bAV: So beteiligen sich die Sozialpartner in der Schweiz

Trotz Förderung hakt das bAV-Geschäft mit der reinen Beitragszusage. Neue Überlegungen für den Durchbruch des Sozialpartnermodells hierzulande wurden mit Blick über die Grenzen in die Schweiz und die Niederlande auf einer Fachtagung diskutiert.

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08:06 Uhr | 27. Juni | 2022

Bei der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) gibt es mehrere Großbaustellen, die einer weiteren Verbreitung im Wege stehen. Dazu zählt auch die praktische Umsetzung der theoretisch seit 2018 mit dem Betriebsrenten-Stärkungsgesetz (BRSG) erlaubten Sozialpartnermodelle. „Sie bieten für den bAV-Ausbau ein ideales, innovatives Instrument“, sagte Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium (BMAS), auf der Fachtagung „Leinen los, Sozialpartnermodelle“.

Organisiert hat den Kongress, der vergangene Woche in Berlin stattfand, der Eberbacher Kreis, ein Zusammenschluss renommierter Anwaltskanzleien auf dem Gebiet der bAV. „Das tarifliche Sozialpartnermodell eröffnet Möglichkeiten für einfache, attraktive, sehr kostengünstig organisierte Betriebsrenten bei gleichzeitig hoher Sicherheit – daher steht die Bundesregierung zu diesem Modell“, betont Schmachtenberg auf der Tagung.

Rolle der Pensionsfonds für das SPM unterschätzt

„Im Ausland haben die Branchen-Pensionsfonds, die bei uns als ‚Sozialpartnermodell‘ strukturiert werden könnten, eine riesige Bedeutung“, hat Rechtsanwalt Marco Arteaga von Luther Rechtsanwaltsgesellschaft und zugleich Sprecher des Eberbacher Kreises, beobachtet. „In den Niederlanden beträgt das Vermögen der beiden größten Pensionsfonds zusammengenommen mehr als die gesamte bAV in Deutschland“, so Arteaga auf der Tagung weiter. Dies habe riesige Auswirkungen auf Kosten, Stabilität und den Einfluss, den die Pensionsfonds auf die Wirtschaft nehmen.

Das untermauern auch die ausländischen Gastredner: Peter Borgdorff, früherer CEO des 250 Milliarden Euro schweren zweitgrößten niederländischen Pensionsfonds „Zorg en Welzijn (PFZW), verweist auf den Stellenwert des Asset Managements, das ja die Renten sicher erwirtschaften muss, ohne Garantien zu geben. Überraschenderweise beneidet er die Ausgangslage für Deutschland: „Die ganz neue Gesetzgebung in Deutschland enthält bereits viel von dem, was derzeit die Niederlande für die seit Jahrzehnten bestehenden Pensionsfonds an Verbesserungen einführt.“

Sozialpartnerschaft in größter Schweizer Pensionskasse

Etwas konkreter berichtet Thomas Schönbächler, Vorsitzender der Geschäftsleitung der BVK, mit 41 Milliarden Franken Anlagevermögen die größte schweizerische Pensionskasse. Sie wurde 1926 als Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich gegründet, ist heute aber eine privatrechtliche Stiftung und organisiert bAV vorrangig für die Branchen Gesundheit, Bildung und Verwaltung.

In der Schweiz gebe es eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft bei der Steuerung der Altersversorgungskassen. „Arbeitgeber und Arbeitnehmer tragen gemeinsam die Verantwortung für die Pensionskassen und entscheiden deshalb zusammen und auf Augenhöhe“, sagt Schönbächler. Das bringe auch langfristig die besten und nachhaltigsten Erfolge.

Wie die bAV etabliert und organisiert ist

„Als größte Schweizer Pensionskasse (130.000 Versicherte) unter rund 1.430 anderen haben wir gute Möglichkeiten, Skaleneffekte sowie die Einkaufsmacht zu nutzen“, ergänzt der Pensionskassenchef. So habe man in der BVK die vergangenen zehn Jahre die Kosten halbiert. „Das Geld kommt nun unseren Versicherten zugute“, betont der Experte.

In seinem Vortrag verweist Schönbächler zudem auf die Rolle der bAV in der Altersvorsorge der Schweiz, die seit 1985 obligatorisch und mischfinanziert ist. Im Kapitaldeckungsverfahren sei rund eine Billion Schweizer Franken investiert. Jeder Arbeitgeber schließe sich einer Pensionskasse an, jeder Arbeitnehmer habe ein individuelles Konto. „Bei Jobwechsel wird das Sparguthaben problemlos in die neue Pensionskasse transferiert“, berichtet Schönbächler. Die letzte Pensionskasse leiste die gesamte lebenslange Altersrente.

