Ampel-Koalition: Geplante Rentenerhöhung fällt niedriger aus
Die Renten sollen steigen – hieß es noch vor wenigen Wochen. Um 5,2 Prozent in den alten Bundesländern und um 5,9 Prozent im Westen, so der ambitionierte Plan. Von dieser Aussage distanzierte sich nun der geschäftsführende und wohl auch zukünftige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in einem Gespräch mit der Bild am Sonntag. „Jetzt erwarte ich, dass die Renten in Deutschland ab Juli 2022 um 4,4 Prozent steigen“, so Heil. Das sei „immer noch sehr ordentlich“, sagte der SPD-Politiker im Interview. Schließlich wurden die Renten in diesem Jahr in Folge der Pandemie und der konjunkturbedingt gesunkenen Beitragseinnahmen im Westen gar nicht und in Ostdeutschland nur um 0,72 Prozent angehoben.
Die ursprünglich angedachte Anhebung wäre sogar von historischem Ausmaß gewesen: Seit knapp 40 Jahren wären die Renten nicht derart erhöht worden. Doch die Vorfreude der etwa 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner sollte nicht von langer Dauer sein. Grund für den Rückzieher sei die Wiedereinführung des sogenannten Nachholfaktors, den Olaf Scholz in seiner damaligen Funktion als Bundesarbeitsminister 2008 eingeführt hatte.
Das Instrument gegen Rentenkürzungen
Der Nachholfaktor sollte in Krisenzeiten wie 2008, wenn auch die Löhne sinken, einer gleichzeitigen Rentenkürzung vorbeugen: Wenn die Löhne dann wieder ansteigen, sollte mithilfe des Nachholfaktors die nicht in Kraft getretene Rentenkürzung ausgeglichen werden. Vereinfacht gesagt: Müsste die Rente während einer Konjunkturflaute eigentlich sinken, wird durch den Nachholfaktor die eigentlich notwendige Senkung mit voraussichtlichen Erhöhungen in den kommenden Jahren verrechnet. Die geplanten Erhöhungen müssen dann natürlich angepasst, also verringert werden, um wieder einen Ausgleich herzustellen. Das wird so lange gemacht, bis die nicht vorgenommene Kürzung der Rente ausgeglichen ist.
Seit vier Jahren ist das Instrument ausgesetzt worden und soll nun reaktiviert werden. „Wir werden den sogenannten Nachholfaktor in der Rentenberechnung rechtzeitig vor den Rentenanpassungen ab 2022 wieder aktivieren und im Rahmen der geltenden Haltelinien wirken lassen“, heißt es im Koalitionsvertrag. „Die Rentenentwicklung darf nicht von der Lohnentwicklung abgekoppelt werden“, erklärte Heil das Vorgehen.
Streitpunkt: Nachholfaktor
Ursprünglich war vorgesehen, den Nachholfaktor bis 2025 auszusetzen, um Rentenniveau und Beitragssatz stabil halten zu können. Wirtschaftsexperten monierten schon länger, dass ohne den Nachholfaktor die Rentenkassen zu stark belastet werde. Zumal immer mehr Rentenbezieher einer immer kleiner werdenden Gruppe von Beitragszahlern gegenüberstehen.
Die Reaktionen auf das Vorhaben, das die Ampelparteien festgeschrieben haben, folgten auf dem Fuße: Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, forderte am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Das klare Bekenntnis der Ampel zur Wiedereinführung des Nachholfaktors muss jetzt ohne Abstriche umgesetzt werden.“ Er nannte Rentnerinnen und Renter, die durch den ausgesetzten Nachholfaktor von steigenden Löhnen profitierten „Krisengewinner auf Kosten der Beitragszahler“.
Demgegenüber positionierte sich Anja Piel, Vorständsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund, kritisch: „Das Wiedereinsetzen des Nachholfaktors wird praktisch dafür sorgen, dass Renten langsamer steigen als Löhne und so Rentnerinnen und Rentner noch weiter von der Entwicklung der Löhne abgekoppelt werden. Auch ohne Nachholfaktor steigen die Renten von 2020 bis 2025 schon langsamer als die Löhne“, sagte Piel der dpa.
Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland, monierte in einem Gespräch mit der Funke Mediengruppe: „Der Nachholfaktor sollte dauerhaft gestrichen werden.“ Bauer sprach von einem falschen Signal, das in Zeiten der Pandemie gesetzt werde.
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