Börsen-Gurus

Wie Crash-Propheten um Investment-Jünger werben

Was „kaputte Uhren“ und „mexikanische Scharfschützen“ mit den Strategien von Börsengurus und Crashpropheten gemeinsam haben, erläutert Hanno Beck, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim.

12:10 Uhr | 09. Oktober | 2023
Wahrsager jongliert mit Anlagetipps

„Warnungen vor Weltuntergängen verkaufen sich immer gut": Der Volkswirtschaftsprofessor Hanno Beck spricht im procontra-Interview über Strategien von Börsengurus und Crashpropheten.

| Quelle: procontra

procontra:

In einem Interview haben Sie unter dem Titel „Ein Blick in die Zukunft? Methoden und Tricks der Börsengurus“ verschiedene Ansätze aufgezeigt. Was ist für Sie ein Börsenguru?

Hanno Beck:

Ein Börsenguru ist jemand, der sich zur Börse und dazugehörigen Finanz- und Wirtschaftsthemen äußert und dem Menschen intellektuell und bisweilen auch mit dem Geld folgen. Ich würde dabei in zwei Arten von Börsengurus unterscheiden, ernannte und selbsternannte. Selbsternannte Gurus machen ihr Guru-Dasein zum Geschäftsmodell. Sie verkaufen Börsenbriefe, Anlageprodukte, Bücher oder ähnliche Dinge; sie leben davon, laut und omnipräsent zu sein. Ernannte Gurus dagegen werden dies entweder per Zufall – jemand hat einmal mit einer spektakulären Vorhersage richtig gelegen – oder durch langjährigen Erfolg. Oft steht der ernannte Guru in Verbindung mit einer großen Organisation, beispielsweise einem großen Vermögensverwalter, die ihm als Plattform dient und seinen Namen populär macht, wovon dann auch die Organisation profitiert.

procontra:

Was meinen Sie mit langjährigem Erfolg? Börsenerfolg zum Beispiel oder Prognoseerfolg? Mein erster Gedanke war Warren Buffett mit Berkshire Hathaway.

Beck:

Das würde auch passen. Ich habe allerdings auch an Starfondsmanager gedacht, die jahrelang gute Ergebnisse abgeliefert haben. Die in irgendeiner Form gewisse Fertigkeiten demonstriert haben, die Sie annehmen lassen, dass sie besser sind oder mehr wissen als andere. Eine große Organisation wäre dann zum Beispiel eine Fondsgesellschaft. Beiden Formen von Gurus, den selbsternannten wie den ernannten, ist gemein, dass man ihnen zutraut, besser in die Zukunft zu schauen als andere Marktteilnehmer – die moderne Version des Sehers. In einer weitgefassten Bedeutung des Begriffs Börsenguru könnte man auch solche darunter verstehen, die das Börsengeschehen verständlich erklären, einfache, praktische Ratschläge geben und eher auf Strategien und Instrumente als auf Prognosen abstellen. Diese Sorte Guru ist aber in der Regel wenig glamourös – wer will schon Ratschläge hören wie: „Investieren Sie nur in Dinge, die Sie verstehen“

Hanno Beck

Hanno Beck

| Quelle: Privat

procontra:

Was sind die gängigsten Methoden und Tricks, die Sie ausgemacht haben und wie können Zuhörer dem begegnen? Wen würden Sie beispielhaft nennen?

Beck:

Namen würde ich ungern nennen, Strategien schon. Wer möchte, kann für sich selbst vergleichen, welche Methode zu welchem Akteur passen könnte; das ist bereits sehr aufschlussreich. Da wäre zum einen die Strategie der kaputten Uhr. Man behauptet lange und hartnäckig, dass dies oder jedes passieren wird – eines Tages wird es passieren. Das ist wie bei einer kaputten Uhr, die zweimal am Tag die korrekte Uhrzeit anzeigt. Sie können dem begegnen, indem Sie überlegen, wie viel Geld Sie hätten verdienen können, wenn Sie den Voraussagen und daraus abgeleiteten Ratschlägen nicht gefolgt wären.

