Beratungshaftung: Zwingen Inflation und Energiekrise Makler zum Handeln?

Viele Versicherte stehen mittlerweile finanziell schlechter da als bei Abschluss ihrer Policen. Sind Vermittler jetzt krisenbedingt in der Pflicht, die Verträge ihrer Kunden zu optimieren? Wir fragten nach bei VOTUM-Chef Martin Klein und AfW-Vorstand Norman Wirth.

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14:07 Uhr | 29. Juli | 2022

Die Inflation bewegt sich seit Monaten auf Rekordniveau. Gleichzeitig haben viele Haushalte aufgrund der Coronakrise weniger im Geldbeutel als vor der Pandemie. Und zu allem Überfluss reihen sich beinahe täglich Hiobsbotschaften zur Energiekrise aneinander. Für 2023 rechnet man bei der Bundesnetzagentur mit bis zu einer Verdreifachung der monatlichen Abschläge für Gas. Für viele Menschen wird es eine finanzielle Krise mit Ansage.

Da ist es nur logisch einmal zu überlegen, welche monatlichen Ausgaben man reduzieren oder sogar ganz streichen könnte. So haben beispielsweise Sparkassenkunden im ersten Halbjahr 2022 ihre Sparbeiträge gegenüber dem Vorjahreszeitraum beinahe vollständig eingestellt. Das Gleiche ist auch für andere Geldanlagen und Lebensversicherungen denkbar, ebenso wie Umdeckungen oder Vertragskündigungen im Komposit-Bereich, um die monatliche Beitragslast zu reduzieren. Aber sind solche Überlegungen allein Sache der Verbraucher? Oder gehört es zur Beratungspflicht der Vermittler, die Verträge ihrer Kunden angesichts der drohenden Krise zu optimieren?

Sind Vermittler jetzt unter Zugzwang?

„Sofern sich die Lebensumstände des Kunden durch allgemeine Preiserhöhungen verändern, ist dies kein Ereignis, welches durch die von dem Vermittler vermittelten Verträge ausgelöst ist, sondern ein von außen einwirkendes Ereignis – ähnlich wie andere exogene Faktoren wie Scheidung, die Geburt eines Kindes oder der Verlust des Arbeitsplatzes“, sagt Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des VOTUM-Verbands auf procontra-Nachfrage. Das bedeute, es gebe keine Pflicht des Vermittlers, auf den Kunden zuzugehen und ihn auf eine mögliche Anpassung seiner Verträge anzusprechen, betont der Jurist. Die enormen Preissteigerungen für Gas, die bereits jetzt absehbar sind, bilden da keine Ausnahme. „Es droht also keine Pflichtverletzung wegen Falschberatung, wenn Makler und Vermittler nicht unmittelbar aktiv werden“, fasst Klein zusammen.

Auch Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW - Bundesverband Finanzdienstleistung sieht kein Risiko für Makler oder Vertreter: „Es fällt mir extrem schwer, hier eine Konstellation zu konstruieren, bei der einem Vermittler tatsächlich ein Vorwurf gemacht werden könnte, weil er nicht proaktiv auf die Kunden zugegangen ist.“ Natürlich würde es zu den allgemeinen Beratungspflichten eines Vermittlers gehören, beim Abschluss von Verträgen zu berücksichtigen, dass der finanzielle Grundbedarf der Kunden gesichert sei und auch bleibe. Bei erkennbarem Anlass bestehe die Pflicht, das Gespräch zu suchen. „Aber so weit, die Preissteigerung im Energiemarkt und die allgemeine Inflation als justiziablen Anlass zu werten, würde ich keinesfalls gehen“, sagt Wirth.

Berater können jetzt positives Signal senden

Eine gesetzliche Pflicht zu einem regelmäßigen, beispielsweise jährlichen Kundengespräch, gibt es laut dem AfW-Chef nicht. Jedoch könnte genau jetzt ein guter Zeitpunkt dafür sein. Gerade in volatilen Phasen sollten Vermittler, allein schon aus dem Servicegedanken heraus, proaktiv auf ihre Kunden zugehen und mit ihnen zusammen eine mögliche Veränderung ihrer finanziellen Lage analysieren, findet VOTUM-Chef Klein. Neben dem positiven Signal könnten dann eventuell auch unüberlegte Kurzschlussreaktionen der Verbraucher verhindert werden.

Konkret seien Beitragsfreistellungen von Lebensversicherungen, beispielsweise auch von BU-Policen, fast immer besser für die Kunden, als wenn sie diese einfach kündigen würden. Denn Wiederinkraftsetzungen beziehungsweise Neuabschlüsse mit verändertem Gesundheitszustand würden sich fast immer nachteilig auswirken, so Klein. Für den Komposit-Bereich nennt der Verbandsvorsitzende beispielhaft die Stilllegung von Zweitwägen und Drohnen. Wenn sich auf diese während der finanziell angespannten Zeit verzichten ließe, könnten neben den Betriebskosten auch die Versicherungsbeiträge eingespart werden.