Lieber jetzt höhere Rentenbeiträge als später eine niedrigere Rente
Die Forderungen nach dringend notwendigen Rentenreformen überschlagen sich. Gefühlt im Wochentakt melden sich Experten zu Wort, um für die eine oder gegen die andere Reform zu argumentieren. Während der Sachverständigenrat vor wenigen Tagen massive Einschnitte und Veränderungen wie die Anhebung des Renteneintrittsalters gefordert hat, lehnte Bundeskanzler Olaf Scholz genau das in einem Gespräch mit der Heilbronner Stimme vergleichsweise schnippisch ab (nach 67 „ist auch mal gut“). Nun legt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit einer Umfrage zum Reformappetit der Deutschen nach.
Um das Rentensystem zu stabilisieren, seien drei Möglichkeiten denkbar: 1. die Anhebung des Beitragssatzes, 2. die Absenkung des Rentenniveaus und 3. die Anhebung des Renteneintrittsalters. Eine Mehrheit für einen der drei Vorschläge gebe es allerdings nicht.
Laut der Umfrage würden die Bürger eher höhere Rentenbeiträge als eine niedrigere Rente akzeptieren. Durchschnittlich rund 53 Prozent der Befragten halten ein niedrigeres Rentenniveau für am wenigsten verkraftbar. Bei den Rentnern sind es – entsprechend der eigenen Betroffenheit – sogar fast 60 Prozent. Über die Hälfte (55 Prozent) würden am ehesten einen höheren Beitragssatz in Kauf nehmen. „Rentenkürzungen werden als am schmerzhaftesten eingeordnet“, heißt es in dem Papier „IW-Trends. Reform der Rentenversicherung in Deutschland“, das die Kölner Wirtschaftsexperten am Montag veröffentlicht haben.
Ob eine Beitragserhöhung letztlich wirklich auf Akzeptanz treffen würde, bezweifelt das IW. „Sobald die Belastung monetär spürbar würde, könnte die Reformablehnung nachziehen. Hierfür spricht, dass Menschen, die den Beitragssatz korrekt beziffern können, dessen Erhöhung deutlich stärker ablehnen.“
Die 4.900 Befragten bewerten einen späteren Renteneintritt um ein Jahr ähnlich negativ wie eine Erhöhung des Beitragssatzes um drei Prozentpunkte oder eine Rentenkürzung um vier Prozent.
Reformbereitschaft unterschiedlich hoch
Dass es grundlegender Reformen bedarf, um die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung sicherzustellen, dürfte mittlerweile jedem klargeworden sein. So rechnen die IW-Autoren vor: Kamen im Jahr 2021 auf 100 Erwerbstätige 32 Personen im offiziellen Rentenalter, werde der Altersquotient im Jahr 2035 infolge des demografischen Wandels bei 100 zu 40 liegen. Die Folge: Das Rentensystem könne nicht mehr über die Einnahmen der Einzahler gedeckt werden. Die Problematik ist durchaus auch Teilen der Bevölkerung bewusst, denn immerhin 35 Prozent machen sich Sorgen um die eigene Altersvorsorge.
Die Bereitschaft für Reformen ist indessen recht unterschiedlich stark ausgeprägt. Jene Kohorte, die von möglichen Veränderungen am wenigsten betroffen wäre, also die über 50-Jährigen, ist am wenigsten zu Reformen bereit. Das IW schlussfolgert, die „Präferenzen unterscheiden sich nach Generationszugehörigkeit und (sind) damit teilweise mit der individuellen Betroffenheit verbunden“. Dazu passt auch, dass sich Personen unter 50 Jahren die größten Sorgen um ihre Altersvorsorge machen und einer Rentenreform am wenigsten ablehnend gegenüberstehen.
Allerdings stellt sich die Mehrheit ohnehin gegen jedwede Reform. Der Wunsch, den Status Quo beizubehalten, sei stark verankert, resümieren die Ökonomen und sprechen eine Warnung in Richtung Politik aus: Wird die Reform des Rentensystems weiter hinausgezögert, könnte das den Anspruch innerhalb der Bevölkerung auf ein gleichbleibendes Rentenniveau – „ohne eigene Gegenleistung“ – zementieren.
Ältere Bevölkerungsschichten sollten die Präferenzen der Jüngeren ernst nehmen, fordert das IW. „Letztere sind schließlich besonders betroffen, aber trotzdem eher bereit, die Einschnitte in Kauf zu nehmen.“ Dass es dabei bei einem frommen Wunsch bleiben könnte, ist wahrscheinlich.