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Arbeitnehmer in Stiftungsrat und Anlageausschuss präsent

Der paritätische Stiftungsrat jeder Pensionskasse werde basisdemokratisch gewählt: Arbeitnehmer bestimmen 50 Prozent der Stiftungsräte (eine Stimme pro Person), Arbeitgeber ebenfalls 50 Prozent (Stimmgewicht im Verhältnis zur Anzahl der Mitarbeiter). Es gebe jährliche themenspezifische Workshops für den Stiftungsrat. Für die Kapitalanlage sei ein gemeinsamer Anlageausschuss eingerichtet. „Die eigentliche Anlagestrategie und Benchmark legt der Stiftungsrat fest“, erklärt Schönbächler. Der paritätisch besetzte Anlageausschuss realisiert die Anlagestrategie im Rahmen der taktischen Bandbreiten und setzt sie im Rahmen der Anlagegrundsätze um.

Für die Anlagestrategie sei der gesetzliche Spielraum zu beachten. Maximal sind 50 Prozent Aktien, 30 Prozent Immobilien (davon maximal ein Drittel im Ausland), 15 Prozent alternative Anlagen; 30 Fremdwährungen (ohne Währungssicherung), zehn Prozent Infrastruktur und fünf Prozent Anlagen beim Arbeitgeber erlaubt. Im Durchschnitt schafften die Schweizer Pensionskassen in den letzten zehn Jahren 5,2 Prozent Rendite pro Jahr (BVK: 5,6 Prozent). Maxime sei ein konstantes Risikobudget. „Leistungsverbesserungen werden fair nach Jahrgang geregelt“, so Schönbächler.

Ängstlichkeit contra höhere Betriebsrente

Da könnte man sich für Deutschland in der Tat einiges abschauen, insbesondere die beim Sozialpartnermodell (SPM) meist zögerlichen Arbeitnehmervertreter, aber auch die Politik in Sachen Portabilität oder generationengerechte Altersvorsorge. „Noch wird in Deutschland ängstlich über den Wegfall der Garantie diskutiert oder über den Umfang der Beteiligung der Sozialpartner an der Durchführung und Steuerung“ so Arteaga.

Das SPM sei vor allem auch ein Instrument, um mit Hilfe der Verbände ein Versorgungsmodell zu etablieren, auf das sich auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ohne weiteres einlassen können, meint Arteaga. Er hatte seinerzeit das Gutachten mitgeschrieben, das die Basis für die gesetzliche Installation des SPM gebildet hat. „Insbesondere KMU bürden sich mit der Teilnahme am SPM weder Haftungsrisiken noch Verwaltungsaufwand auf, können aber bei den Sozialleistungen mit den großen Arbeitgebern im Kampf um qualifizierte Fachkräfte mithalten“, beschreibt der Anwalt die Türöffner-Funktion der reinen Beitragszusage.

Weiteres Zögern begünstigt Obligatorium

Die Beitragsseite lasse sich über Branchen-Pensionsfonds frei gestalten, sodass eine ordentliche individuelle Versorgung auf Unternehmensebene entstehen kann. „Aber dafür brauchen wir jetzt diese Modelle“, argumentiert Arteaga einmal mehr angesichts niedriger Zinsen, hoher Inflation und großzügiger Förderung. Und wiederholt seine mehrfach geäußerte Befürchtung: „Wenn es die Tarifparteien nicht aufgreifen, dann muss es eben auf anderem Wege geschehen.“ Gemeint ist wohl ein Obligatorium, dass dann individuelle Vorsorge massiv einschränken würde.

Hinter den Kulissen bewegt sich in Sachen SPM einiges, hatte bereits im Februar die Fachtagung von Mathias Ulbrich, Professor für Arbeitsrecht an der Fakultät für Wirtschaftsrecht der Hochschule Schmalkalden, gezeigt. Nachdem das erste Angebot praktisch immer noch in der BaFin-Prüfung steckt, ist nun ein Projekt in der Energiewirtschaft unter gewerkschaftlicher Beteiligung von IG BCE und ver.di ebenso in Arbeit wie in der Chemiebranche. In einem ersten Schritt soll der Chemie-Pensionsfonds die reine Beitragszusage anbieten können.

Tarifpartner nicht noch mit Aufsichtsproblemen blockieren

Expertenstreit gibt es jedoch zur Aufweichung des vorgeschriebenen Tarifvorbehalts beim SPM. Einen weiteren Aspekt bringt nun Professor Martin Franzen, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ins Spiel.

Er mahnt bei der Tagung des Eberbacher Kreises gesetzlichen Korrekturbedarf an. „Notwendig ist eine klarere gesetzliche Abgrenzung zwischen den Verantwortlichkeiten der Tarifpartner und denen der Versicherungsaufsicht.“ In diesem Spannungsfeld hängt offenbar auch das SPM von Talanx und ver.di fest.

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