Diabetes muss keinen Ausschluss von der Reisekrankenversicherung bedeuten
In einem am Montag veröffentlichten Urteil äußert sich der Bundesgerichtshof (BGH) zur Intransparenz einer Ausschlussklausel in der Auslandsreisekrankenversicherung "bei einem bereits vorher bekannten medizinischen Zustand". Dabei streiten zwei Versicherer um etwaige Regressansprüche nach der Regulierung eines Krankenversicherungsfalls im Ausland.
Der Versicherte hatte bei der Klägerin eine Auslandskrankenschutzversicherung abgeschlossen. Nach deren Versicherungsbedingungen gehen, wenn im Schadensfall eine Entschädigung aus anderen Versicherungsverträgen beansprucht werden kann, diese Leistungsverpflichtungen vor. Er verfügte außerdem über die Kreditkarte einer Bank, die mit der Beklagten einen Gruppenversicherungsvertrag einschließlich einer Auslandsreisekrankenversicherung zugunsten der Kreditkarteninhaber abgeschlossen hatte.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung von 17.270,64 Euro verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Was war passiert?
Der Versicherte, bei dem ein Diabetes Mellitus Typ 2 bestand, flog im November 2018 von Frankfurt nach Miami. Der Rückflug war für den 27. März 2019 gebucht. In Florida wurde er vom 6. bis zum 10. Dezember 2018 stationär behandelt. Die Klägerin zahlte 34.091,90 Euro für die Krankenhausbehandlung und Transportkosten in Höhe von 449,37 Euro. In den Kosten für die Krankenhausbehandlung war das Entgelt für einen Dienstleister, den so bezeichneten "Provider", der von der Klägerin im Rahmen der Abrechnung mit dem Krankenhaus beauftragt worden war, in Höhe von 3.392,53 US-Dollar enthalten.
Die Beklagte hat geltend gemacht, dass die Behandlung durch bereits bei der Reisebuchung bestehende Erkrankungen - den Diabetes und rezidivierende Harnwegsinfekte - notwendig geworden und ihre Leistungspflicht daher nach Ziffer 1.6.1 AVB ausgeschlossen sei.
Was steht in den AVB des Kreditkartenanbieters?
Dem Versicherungsvertrag mit der Beklagten liegen "Allgemeine Versicherungsbedingungen für die L Miles & Mores Credit Cards" (im Folgenden: AVB) zugrunde, in denen es u.a. heißt: "Der Versicherer bietet den versicherten Personen Versicherungsschutz für auf Auslandsreisen unvorhergesehen eintretende Krankheiten oder Unfallfolgen. Bei einem während der Auslandsreise eintretenden Versicherungsfall ersetzt der Versicherer entstehende Aufwendungen für die Heilbehandlung […]. Versicherte Gründe Versicherungsfall ist die medizinische notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen während einer Auslandsreise im Sinne von 1.2. […]
Ausschlüsse
Keine Leistungspflicht besteht: 1.6.1 Bei einem bereits vorher bekannten medizinischen Zustand, der der versicherten Person bekannt war, als sie die Kreditkarte beantragte, bzw. bei der Buchung der Reise, je nachdem, was am kürzesten zurückliegt, insbesondere, weswegen die versicherte Person: a) Während der letzten zwölf Monate einen Krankenhausaufenthalt hatte. b) Testergebnisse erwartet oder auf der Warteliste für eine Operation, Konsultation oder Untersuchung steht. c) Innerhalb der letzten drei Monate begonnen hat, Medikamente einzunehmen oder die Einnahme geändert oder sich in Behandlung begeben hat. d) Alle zwölf Monate oder häufiger eine medizinische, chirurgische oder psychiatrische Untersuchung benötigt. e) Die Diagnose "unheilbar" und/oder "chronisch" erhalten hat. […] 1.10. Subsidiarität Besteht Anspruch auf Leistungen […] durch einen anderen Ersatzpflichtigen, so ist der Versicherer nur für den die Leistungspflicht des Ersatzpflichtigen übersteigenden Betrag für die notwendigen Aufwendungen leistungspflichtig. Besteht ein Anspruch gegen Dritte, erhält der Versicherte eine Vorleistung durch den Versicherer."
Das sagt das Gericht
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass der Anspruch aus § 78 Abs. 2 VVG folge, soweit er sich aus den für die Behandlung und den Transport erbrachten Zahlungen zusammensetze. Eine Mehrfachversicherung liege vor (darin waren die Parteien sich einig) und die in den AVB enthaltene Subsidiaritätsklausel stehe einem Ausgleichsanspruch der Klägerin nicht entgegen - auch sei die Reise, obgleich für länger als 90 Tage geplant, versichert.
Die Erkrankung des Versicherten, eine Bakteriämie auf Basis eines Harnweginfekts und eine Entgleisung seines Diabetes (Ketoazidose), sei unvorhergesehen gewesen. Die Ausschlussklausel in Ziffer 1.6.1 AVB verstoße gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der durchschnittliche Versicherte kann aus Sicht des BGH dieser Klausel nicht hinreichend klar entnehmen, wann die Leistungspflicht der Beklagten ausgeschlossen sein soll.
Welcher medizinische Zustand zu einem Leistungsausschluss führt, werde in der Klausel nicht verständlich definiert, sondern nur durch eine nicht abschließende Reihe von Beispielen illustriert. Diese ermöglichen es dem Versicherten nicht, hinreichend sicher zu erkennen, welche weiteren "Zustände" vom Leistungsausschluss erfasst sein sollen und welche nicht. Die Beispiele beziehen sich nur teilweise, aber nicht durchgehend auf schwerwiegende Erkrankungen; beim Warten auf Testergebnisse oder auf eine Untersuchung muss keine schwere Krankheit vorliegen. Auch für die Dauer der Erkrankung werden keine einheitlichen Voraussetzungen aufgestellt; es kann sich um eine kurz vor Reisebeginn zum ersten Mal aufgetretene Krankheit handeln, falls sie mit Medikamenten behandelt wurde, oder auch um eine als "chronisch" diagnostizierte. Der Versicherte hat danach keine Möglichkeit zu erkennen, welche weiteren Erkrankungen, die von keinem der Beispiele erfasst werden, mit diesen in der Weise vergleichbar sind, dass auch sie den Leistungsausschluss auslösen können. (b) Aber auch unabhängig von der Bestimmung des "medizinischen Zustands" kann der Versicherte nicht erkennen, in welchem Umfang das Bestehen eines solchen Zustands den Versicherungsschutz ausschließt.
Die Klägerin könne ferner hälftige Erstattung der so bezeichneten Providerkosten beanspruchen. Sie habe unwidersprochen erläutert, dass durch die Einschaltung des Providers eine erhebliche Reduzierung der Klinikkosten habe erreicht werden können. Ob ein entsprechender Anspruch ebenfalls aus § 78 Abs. 2 VVG folge, könne dahinstehen, denn dieser ergebe sich jedenfalls als Anspruch auf Aufwendungsersatz aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag.
Die Sache wird nun zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.