bAV: Wie sich Inflation und steigende Zinsen auswirken
Kein Zweifel: Die Inflationsrate von mittlerweile voraussichtlich zehn Prozent wird auch auf die betriebliche Altersversorgung (bAV) durchschlagen. Das wirkt sich jedoch auf die heutigen Betriebsrentner weniger aus als auf die künftigen, erklärte das Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS), einem Zweigverein der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), vergangene Woche auf einem Fachforum in Köln.
„Der überwiegende Teil der laufenden Betriebsrenten ist gegen Inflation geschützt, doch für Anwärter gibt es diesen Schutz häufig nicht und die Ansprüche werden durch die Inflation mehr oder weniger stark entwertet“, sagt IVS-Vorstandschef Friedemann Lucius. Hintergrund: Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, spätestens alle drei Jahre die Höhe der laufenden Betriebsrenten zu prüfen und nach billigem Ermessen anzuheben.
Werden Renten an den Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) oder die Nettolohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmergruppen angepasst, entfällt die Prüfungspflicht. Für Zusagen, die nach 1998 erteilt wurden, kann die Anpassung ebenfalls unterbleiben, wenn die laufenden Renten jedes Jahr um 1,0 Prozent angehoben werden. „In der Praxis unterliegen geschätzt 70 Prozent der laufenden Betriebsrenten der VPI-Anpassungsregelung und sind insofern inflationsgeschützt“, so Lucius, im Hauptberuf Vorstandssprecher der Heubeck AG.
Begrenztes bAV-Budget benachteiligt junge Menschen
Anders bei Anwärtern, also den künftigen Betriebsrentnern: Endgehaltsabhängige Systeme, die durch Leistungszusagen mit festem Eurobetrag einen gewissen Inflationsschutz durch die Entgeltdynamisierung gewähren, gibt es für sie kaum noch. Beitragsorientierte Leistungszusagen (BoLZ), bei denen der Beitrag gehaltsabhängig festgelegt ist, kommen häufiger vor, bieten jedoch allenfalls eingeschränkten Inflationsschutz über die Gehaltsentwicklung, die aber nur auf zukünftige Anwartschaftszuwächse wirkt. „In den meisten Fällen führt die Inflation für Anwärter zu einer Entwertung ihrer erdienten Ansprüche“, fasst Lucius die Lage der jungen Generationen zusammen.
In Zeiten hoher Inflation werden die jungen Generationen also von drei Seiten in die Zange genommen: Erstens werden die erdienten Anwartschaften und Ansprüche real entwertet. Zweitens nimmt der Druck zu, bestehende Entgeltumwandlungen womöglich einzustellen, um die Strom- und Gaspreisrechnung noch bezahlen zu können. Drittens müssten bei unvollständigem Inflationsausgleich auf das Gehalt Kaufkraftverluste hingenommen werden, die die Fähigkeit zur ergänzenden Altersvorsorge zusätzlich schmälern.
Im Bestand kaum Absenkungen möglich
Bereits im Frühjahr hatten die Aktuare auf der DAV-Jahrestagung den Finger in die Wunde gelegt. Die oft sehr guten alten bAV-Zusagen beließen immer weniger Chancen für gute bAV bei neuen Mitarbeitern, sagte seinerzeit IVS-Vorstandsmitglied Susanna Adelhardt. „An alten Zusagen kann fast nichts zugunsten der Jungen abgezweigt werden, da arbeitsrechtliche Zusagen für gesamte Dauer vorgegeben sind und eine Anpassung nach unten kaum möglich ist“, so Adelhardt, hauptberuflich Head of Benefits beim Spezialchemiehersteller Evonik Industries.
Damit sei die Generationengerechtigkeit in bAV derzeit nicht gewährleistet, zumal der Dotierungsrahmen der Firmen für bAV insgesamt begrenzt ist und die aktuellen Krisen nicht gerade höchste Priorität für die bAV einräumen.
IVS für Nachhaltigkeitsmechanismus
Es verstetigt sich der Trend, dass „die aktuellen Betriebsrentner meist für ein gutes Versorgungsniveau besitzen, das für die heutige Generation in der Breite faktisch unerreichbar sein wird“, warnt Stefan Oecking, stellvertretender IVS-Vorsitzender. Das will das IVS ändern und setzt sich für einen Nachhaltigkeitsmechanismus in der bAV ein – in Anlehnung an den Nachhaltigkeitsfaktor der gesetzlichen Rentenversicherung. Damit sollen die begrenzten Mittel im Sinne eines Generationenausgleichs gerechter verteilt werden.
„Denkbar wäre die Ergänzung der gesetzlichen Anpassungsverpflichtung um eine Option für den Arbeitgeber zur Begrenzung der Anpassungshöhe, etwa durch die Einführung einer Anpassungsbemessungsgrenze (ABG) für laufende Renten“ so Oecking, im Hauptberuf Partner bei Mercer und Vorstandschef des Mercer Pensionsfonds. Betriebsrenten würden dann nur noch bis zu einem bestimmten Betrag an den VPI angepasst, zum Beispiel 1/6 der monatlichen Bezugsgröße (nach SGB IV). De facto würde nach aktuellem Stand rund 550 Euro voll entsprechend Verbraucherpreisindex beziehungsweise Nettolohnentwicklung angepasst.
Eingesparte Mittel sollen Jüngeren zugute kommen
Beträge über der ABG sollten nur noch reduziert erfolgen, zum Beispiel zu 50 Prozent der aktuellen Regelung beziehungsweise nur mit 1,0 Prozent fix, schlägt das IVS vor. Arbeitgeber müssten sich im Gegenzug verpflichten, die eingesparten Mittel zur Finanzierung zusätzlicher bAV für die jüngeren Generationen einzusetzen, so die Idee. Damit dies nicht zu kompliziert wird, könnte die Prozedur durch kollektivrechtliche Regelungen per Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag geregelt werden, meint das IVS.
Wie der Nachhaltigkeitsmechanismus praktisch aussehen könnte, haben die Aktuare noch nicht durchgerechnet. So wie bisher könne es aber nicht weitergehen. Die Finanzierung geschützter Besitzstände zu Lasten der jungen Anwärter gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und wird damit zum sozialpolitischen Problem, warnt das IVS. Es bleibt offen, ob ein solcher Mechanismus vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt rechtlich bestehen würde.