Bei der Nostradamus-Methode ist der Akteur möglichst unpräzise, macht vage Andeutungen, die dann von den Zuhörern oder Lesern mit konkretem Inhalt gefüllt werden. Der Akteur nennt entweder Zeit oder Kursziel, aber nicht beides. Damit erfüllt sich die Prophezeiung irgendwann schon. Als Gegenmaßnahme zwingen Sie ihn zu Präzision und fordern, dass er Zeit, Ziel und Region zugleich nennt. Nebulöse Prognosen haben keinen Wert. Die Lautsprecher-Methode ist vor allem etwas für selbsternannte Gurus: Seien Sie laut, apodiktisch, bauen Sie bedrohliche Szenarien auf. Diese Strategie hat keinen Platz für Ausgewogenheit, für „sowohl als auch“ oder komplizierte Ausführungen. Sie erzählen eine plausible, einfache Geschichte, die Menschen verstehen und sich merken können. Um dem zu begegnen, überlegen Sie sich, was gegen diese These spricht. Nehmen Sie bewusst mit Argumenten die Gegenposition ein.

procontra:

Die Lautsprecher-Variante kommt häufig vor, was vielleicht auch daran liegt, dass sie eben laut ist…

Beck:

Das stimmt. Eine weitere, trickreiche Strategie nenne ich die Anti-Popper-Methode. Vom Philosophen Karl Popper stammt die Forderung, eine Hypothese so aufzustellen, dass man sie widerlegen kann. Stellen Sie als Guru also Behauptungen auf, die nicht zu widerlegen sind. Damit schützen Sie Ihre Ausführungen von vornherein gegen Einwände. Wenn Sie sagen: „Es gibt den Weihnachtsmann“, kann niemand beweisen, dass es ihn nicht gibt. Und wenn jemand behauptet, das Finanzsystem liege auf der Intensivstation, ist es schwierig, das Gegenteil zu beweisen, weil man nicht Dinge beweisen kann, die nicht sind.

Bei der Methode „mexikanischer Scharfschütze“ macht der Akteur möglichst viele Prognosen und sorgt dafür, dass die Leute sich nur an jene erinnern, die eingetroffen sind. Er schießt auf ein Scheunentor und zeichnet Zielscheiben um einige Einschusslöcher, die seine Treffsicherheit demonstrieren sollen. Fehlschläge fallen so nicht auf. Um dies zu durchschauen, betrachten Sie die Trefferquote aus allen Schüssen oder Prognosen. Die Weltenretter-Strategie besagt, dass jemand bei einer Prognose, die nicht eintrifft, sagt, sie sei nicht eingetreten, weil er rechtzeitig davor gewarnt hat und es deshalb Gegenmaßnahmen gab. Dieser Prognostiker steht als Held da und rettet gleichzeitig Job und Status als Guru.

procontra:

Einige solcher Gurus skizzieren seit Jahren Untergangsszenarien, etwa den Kollaps des Geldsystems für 2013 und das Ende des Euro bis 2023. Passiert ist von all dem nichts. Glauben die sogenannten Crashpropheten tatsächlich, dass ihre Prognosen eintreffen oder sehen sie, dass dies schlicht funktioniert und sie damit gute Chancen haben, für Vorträge, Talkshows und ähnliche Formate gebucht zu werden?

Beck:

Schwer zu sagen, vermutlich beides. Denken Sie an die Lautsprecher-Methode: Warnungen vor Weltuntergängen verkaufen sich immer gut. Und je mehr man selbst daran glaubt, umso überzeugender ist man, wenn man solche Hypothesen verkauft. Zu letzterer Hypothese passt der Befund, dass manche Gurus ein problematisches Grundverständnis wirtschaftlicher Vorgänge haben. Das wiederum erleichtert es, im Brustton der Überzeugung Dinge zu sagen, die wissenschaftlich gesehen problematisch sind. Je weniger man weiß, umso überzeugter kann man alles Mögliche behaupten, solange es zumindest plausibel klingt. Es wäre interessant zu wissen, wie die Crashpropheten damit umgehen, dass ihre Prognosen bisher nicht eingetroffen sind. Man sollte sie einmal fragen.

procontra:

Einige Crashpropheten haben ein Studium der Betriebswirtschaftslehre oder eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert. Da würde ich weniger ein problematisches Grundverständnis wirtschaftlicher Vorgänge vermuten.

