Oktober/ November entscheidend

Immobilienfonds: Warum jetzt die Stunde der Wahrheit droht

Die kommenden Monate könnten entscheidend sein, ob offene Immobilienfonds in eine waschechte Krise geraten. Anleger stehen derzeit vor einem wahren Dilemma.

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12:09 Uhr | 10. September | 2024
Eine Uhr liegt auf mehreren Geldscheinen

Die nächsten Monate dürften für offene Immobilienfonds entscheidend sein.

| Quelle: Yevgen Romanenko

Für die Anbieter offener Immobilienfonds ist 2024 wahrlich kein einfaches Jahr. Im Juli mussten die Fonds zum zwölften Mal in Folge Nettomittelabflüsse hinnehmen – das heißt, die Anleger zogen mehr Geld ab, als sie investierten. Insgesamt gaben Anleger im Juli Fondsanteile im Wert von über einer Milliarde Euro zurück – damit überstiegen die Mittelrückflüsse zum ersten Mal seit 2011 wieder die Milliardenschwelle.

Laut Einschätzung von Ali Masarwah, Geschäftsführer der Fondsdiscount-Plattform Envestor, könnte das dicke Ende für die Fonds jedoch erst noch bevorstehen. Zwar seien die Abflüsse in Höhe von bislang 3,5 Milliarden Euro gemessen am gesamten Fondsvermögen überschaubar. „Besorgniserregend ist allerdings das Tempo der Abflüsse in diesem Jahr“, schreibt Masarwah in einem Blogbeitrag. So haben die Nettomittelabflüsse in den vergangenen Monaten stark zugenommen und lagen zuletzt bei über 700 Millionen Euro. Auch in den ersten Tagen des Septembers gingen die Anteilsrückgaben weiter. Extrapoliert man die Rückgaben der ersten fünf Tage des Monats auf den gesamten September liegen die Rückgaben für den September auf dem gleichen Niveau der Vormonate.

Mit Oktober und November stehen zudem jetzt entscheidende Monate unmittelbar vor der Tür. Das waren die Monate, in denen 2023 die Kritik an offenen Immobilienfonds deutlich zunahm. So hatte das Verbraucherportal Finanztip im Oktober vergangenen Jahres unter dem Verweis, dass die Fonds unrentabel seien, Anleger zum Verkauf geraten.

Nächsten 2 bis 3 Monate entscheidend

Sollten diese dem Ratschlag gefolgt sein, wird sich das erst ein Jahr später zeigen. Verantwortlich dafür ist die zwölfmonatige Rückgabefrist für Fondsanteile – zumindest für diejenigen, die nach dem 21. Juli 2013 erworben wurden.

„Erst in den nächsten 2-3 Monaten werden wir wissen, ob es auf eine dritte große Krise bei offenen Immobilienfonds hinausläuft“, schreibt Masarwah. Denn sollten die Anteilsrückgaben in den kommenden Monaten noch einmal deutlich zulegen, könnten die Fonds ein Liquiditätsproblem bekommen, was teils zu Schließungen oder gar Liquidierungen der Fonds führen könnte.

Laut Analyse der Ratingagentur Scope lag die durchschnittliche Liquiditätsquote der untersuchten Fonds im Frühjahr jedoch bei 14,5 Prozent – das ist deutlich höher als gesetzlich vorgeschrieben (5 Prozent). Ist die Lage also wirklich so dramatisch? Die Daten sehen nur auf den ersten Blick gut aus, erklärt Masarwah auf procontra-Nachfrage. Seit April dieses Jahres – dem Zeitpunkt, auf dem die Daten beruhen – seien weitere 2,2 Milliarden Euro abgeflossen. „Was per Ende April komfortabel aussah, ist vielleicht im Herbst nicht mehr so üppig“, so Masarwah. Aus der Branche sei bereits zu hören, dass an Auffanglösungen gearbeitet werde – die Muttergesellschaften, wie die Sparkassen oder Genossenschaftsbanken, könnten im schlimmsten Fall also dazu gezwungen sein, finanziell einzuspringen.

Was Anleger jetzt tun können

Ob es wirklich so schlimm kommt, bleibt abzuwarten. Anleger, die derzeit noch Anteile an offenen Immobilienfonds halten, stehen jedoch jetzt vor einem Dilemma. Sollten sie ihre Anteile jetzt kündigen, müssten sie wiederum zwölf Monate warten, bis sie ihre Anteile zurückgeben können.

Unter Umständen lassen sie dann aber einen kerngesunden Fonds über die Klinge springen, so Masarwah gegenüber procontra. Denn es gibt ja durchaus den einen oder anderen Silberstreifen am Horizont, wie Kurserholungen bei Immobilienaktien oder die angekündigte Zinswende der Notenbanken.

„Es ist das klassische Macht- und Sicherheitsdilemma der Spieltheorie: Vor lauter Unsicherheit drohen Anleger durch ihr Handeln gegen die eigenen Interessen zu verstoßen. Aus psychologischer Sicht sehr spannend, sehr unschön für Anleger“, so Masarwah.

Alternativ können Anleger ihre Anteile natürlich an der Börse verkaufen. „Aber weil die Unsicherheit über die Zukunft der Fonds so groß ist, dürften die Spreads aktuell weit sein wie Scheunentore“, bemerkt der langjährige Morningstar-Analyst. Ein echtes Dilemma für Anleger – Ausgang ungewiss.