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Digitale Rentenübersicht: Wird so die Versorgungslücke geschlossen?

Seit Juli ist die digitale Rentenübersicht des Bundes online, vier Lebensversicherer haben sich ihr angeschlossen. Ob das Portal die Versorgungslücke schließen kann – darüber diskutieren der Ökonom Andreas Hackethal und Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

09:09 Uhr | 15. September | 2023
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Ist das digitale Renten-Cockpit des Bundes dazu geeignet, dass Verbraucher ihre Versorgungslücke im Alter schließen? Die Expertenmeinungen dazu gehen auseinander.

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Andreas Hackethal (Professor für Finanzen, Goethe-Universität Frankfurt): Pro

Andreas Hackethal

Prof. Dr. Andreas Hackethal ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Finanzen an der Goethe-Universität in Frankfurt.

| Quelle: Privat

Es ist schwieriger, die privaten Finanzen in den Griff zu bekommen als die eines Großunternehmens – so John Y. Campbell, Finanzlegende aus Harvard. Während Unternehmen mit Gewinnmaximierung und Sicherung des Fortbestandes klare Zielvorgaben haben und dank Buchhaltung und Controlling sowohl Datenbasis als auch Planungsinstrumentarium bereitstehen, starten die meisten Haushalte mit einem leeren Blatt und einem Berg an Fragen: Was sind meine Ziele und Bedürfnisse? Welche Positionen und Werte stehen auf meiner Vermögenbilanz? Wie werden sich Cashflows langfristig entwickeln? Wie wird sich mein Leben ändern, wie mein Umfeld, wie die Welt?

Verbesserung gegenüber Blindflug eröffnet Chancen

Alles das will aber berücksichtigt werden für Sparquote, Vermögensstruktur, Absicherung und Produktauswahl. Kein Wunder, dass viele bei der privaten Finanzplanung verzagen und dass guter Expertenrat teuer ist. Jede Verbesserung gegenüber dem Blindflug und der damit verbundenen Untätigkeit eröffnet daher Chancen. Und weil wir uns angesichts der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft und der bunteren Erwerbsbiografien selbst um die Altersvorsorge kümmern müssen, wird die persönliche Finanz- und Rentenplanung immer wichtiger. Planung ist das halbe Leben und wer besser plant, der hat später mehr. So steht es auf dem Kalenderblatt und so belegen es auch empirischen Studien.

Jeder gute Plan braucht als Ausgangspunkt gute Daten zum Status quo. Der Überblick über die eigenen Rentenansprüche ist daher eine absolut notwendige Voraussetzung für die private Finanzplanung. Gleichwohl kann eine zentrale Rentenübersicht niemals hinreichend für eine gelingende Altersvorsorge sein. Dafür sind die oben aufgeführten Fragen zu vielfältig.

Wenn also die digitale Rentenübersicht (DRÜ) ohnehin nur einen Teil der Planung abdecken kann, dann stellt sich die Frage, welche Aufgabenteilung mit anderen Marktteilnehmern wünschenswert ist. Und tatsächlich fokussiert sich die DRÜ hier völlig zurecht auf die große Anfangshürde für planungswillige Haushalte, nämlich auf das mühsame Einholen und Zusammenstellen der eigenen Renteninformationen. Dieser Schritt lässt sich kaum an Dritte delegieren.

Für alle nachfolgenden Planungsschritte, ob nun die Zusammenführung mit Daten zu Wertpapieren und Immobilien, eine Datenaggregation auf Haushaltsebene, der Nachsteuerausweis, eine Szenario-Betrachtung oder auch die Produktauswahl, stehen schon heute viele Anbieter im Wettbewerb um die pfiffigsten Lösungen. Betrachten wir die DRÜ also nicht als staatlichen Lösungsanbieter, sondern als Innovationsbeschleuniger für die Rentenplanung. Auf dass es bald keines Hochschulabschlusses mehr bedarf, um die eigenen Finanzen in den Griff zu kriegen.  

