Wildwuchs und Kleingedrucktes - im Gewerbevertrieb fehlt die Klarheit
Sind Gewerbepolicen zu komplex für die Beratung? „Nein“, sagt Michael Neuhalfen, Leiter Vertrieb Sachversicherungen bei der ALH Gruppe, und ergänzt: „Allerdings sind die vielfältigen unternehmerischen Risiken je nach Branche und Betriebsgröße deutlich umfangreicher und manchmal schwieriger als private Risiken. Wie so oft gilt auch hier, dass man sich mit der Materie beschäftigen muss, wenn man sich kompetent darin bewegen möchte.“ Da ist was dran.
Makler ohne Partner
Doch eine Umfrage schürt Zweifel. Laut dem Vermittlerbarometer des AfW Bundesverbands Finanzdienstleistungen ist die Komplexität der Produkte die größte Herausforderung im Vertrieb (siehe Grafik). Für Franziska Geusen, Vorständin im AfW und selbst Maklerin für Gewerbeversicherungen, ist das „die Folge einer immer stärker reduzierten Zahl direkter Ansprechpartner für Vermittlerinnen und Vermittler.“ Insbesondere fehle allzu oft der Kontakt zu Underwritern. „Was früher noch Nasengeschäft war, bei dem man gemeinsam unkompliziert gute Lösungen für die Unternehmen kreierte, wird heute zunehmend durch Produkte von der Stange und Hotlines ersetzt.“ Bewusst oder aus der Not heraus, würden Makler sich häufiger als früher spezialisieren. Wer nicht selbst gewerbliche Versicherungen vermittle, sei oft zumindest offen für Kooperationen.
Dass Einfachheit im Vertrieb einen hohen Wert hat, das sagt Thomas Orthey, Geschäftsführer von Orthey Consult Versicherungsmakler. Die Gesellschaft ist ein Spezialist für Firmenversicherungen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Orthey kennt die Branche gut und spricht von „Wildwuchs, Kleingedrucktem und Angebotsvielfalt, die ein kaum zu durchdringendes Dickicht bilden“. Gegenüber procontra wird er deutlich: „Es ist an der Zeit, für mehr Klarheit zu sorgen“.
Ruf nach Unterstützung
Rückendeckung durch Versicherer wünscht auch Ernesto Knein, Geschäftsführer Maklergruppe Aventus: „Aus unserer Sicht können die immer komplexeren Risiken von Unternehmen nicht mit einfacheren Produkten beantwortet werden. Versicherer können aber die Makler dabei unterstützen, den Risikoaufnahme- und Dokumentationsprozess durch Digitalisierung der Antragsstrecken und Reduzierung auf die wirklich notwendigen Daten zur Tarifierung weiter zu vereinfachen. Wichtig bleibt ein gut aufgestelltes, regionales Netzwerk von Maklerbetreuern, die verlässlich, kompetent und vor allem erreichbar sind.“ Knein zufolge könnten vor allem kleinere Anbieter flexibel und innovativ auf die Anforderungen des Marktes reagieren
Ein weiteres Ergebnis der AfW-Umfrage ist, dass in der Gruppe der bis 40jährigen der Umsatzanteil des Gewerbegeschäfts mit 24 Prozent drei Prozentpunkte höher liegt als in der gesamten Vermittlerschaft. „Eine gute Nachricht“, so Geusen, schließlich müssten auch diese „beratungsintensiven Produkte risikoadäquat vermittelt werden“; wofür eine entsprechende Ausbildung notwendig sei. Offenbar sind jüngere Vermittler hier im Vorteil, weil sie vergleichsweise frisch von einer Fachschule kommen oder bereitwilliger eine Fortbildung nutzen.
Hohes Cross-Selling-Potenzial
Auch Vertriebsleiter Neuhalfen betont, dass Wissen erworben und aktuell gehalten werden muss. Das lohne sich. Denn der Vorteil des Gewerbegeschäfts sei, dass es sich um größere Kunden und damit höhere Vergütungen handele. Zudem hing an jedem Firmenkunden potenzielles Privatkundengeschäft – vom Inhaber über die Führungskräfte bis hin zur Belegschaft. Auch Maklerunternehmer Orthey hebt die Chancen einer stabilen Kundenbasis hervor: „Unternehmen sind in der Regel bestrebt, langfristige Geschäftsbeziehungen aufzubauen, zumal der Wechsel eines Versicherers beziehungsweise Vermittlers mit einem höheren Aufwand verbunden ist.“
Was die Produkte selbst betrifft, verweist Neuhalfen auf die Variable Industrie Police, ein Angebot für Mittelständler, dass in einem Vertrag mehrere Themen vereinen könne – quasi alles aus einer Hand. Und ab 2025 sollen auch für die kleineren Betriebe Angebote digital bereitstehen. Solch ein Baukastenprodukt ist zum Beispiel auch das Gothaer GewerbeProtect. Hackbarth zufolge lässt sich der Schutz dank technischer Unterstützung „mit wenigen Klicks anpassen“, falls sich beim Firmenkunden etwas ändere. Auch so lasse sich mit Komplexität umgehen. Auch andere Anbieter gibt es, die in diese Richtung gehen. HDI hat bereits seit Jahren das Konzept HDI Compact am Markt. Es besteht aus einem Grundschutz, branchenspezifischen Bausteinen sowie Komponenten für besondere Risiken. Alles lasse sich frei kombinieren. Tarifierung und Abschluss erfolgten digital.
Fazit
Gewerbepolicen sind komplex, weil sie unterschiedliche Risiken abdecken müssen. Mit Baustein-Produkten lassen sich Gefahren gezielt decken. Für die Beratung freilich ist umfangreiches Fachwissen notwendig, dass zudem ständig aktuell gehalten werden muss. Digitale Tools der Versicherer und Vergleichsportale wie Thinksurance helfen die Komplexität in den Griff zu bekommen. Im Gegenzug winkt Maklern ein abwechslungsreiches und lukratives Geschäftsfeld.