Finanzplanung: „Frauen brauchen keine anderen Produkte im Finanzbereich“
Finanzplanung ist Männersache. Das ist kein Statement aus den sechziger Jahren – sondern das triste Ergebnis einer Umfrage unter Frauen durch die UBS Anfang des Jahres. 81 Prozent der deutschen Frauen gehen davon aus, dass sich ihr Partner besser mit Finanzen auskennt als sie selbst. Während sich der Wissensstand zum Umgang mit Geld in der Realität zwischen den Geschlechtern kaum unterscheidet, liegen Männer offenbar in puncto Selbstverstrauen deutlich vorn.
Diese Erfahrung hat auch Lisa Hassenzahl gemacht. Die Finanzexpertin gründete deshalb vor vier Jahren mit "Her Family Office" eine Finanzberatung, die sich auf Frauen, vor allem Unternehmerinnen mit komplexen Vermögensstrukturen, fokussiert. procontra hat sie verraten, inwiewern sich die Beratung von Männern und Frauen unterscheidet.
procontra: Frau Hassenzahl, nur zwölf Prozent der Frauen, die sparen, besitzen Aktien, bei Männern dagegen ist der Anteil doppelt so hoch. Woher kommt diese Zurückhaltung in Bezug auf den Kapitalmarkt?
Lisa Hassenzahl: Viele Frauen möchten sich leider gar nicht erst mit dem Thema Finanzen beschäftigen. Und dass sie den Einstieg verpassen, liegt oft daran, dass sie nicht auf ihre eigenen Kenntnisse vertrauen. Ich erlebe häufig, dass Frauen den Anspruch an sich haben, zu einer Beratung mit einem hohen Maß an Vorwissen zu gehen. Das ist ein Hindernis – Männer haben dieses Bedürfnis weniger, sie trauen sich eher – auch mit geringem Kenntnisstand in puncto Finanzen – einfach zu starten. Frauen sind hingegen beratungsaffiner und nehmen Ratschläge eher an.
procontra: Was bedeutet das für Ihre Beratungspraxis konkret?
Hassenzahl: Frauen zu beraten ist deutlich aufwändiger, da sie die Grundlagen durchdringen möchten, generell sehr viel skeptischer an das Thema herangehen und sich mit kritischen Nachfragen absichern, bevor sie entscheiden, wie sie ihr Geld anlegen. Ich erlebe häufig, dass Frauen, die zu mir in die Beratung kommen schon mehrere Termine bei der Bank hinter sich haben – dort aber auf Abschlüsse verzichteten, weil ihnen die Vertrauensbasis fehlte. Umfassende und auf die Person zugeschnittene Vorab-Gespräche sind für Frauen bedeutend wichtiger.
procontra: Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Bedürfnisse – haben Männer einen Wissensvorsprung, weil sie diesbezüglich in Erziehung und Bildung stärker gefördert werden?
Hassenzahl: Nein, daran liegt es sicher nicht – die Finanzbildung ist in Deutschland für beide Geschlechter gleichermaßen schlecht. Männer gehen aber in der Regel selbstbewusster an das Thema heran und trauen sich mehr zu. Bevor ich meine Beratung gegründet habe, war ich zehn Jahre lang bei einem klassischen Vermögensberater beschäftigt – und hatte zu 90 Prozent männliche Kunden. Sie gehen souveräner mit ihren Wissenslücken um. „Ich möchte erst einmal ein Buch über ETFs lesen und dann treffe ich eine Investmententscheidung“ – von einem Mann habe ich einen solchen Satz nie gehört, von Frauen hingegen schon häufig.
procontra: Der Wunsch nach Hintergrundwissen ist doch erst einmal positiv – was macht ihn problematisch?
Hassenzahl: Naja, die stereotypische männliche Herangehensweise klingt zwar erst einmal unreflektiert – aber ich rate Frauen trotzdem dazu, sich von dem Learning-by-Doing-Prinzip eine Scheibe abzuschneiden. Die Anlagestrategien von Männern sind nicht immer unbedingt gut, aber immerhin finden sie den Einstieg. Und über 25 Jahre betrachtet ist eine mittelmäßige Kapitalmarktanlage immer noch ertragreicher als 25 Jahre lang Tagesgeld anzuhäufen.
procontra: Beraten Sie heute mit „Her Family Office“ ausschließlich Frauen?
Hassenzahl: Nein, ich bin sogar immer wieder erstaunt, wie viele Männer sich bei mir nach einer Beratung erkundigen – oft auf Empfehlung ihrer Partnerinnen. Manchmal ist es aber auch andersherum: Männer melden sich, um einen Termin für ihre Frau oder Freundin zu vereinbaren, weil sie sich wünschen würden, dass sie sich mit dem Thema beschäftigt.
procontra: In vielen Partnerschaften ist die Rollenverteilung allerdings noch sehr traditionell: Um die Finanzen und die Vorsorgeplanung kümmert sich der Mann. Wie lassen sich die veralteten Stereotype aufbrechen?
