich besteht gesetzlicher Insolvenzschutz auch noch bei Direktversicherungen, in anderen als den oben genannten Fällen.
Bei Arbeitnehmern sind also die betrieblichen Versorgungszusagen hinreichend geschützt. Für sogenannte Organpersonen wie Gesellschafter-Geschäftsführer und Vorstände bedarf es jedoch unter Umständen erweiterter Schutzmechanismen, um diese Zusagen im Falle einer Insolvenz für den Versorgungsberechtigten zu erhalten.