„Die Politik muss die Freibeträge erhöhen“
Seit 2023 wird durch eine Änderung des Jahressteuergesetzes der Wert von Eigentumswohnungen und Häusern im Erb- oder Schenkungsfall neu berechnet. Zur Wertermittlung wurde unter anderem die Gesamtnutzungsdauer für bestimmte Gebäudearten verlängert sowie ein Regionalfaktor neu eingeführt. Der Eigentümerverband Haus & Grund prognostiziert infolge der Neuregelung einen Anstieg der Steuerbelastungen um 20 bis 30 Prozent. Die konkreten Auswirkungen des Gesetzes erläutert Rechtsanwalt und Steuerberater Michael Tommaso im Gespräch mit procontra.
procontra:
Michael Tommaso:
Zunächst einmal: Die seit 2023 gültigen Änderungen betreffen sowohl selbst genutzte Immobilien wie vermietete. Dementsprechend groß ist der Beratungsbedarf. Es gibt im Jahressteuergesetz drei wesentliche Treiber für höhere Immobilienbewertungen. Das ist zum einen die Verlängerung der Gesamtnutzungsdauer von 70 auf 80 Jahre, die sich im Bewertungsverfahren an vielen Stellen auswirkt. Hinzu kommt die Einführung des Regionalfaktors, der für Immobilien Konsequenzen hat, für die sich zur Wertberechnung keine Vergleichswerte anderer Immobilien heranziehen lassen. Mit dem Regionalfaktor wird die Baukostenentwicklung in den unterschiedlichen Regionen abgebildet, er wird von den jeweiligen Gutachterausschüssen in den Gemeinden bestimmt. Drittens sind die Änderungen beim Liegenschaftszinssatz zu nennen.
procontra:
Gibt es Fälle aus ihrem Beratungsalltag, in denen sich die höhere Steuerlast besonders stark ausgewirkt hat?
Tommaso:
Ich nennen Ihnen ein Beispiel aus Potsdam: Dort haben wir einen Mandanten, der ein Haus mit einer Bruttogrundfläche von 300 Quadratmetern an einen Sohn verschenken wollte. Durch die Gesetzesänderung gab es hier eine Wertentwicklung von mehr als 45 Prozent. Vor 2023 wäre die Immobilie im Schenkungs- oder Erbfall mit 580.000 Euro bewertet worden. Nach der neuen Regelung liegt der Wert jetzt bei 850.000 Euro und die Steuerbelastung stieg nach Abzug der allgemeinen Freibeträge von 19.000 Euro auf 67.000 Euro. Die höhere Bewertung hat hier mit dem neu eingeführten Regionalfaktor und der um zehn Jahre verlängerten Nutzungsdauer zu tun. Ein anderer Fall, der exemplarisch die höhere Bewertung untermauert, kommt aus Leipzig. Hier betreuen wir den Eigentümer einer vermieteten Immobilie – zehn Wohnungen und 1.000 Quadratmeter vermietete Fläche. Infolge des neuen Bewertungsverfahrens ist der Wert dieser Immobilie von zwei Millionen auf 3,2 Millionen Euro gestiegen.
procontra:
Um die höhere Steuerlast zu umgehen, empfehlen Experten oftmals die Schenkung auf Lebzeit. Gibt es weitere Alternativen?
Tommaso:
Neben der Schenkung unter Vorbehalt eines Wohnrechts oder eines Nießrauchs bleibt es eine Möglichkeit, die Immobilie in andere Vermögensklassen umzuschichten. Aber eine echte Alternative ist das nur, wenn die Umschichtung steuerneutral erfolgen kann. Auch die Beauftragung eines Gutachters kommt in Betracht, der möglicherweise zu einer geringeren Bewertung der Immobilie als das Finanzamt kommt. Aber der Gutachter muss zusätzlich bezahlt werden und ist am Ende auch keine Garantie dafür, dass die Steuern niedriger ausfallen. Es ist mit dem neuen Gesetz zwar schwieriger geworden, bestimmte Immobilien zu vererben – aber noch nicht unattraktiv.
Tommaso:
Die richtige Reaktion ist es nicht, zu sagen: die Änderungen sind rechtspolitisch schlecht. Denn Bewertungsverfahren für Immobilien müssen zu „verkehrswertnahen“ Ergebnissen führen, so schreibt es das Gesetz vor. Von dieser Warte aus ist die Neuregelung richtig, weil sie eine Marktanpassung vollzieht. Was aber parallel hätte gemacht werden müssen und was nicht passiert ist: die Freibeträge für Schenkungen und Erbschaften hätten ebenfalls angepasst werden müssen. Sie wurden seit 2009 nicht geändert. Darin liegt aus meiner Sicht die rechtspolitische Disbalance. Die Politik müsste die Freibeträge erhöhen.