Aufpolierte Sterne

Geschönte Google-Bewertungen bei wefox

Beim milliardenschweren Insurtech wurden offenbar Google-Bewertungen durch rechtswidrige Maßnahmen manipuliert. Involviert ist ein eigenes Tochterunternehmen, das nun auch im Fokus weiterer Untersuchungen steht.

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08:01 Uhr | 19. Januar | 2024
Google Bewertungen bei wefox

Fragwürdige Methoden ließen die Sterne beim Google-Score der "wefox Group Headquarters" hell leuchten

| Quelle: Illustriert: Roman Kulon

Bei der Hotelbuchung, der Filmauswahl beim Streamingdienst, der nächsten Amazonbestellung oder eben auf der Suche nach einer qualifizierten Finanzberatung – Bewertungssysteme beeinflussen unsere (digitalen) Kaufentscheidungen heutzutage maßgeblich – bewusst und unbewusst. Diese Macht der Sterne ist für Unternehmen Fluch und Segen zugleich. Wer nur mit drei von fünf Sternen rezensiert wird, ist im Wettbewerb praktisch verloren. Auch ein „sehr gut“ wirkt auf einer Skala, die bis „außergewöhnlich“ reicht, eher mau.

Eine maximale Bewertung ist im Zeitalter der Schwarmintelligenz und des Einflusses positiver Rezensionen hingegen ein hohes Unternehmensgut und kann das Wachstum spürbar beschleunigen. Ist sie jedoch nicht vorhanden, erhöht das die Vertrauenshürde für neue Interessenten bis hin zur Unüberwindbarkeit. Besteht ein solcher Handlungsbedarf müssen in der Regel Prozesse angepasst werden, um das Übel bei der Wurzel zu packen und die Kunden wieder nachhaltig zufriedenzustellen. So weit, so normal.

Beim hochgelobten Insurtech wefox schlug man anscheinend auch einen anderen, kürzeren Weg ein. Mit Google-Rezensionen, die nicht nur gegen die Richtlinien von Google verstießen, sondern auch wettbewerbswidrig waren. Demnach wurden zwischen 2021 und 2023 die Google-Bewertungen unter dem Eintrag „wefox Group Headquarters“ auf ein Niveau gehoben, das die Sterne heller scheinen ließ, als sie wirklich waren. Dies zeigen Dokumente, die procontra und dem manager magazin vorliegen.

Schlechter Google-Score

Ausgangspunkt war Ende 2021, als knapp über 100 öffentliche Rezensionen für einen Google-Score von 2,5 standen. Liest man die Rezensionen, äußerten Kunden und Vermittler häufig „schlechten Service“, „keine Erreichbarkeit“ oder einen „unbefriedigenden Regulierungsprozess“ – wefox hatte und hat laut Insidern und Maklern, die sich zuletzt verstärkt an procontra wandten, ein gewaltiges Kundenservice-Problem. Ausgerechnet beim „digitalen Revoluzzer“, der laut eigenen Aussagen „Versicherungen für alle 10x besser machen wollte als der Status“. Das gelang bislang nicht.

wefox Bewertungen 2021

2,5 - ein unbefriedigender Score für die "wefox Group Headquarters" Ende 2021

| Quelle: Auszüge aus Google-Maps


Die schlechte Google-Bewertung war natürlich Gift für das ambitionierte Insurtech, das im Juni 2021 in der Serie-C-Finanzierungsrunde gerade die Rekordsumme von 650 Millionen US-Dollar eingesammelt hatte. Investoren, aber auch Berater, Kunden und Vertriebe schauten nun noch intensiver auf das Unternehmen. Intern schlug man daher Alarm, das Thema „Bewertungen“ aktiver managen zu müssen. Laut interner Mails wurden dafür die Dienste der beratungswerk24 AG, einer 100-prozentigen Tochter der wefox-Gruppe, in Anspruch genommen. Die beratungswerk24 AG zählt zu den größten Leadproduzenten im Versicherungsbereich und wurde im November 2020 von der wefox-Gruppe übernommen.