Niels Nauhauser (Abteilungsleiter Altersvorsorge, Verbraucherzentrale Baden-Württemberg): Contra

Niels Nauhauser

Niels Nauhauser ist Abteilungsleiter des Fachbereichs Altersvorsorge, Banken und Kredite bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

| Quelle: Verbraucherzentrale Baden-Württemberg

Die digitale Rentenübersicht soll laut Bundesfinanzministerium ein Informationsinstrument sein, mit dem alle Bürgerinnen und Bürger einen „umfassenden Überblick über ihre Altersvorsorge gewinnen sollen“. Das Portal soll als Grundlage für eine weiterführende Beratung dienen, um mögliche Versorgungslücken frühzeitig zu erkennen und handeln zu können.  

Die Information in der Rentenübersicht beschränkt sich auf die gesetzliche, betriebliche und private Alterssicherung. Das tatsächlich bestehende Niveau der individuellen Altersvorsorge kann und wird vielfach deutlich höher sein, weil die Rentenübersicht alle anderen Vermögensanlagen, von Festgeldern über Immobilien bis zum Wertpapierdepot nicht auflistet. Überdies enthält die Rentenübersicht Prognosen über mögliche Renten, deren Zuverlässigkeit nicht gegeben ist. Seit Jahren beobachten wir, dass die Anbieter zu Vertragsbeginn in Aussicht gestellten Renten nicht erreichen. Einige Versicherer haben sogar die Renten und Rentenfaktoren im laufenden Vertrag abgesenkt. Die Hochrechnungen über künftige Renten sind nicht nur wegen der ohnehin ungewissen Kapitalmarktentwicklung ungewiss, sondern und insbesondere in der privatisierten Altersvorsorge wegen der gewinnmaximierenden Geschäftspolitik der Anbieter und ihrer Vermittler.

Übersicht kann als Planungsinstrument in die Irre führen

Die Rentenübersicht birgt die Gefahr, dass Vorhersagbarkeit suggeriert wird, wo es sie nicht gibt. Als Planungsinstrument eingesetzt kann sie folglich in die Irre führen. Da sie ein derart unvollständiges und mit Unsicherheit behaftetes Informations- und Planungsinstrument ist, kann sie auch nichts zur Lösung des eigentlichen Problems der Altersvorsorge beitragen, das gerade nicht in einem Informationsmangel besteht, sondern in Marktversagen bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge.

Verbraucherinnen und Verbrauchern werden tagtäglich Produkte verkauft, die für sie nicht bedarfsgerecht sind. Seit mittlerweile 15 Jahren beobachten wir in unserer Beratungspraxis, dass Altersvorsorgeverträge trotz guter Kapitalmarktentwicklung im Minus sind oder bescheidene Renditen aufweisen, weil die Anbieter und ihre Vermittler durch hohe Kosten, falsche Beratung und zum Teil fragwürdige Anlagestrategien den Ertragskuchen der Kapitalmärkte fast vollständig für sich vereinnahmen. Seine Ursache hat das in den Rahmenbedingungen, die für die gewerbliche „Beratung“ gesetzt sind: Das was Beratung genannt wird, ist aufgrund der Provisionsorientierung lediglich Verkauf.

Es ist absehbar, dass auch die digitale Rentenübersicht als Verkaufsinstrument eingesetzt wird. „Berater“ werden die Übersicht dankbar annehmen, um sie in Verkaufsgesprächen als „amtlichen Nachweis“ für eine Versorgungslücke zu missbrauchen. Ihre Lösung wird dann weiterhin der Verkauf von weiteren nicht bedarfsgerechten Finanzprodukten sein.

Die Lösung für dieses Problem besteht in der Abschaffung der provisionsorientierten Beratung und in der Einführung in eines ausschließlich an Verbraucherinteressen ausgerichteten Vorsorge-Fonds wie er in Schweden längst erfolgreich umgesetzt wurde. Erst dann kann ein Informationsinstrument wie die digitale Rentenübersicht dazu beitragen, dass Verbraucher:innen in die Lage versetzt werden, eine wohlinformierte Entscheidung treffen zu können, deren Ergebnis eine tatsächlich bedarfsgerechte Altersvorsorge ist.

Schließt die digitale Rentenübersicht die Versorgungslücke im Alter?