Beck:

Das kommt darauf an, wovon sie reden. Ich bin zum Beispiel Professor für Volkswirtschaftslehre. Wenn Sie mich zu einem Bilanzskandal fragen würden, würde ich dazu nichts sagen, da ich mich mit Bilanzregeln nicht auskenne. Aber wenn Sie sich mit jemandem über Wechselkurssysteme, Geldordnung und Ähnliches unterhalten wollen, würde ich keinen Betriebswirt fragen, sondern einen Volkswirt. Das ist nicht abwertend gegen andere Ausbildungen gemeint, es geht einfach darum, zu einem Problem den passenden Experten zu befragen. Was solche Prognosen auch glaubhaft macht, ist, dass sie zumeist auch einen wahren Kern enthalten. So ist beispielsweise der Euro durchaus eine anfällige Konstruktion; die Möglichkeit, dass er in der heutigen Form irgendwann scheitert, ist durchaus gegeben. Und um diesen wahren Kern strickt man dann sein Weltuntergangsszenario.

procontra:

Einige der Akteure können komplexe Sachverhalte gut verständlich darlegen. Inwieweit sehen Sie ein echtes Anliegen, schwierige Zusammenhänge begreiflich zu machen und inwieweit sehen Sie ein Geschäftsmodell mit öffentlichen Auftritten, Verkauf von Büchern, Seminaren und Anlageprodukten?

Beck:

Wer wirklich komplexe Zusammenhänge begreiflich machen will, braucht eine tiefe Sachkenntnis. Zudem kann er dann kaum publikumswirksame Schlagzeilen oder Thesen heraushauen, weil es keine einfachen Antworten und Rezepte für eine komplexe Welt gibt. Damit sind Sie für Talkshows uninteressant, große Verkaufszahlen werden Ihre Bücher auch nicht erzielen und Seminare können Sie damit auch nicht verkaufen. Wer laut ist, kann nicht differenziert sein, wer differenziert sein will, kann nicht schreien. Und das Geschäftsmodell selbsternannter Gurus beruht nun einmal auf Lautstärke.

procontra:

Warum hören viele Menschen solchen Börsengurus und Crashpropheten immer wieder zu?

Beck:

Ich denke, da stehen mehrere Mechanismen dahinter. Zunächst einmal sind wir vermutlich evolutorisch darauf getrimmt, negative Informationen wahrzunehmen, weil das für das Überleben wichtig ist. Wir achten wenig auf das, was gut läuft, eben weil es gut läuft – was an der Börse ein Fehler sein kann. Wenn etwas gut läuft, sollte man genauer hinschauen und sich fragen, was man daraus lernen kann. Zweitens ist es ein angenehmer Grusel, den man hat, wenn man sich Geschichten über den Weltuntergang des Währungssystems anhört – das ist ein wenig wie Gruselgeschichten am Lagerfeuer. Ein Hinweis auf die Richtigkeit dieser Hypothese ist, dass vermutlich die wenigstens Menschen, die den Weltuntergangsapokalyptikern folgen, ihren Keller voller Gold und Konserven haben – was die logische Konsequenz wäre, wenn man den Weltuntergang erwartet. Drittens sind solche Szenarien oft recht einfach gestrickt. Komplexe Zusammenhänge und eine komplizierte Welt werden in einer einfachen Geschichte zusammengefasst.

procontra:

Was ist Ihr Fazit zum Thema Börsengurus und Untergangspropheten?

Beck:

Man sollte einen weiten Bogen um solche Gurus machen, gerade selbsternannte. Geldanlage ist eine ernste, komplizierte Sache und nichts für den Zirkus.