Offenbar in Absprache mit der damaligen Geschäftsführung der wefox Germany GmbH startete im Herbst 2021, die in einigen Dokumenten als Marketingaktion „Kundenzufriedenheit wefox“ genannte Kampagne. Wefox räumt ein, dass es eine Initiative zur Verbesserung von Google-Bewertungen gab. Distanziert sich jedoch zugleich und meint, dass dies „allein von der beratungswerk24 AG in eigener Verantwortung“ veranlasst worden sei. „Die Unternehmensführung von wefox hatte keine Kenntnis, wie diese Initiative im Detail umgesetzt wurde“, so die Stellungnahme. Vertrauliche Unterlagen zeigen jedoch, dass sehr wohl Kenntnis darüber bestanden haben muss, wie der Plan zur Verbesserung der Google-Bewertungen aussah und wie die anschließende Entwicklung voranschritt.

Dafür sollen auch Kunden der 123versichert.de GmbH – ebenfalls eine 100-prozentige wefox-Tochter – angerufen worden sein, um sie zu einer positiven Google-Bewertung zu bewegen. Jedoch nicht für die genannte Tochter, sondern für den Google-Eintrag, der unter „wefox Group Headquarters“ auf den Mutterkonzern einzahlte. Auch hier distanziert sich wefox: „Sofern Dritte auf unlautere Weise zu positiven Google-Bewertungen von wefox-Produkten angeregt wurden, distanziert sich wefox von möglichen derartigen Aktivitäten.“

Gutscheine als Anreiz

Über die beratungswerk24 AG wurden dafür sowohl ein Callcenter aus Wedel als auch die Social Media Chain GmbH aus München engagiert. Laut vorliegender Unterlagen sollen sie dafür zuständig gewesen sein, die Kunden zu aktivieren, falls nötig Google-Konten zu erstellen und mitunter eine geeignete Rezension den kontaktierten Leads vorzuformulieren. Die hätten diese dann nur noch übernehmen müssen.

Als Motivation wurden zusätzlich Amazon-Gutscheine in Aussicht gestellt. Diesen Vorgang und den Empfang entsprechender Gutscheine (meist zwischen 10 und 30 Euro) bestätigten mehrere kontaktierte Kunden gegenüber procontra.

Der Plan ging auf. Nicht nur die Anzahl der Bewertungen, sondern auch der Google-Score stiegen in die gewünschte Richtung. Auch dank legitimer anwaltschaftlicher Bemühungen, negative Bewertungen auf Angreifbarkeit hin zu prüfen und gegebenenfalls eine Löschung zu erwirken. Laut interner Dokumente sollen so zwischen 2021 und Anfang 2023 über 1.000 Bewertungen für den Eintrag „wefox Group Headquarters“ organisiert worden sein.

wefox Bewertungen

2022: Plötzlich schießen Anzahl und Score der Bewertungen nach oben

| Quelle: procontra

Gemäß Google-Richtlinien war das durch den Gutschein-Anreiz unzulässig. Auf Nachfrage verweist Google auf die Richtlinien, in denen es heißt: „Alle Beiträge bei Google Maps müssen sich auf Erfahrungen beziehen, die tatsächlich an einem Ort oder bei einem Unternehmen gemacht wurden. Ist das nicht der Fall, gelten solche Beiträge als gefälschte Interaktionen.“ Das gelte auch für „Inhalte, für deren Veröffentlichung einem Nutzer von einem Unternehmen Rabatte, kostenlose Produkte und/oder Dienstleistungen angeboten wurden“. Auf Nachfrage behauptet wefox, dass „bisher nicht aufgeklärt sei, ob von der beratungswerk24 AG tatsächlich Gutscheine als Anreiz eingesetzt wurden“. Interne Unterlagen sowie mehrere Kundenaussagen lassen jedoch darauf schließen.

