In etwa zwei Wochen veröffentlicht die Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) ihre Empfehlung für den Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung für das Jahr 2024. Sieht der Ratschlag dann vielleicht eine Erhöhung vor? Und würde der Gesetzgeber der DAV später dann folgen, wie meistens in der Vergangenheit? Dann ginge zum Jahreswechsel 2023/24 ein seit fast 30 Jahre währender Sinkflug des Höchstrechnungszinses – umgangssprachlich auch „Garantiezins“ genannt – zu Ende. Noch ist das reine Spekulation. Aber am Kapitalmarkt ist die Zinswende bereits eingeleitet. Mitte Juli 2022 lag der Hauptrefinanzierungszins der Europäische Zentralbank (EZB) noch bei null Prozent; heute liegt der Satz für diesen Leitzins bei 2 Prozent. EZB-Chefin Christine Lagarde hat weitere Heraufstufungen in Aussicht gestellt. Was die DAV daraus macht, bleibt abzuwarten – rund zwei Wochen noch.
Satz gilt für deutsche Versicherer
Für das kommende Jahr gilt weiterhin ein Höchstrechnungszins von 0,25 Prozent. Diesen Satz hatte die DAV bereits Ende 2020 empfohlen. Das Bundesfinanzministerium folgte dem Ratschlag im Frühjahr 2021 und schrieb den Satz mit Wirkung ab 1. Januar 2022 in die Deckungsrückstellungsverordnung. Höchstens zu diesem Rechnungszins dürfen deutsche Versicherer ihre Deckungsrückstellungen kalkulieren. Die DAV empfiehlt die Höhe des „Garantiezinses“ stets weit im Voraus, damit das Bundesfinanzministerium Zeit zur Prüfung hat und vor allem, damit die Versicherungsgesellschaften Zeit zur Umsetzung des gesetzlich festgelegten Höchstrechnungszinses haben.
Folgen der Absenkung unter der Lupe
Zum 1. Januar 2022 war der Höchstrechnungszins – nach einem 27 Jahre währenden Sinkflug – auf ein historisches Tief gesunken – eben die erwähnten 0,25 Prozent. Jetzt hat die Ratingagentur Morgen & Morgen die Auswirkungen der Absenkung auf Biometrie- und Altersvorsorgeprodukte analysiert. Ein Ergebnis sei überraschend, andere wie erwartet ausgefallen. Wie vorhergesehen, schreibt die Agentur auf einer Internetseite, hat die Absenkung des Rechnungszinses in der Berufsunfähigkeitsversicherung zu einer Verteuerung der Beiträge um im Schnitt 3 bis 4 Prozent geführt. Der logische Grund: „Die Versicherer müssen für den Versicherungsfall Rückstellungen bilden. Dieses Kapital wird mit dem Garantiezins verzinst. Da der Garantiezins jetzt niedriger ausfällt, muss der Beitrag entsprechend höher ausfallen, um die gleiche Rücklagenhöhe zu bilden.“
Risikoleben im Schnitt günstiger
Ganz anders sei das Bild in der Risikolebensversicherung. Obwohl auch hier eine Beitragserhöhung plausibel erschienen hätte, seien die Preise um circa 5 Prozent gesunken. Das gelte sowohl für die Brutto- wie die Nettobeiträge der Tarife, schreibt Morgen & Morgen. Der Rückgang sei Folge des Wettbewerbs in diesem Bereich: Für Risikolebensversicherungen sei der Beitrag die entscheidende Komponente bei der Tarifwahl. Statt pauschal ihre Prämie für Neutarife zu erhöhen, hätten die Anbieter ihre Tarifkalkulation grundlegend modifiziert. Zahlreiche neue Angebote im Markt „kalkulieren nun mit vollkommen anders berechneten Wahrscheinlichkeiten, Kosten, Berufsgruppe etc.“
Berufsgruppen fein ausdifferenziert
Konkret nennt Morgen & Morgen drei Maßnahmen, die dazu beigetragen hätten, dass die Preise in der Risikolebensversicherung im Mittel gesunken seien: Erstens eine immer feinere Differenzierung bei den Berufsgruppen und individueller Risiken. Das ermögliche dem besonders risikoarmen Kollektiv eine weiterhin günstige Absicherung. Die Entwicklung sei vergleichbar mit der Preisdynamik in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) vor einigen Jahren. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass aktuell mit Blick auf die Prämiengestaltung in der BU, Kritik auch aus den Reihen der Versicherer aufkommt. Einige Anbieter sehen inzwischen die Gefahr, dass es risikoreichere Berufsgruppen immer schwerer haben, ausreichend BU-Schutz zu einem bezahlbaren Beitrag zu erhalten. Risikoarme Berufsgruppen bekämen ein Top-Preis-Leistungsverhältnis und zu viele Menschen blieben unversichert. Das widerspreche dem gesellschaftlichen Auftrag der Branche, möglichst vielen Menschen eine finanzielle Absicherung ihrer Arbeitskraft zu verschaffen.Die zweite Maßnahme, die laut Morgen & Morgen dafür mitverantwortlich ist, dass die Preise in der Risikolebensversicherung gesunken sind, seien gestiegen Lebenserwartungen. Diese richteten sich nach den DAV-Sterbewahrscheinlichkeiten. „Eine höhere Lebenserwartung senkt somit die Preise der Lebensversicherung“, berichtet das Analysehaus. Und die dritte Maßnahme schließlich seien Kosteneinsparungen der Versicherer, insbesondere in der Verwaltung.
Wie wirkt Zinswende auf die Tarifgestaltung?
Zu den Auswirkungen der Absenkung des Höchstrechnungszinses in der Altersvorsorge schreibt Morgen & Morgen, dass die Versicherer dazu übergegangen seien, sich von einer hundertprozentigen Beitragsgarantie abzuwenden. Denn für einen Mustervertrag mit 30 Jahren Laufzeit und marktüblichen Kosten könnten die Produktanbieter mit einem so niedrigen Garantiezins die vollständige Beitragsgarantie nicht gewährleisten. Für die Riester-Rente und die betriebliche Altersvorsorge müsse eine Garantie aufgrund der Gesetzeslage gewährleistet werden.Das neue Jahr jedenfalls dürfte spannend werden. Hierzu schreibe Morgen & Morgen: „Welche Veränderungen die kürzlich erhöhten Zinsen der EZB auf die zukünftige Tarifgestaltung und Überschussbeteiligung haben, bleibt abzuwarten.“