Hassenzahl: Das ist eines der großen Probleme, mit denen wir in der Branche zu tun haben. Es braucht eine Menge Aufklärungsarbeit. Oft setzen sich Frauen erst dann mit dem Thema Geld auseinander, wenn es einen Negativaufhänger dafür gibt: Scheidungen, Todesfälle, Krankheit des Partners. Dann stehen sie plötzlich vor einem riesigen Fragezeichen. Dennoch rate ich vom erhobenen Zeigefinger ab: „Wenn du dich nicht selbst darum kümmerst und dein Mann stirbt, bekommst du Schwierigkeiten“ ist keine überzeugende Kommunikationsstrategie. Besser ist es, die Vorteile einer eigenen Finanzplanung zu bewerben.
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procontra: Ein gängiges Klischee ist, dass Frauen risikoscheuer sind und vorsichtiger mit Geld umgehen. Machen Sie diese Erfahrung tatsächlich?
Hassenzahl: In meiner Wahrnehmung ist das überhaupt nicht der Fall. Das ist eher Erziehungssache. Viele Eltern schärfen Töchtern ein, Gefahren zu meiden – während sie Söhne ermutigen, Wagnisse einzugehen. Das wirkt sich nachhaltig auf ihr Verhalten im Beruf aber auch auf den Umgang mit Finanzen aus. Allerdings: Wenn nachvollziehbar und logisch hergeleitet werden kann, warum es sich lohnt, gewisse Risiken einzugehen, verlieren Frauen die Scheu. Bei guter und zielgerichteter Finanzplanung sind Frauen genauso bereit in den Aktienmarkt zu investieren.
procontra: Generell agieren Frauen Studien zufolge in Bezug auf Geld rationaler und weniger aus dem Bauch heraus als Männer.
Hassenzahl: Absolut, das kann ich bestätigen. Und deshalb wundert es mich nicht, dass sie im Schnitt bessere Performance-Ergebnisse erzielen. Weniger Kurzschlussreaktionen, dafür mehr Vorwissen und fundierte Entscheidungen führen zum langfristigen Erfolg. Dass Anlegerinnen darüber meist verfügen, macht die Folgeberatung leichter. Bei Männern wundere ich mich oft, welche basalen Fragen sie nach zehn Jahren am Kapitalmarkt noch stellen.
procontra: Viele Frauen würden gerne investieren – wenn sie mehr Geld zur Verfügung hatten. Männer verfügen im Schnitt aber nach wie vor über höhere Einkommen und mehr Kapital. Liegt hier nicht die Wurzel des Problems?
Hassenzahl: Natürlich – der Wandel ist im Gange, aber das ist immer noch die Krux. Kindererziehung, Halbtagsarbeit und geringere Gehälter, das alles macht es für Frauen schwieriger. Dabei kommt es für sie dadurch umso mehr auf gute Vorsorge an. Der andere Faktor besteht in tradierten Rollenbildern: Oft beschneidet die Frau ihre Einzahlungen ins Depot oder die Altersvorsorgeverträge, wenn Paare ein Kind bekommen, der werdende Vater aber nicht. Hier muss es ein Umdenken geben.
procontra: Ändert sich das nicht ohnehin in der jüngeren Generation?
Hassenzahl: Unter den heute 20- bis Ende-30-jährigen Frauen beobachte ich eine Zweiteilung. Die eine Hälfte kümmert sich ganz selbstverständlich um ihre Finanzen. Die anderen identifizieren sich eher wieder in Richtung der klassischen Rollenbilder.
procontra: Würden Sie mehr Beratern dazu raten, geschlechterspezifischen Angebote zu machen?
Hassenzahl: Wenn ich mir die Bemühungen der Branche anschaue: Ja, das lohnt sich offenbar auf jeden Fall. Sonst würde eine Sparkasse ihre „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“-Werbung nicht plötzlich auf eine Frau ummünzen. Das ist ein großes Akquisitionsthema. Die Betonung liegt hier aber auf Beratung – Frauen brauchen keine anderen Produkte im Finanzbereich! Ein Problem ist allerdings, dass der überwiegende Anteil der Vermittler Männer sind und eine glaubhafte und authentische Umsetzung nicht immer eingelöst wird. Darauf reagieren Frauen dann besonders ablehnend.
procontra: Sie sagen, bei den Produktpräferenzen gibt es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Oft wird jedoch unterstellt, Frauen würden besonders auf ESG-produkte anspringen. Ebenfalls ein Klischee?
Hassenzahl: Bedingt. Tatsächlich fragen Frauen häufiger nach nachhaltigen Geldanlagen als Männer. Ich persönlich bin ein großer Fan von nachhaltigen Investments – aber aus Portfoliosicht sind sie nicht immer ertragreich. Die Branche ist in einigen Bereichen leider einfach noch nicht so weit, gerade wenn es um Anleihen geht, gibt es nicht immer sinnvolle Produkte auf dem Markt.
procontra: Also geht auch bei Frauen am Ende Rendite vor Heiligenschein?
Hassenzahl: Im Zweifel ja. Allerdings geht es nicht nur um Renditen, oft werden ökologische und ethische Versprechen schlicht nicht eingelöst. Dann geht es wieder um fundierte Einschätzungen und eine rationale Entscheidung, die besonders Frauen leichtfällt.
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