Verstoß gegen Richtlinien und Wettbewerb

Einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht sieht auch Rechtsanwalt Matthias Prinz aus Mainz: „Die Handlung ist klar wettbewerbswidrig“, so Prinz mit Verweis auf ein früheres Urteil des OLG Hamm aus 2010. Demnach gelten Bewertungen als „gekauft“, wenn im Gegenzug Rabatte oder ähnliches in Aussicht gestellt würden. Ergänzend dazu Martin Bolm, Syndikusrechtsanwalt der Wettbewerbszentrale: „Es ist nach der Rechtsprechung wettbewerbswidrig, für positive Google-Bewertungen Gutscheine oder andere Vergünstigungen zu bieten. Die Nutzer, die Bewertungen lesen, rechnen nämlich damit, dass Bewertungen frei und unbefangen abgegeben werden und die ehrliche Meinung des Bewerters wiedergeben. Wenn ein Unternehmer sich ein bestimmtes Bewertungsergebnis mit Gutscheinen, einer Gewinnchance oder Ähnlichem erkauft, wird diese Verkehrserwartung enttäuscht und die Nutzer werden irregeführt.“

Konkret: Seine eigenen Kunden aktiv nach einer positiven Bewertung – wo auch immer – zu fragen, ist völlig legitim und üblich. Monetäre Anreize dafür – auch nur in Aussicht zu stellen – eben nicht.

Es ist nach der Rechtsprechung wettbewerbswidrig, für positive Google-Bewertungen Gutscheine oder andere Vergünstigungen zu bieten.
Martin Bolm, Syndikusrechtsanwalt der Wettbewerbszentrale

Laut interner Unterlagen wurden die Maßnahmen, auch aufgrund steigender Kosten, ab Beginn 2023 zurückgefahren und schließlich eingestellt. Das lässt auch der Verlauf der Bewertungen vermuten. Ab April 2023 gingen diese nicht nur zahlenmäßig wieder zurück, es überwogen auch wieder negative Bewertungen. Vor allem Kunden, denen 2023 mitgeteilt wurde, dass ihre Versicherungsverträge nicht verlängert werden, äußerten ihren Unmut in Form einer negativen Bewertung. 

wefox distanziert sich von Tochter

Konfrontiert mit den Vorgängen, schiebt wefox den „Schwarzen Peter“ allein seiner Tochter, der beratungswerk24 AG, zu. Dort sollen die Aktivitäten zur Verbesserung der Google-Bewertungen „allein verantwortlich geplant, gesteuert und umgesetzt“ worden sein. Man „distanziere sich davon, insbesondere falls die Aktivitäten gegen die Richtlinien von Google oder sonstigen Vorschriften verstoßen haben sollen“. Ebenso stellt man den Einsatz von Gutscheinen bislang infrage. 

Ganz so unwissend, wie es diese Stellungnahme darstellt, war wefox offenbar jedoch nicht. Aus internen Dokumenten geht hervor, dass die Geschäftsführung der wefox Germany GmbH über die Entwicklung der Google-Bewertungen auf dem Laufenden gehalten wurde und dies auch freudig kommentierte. Auch der Einsatz von Amazon-Gutscheinen war der wefox Germany GmbH offensichtlich bekannt, wie Mailverläufe nahelegen. Das Unternehmen weist dies jedoch von sich.

Strafanzeige und interne Untersuchungen

Indes scheint es nur die Spitze des Eisberges zu sein, was das Verhältnis zwischen wefox und seiner Tochter, der beratungswerk24 AG, angeht. Laut wefox wurde Strafanzeige gestellt und es laufen interne Untersuchungen, in denen unter anderen dem Verdacht der Veruntreuung von Geldern in Millionenhöhe nachgegangen würde. procontra fragte die ehemaligen Vorstände der beratungswerk24 AG an, weiteres Licht in den Sachverhalt zu bringen. Sie standen für eine Stellungnahme jedoch nicht zur Verfügung.

wefox Bewertungen wefox Groupo Headquarters

4,4 - der letzte Score, bevor der Eintrag im Dezember 2023 gelöscht wurde

| Quelle: Auszug aus Google-Maps


Pikant ist ebenfalls, dass der Google-Maps-Eintrag der „wefox Group Headquarters“ im Dezember 2023 gelöscht wurde und damit auch die bis dahin 2.103 Rezensionen. Auf Nachfrage gab wefox an, dass man „derzeit keine Informationen darüber hätte, durch wen und aus welchen Gründen die Löschung oder Suspendierung des Google-Accounts veranlasst wurde“. Auch hier sei man um Aufklärung und eine Wiederherstellung des Zugriffs für wefox bemüht.