Direktzusagen: Warum die Zinswende Pensionsverpflichtungen senkt
Das erste Halbjahr 2022 brachte in vielen Anlageklassen häufig zweistellige prozentuale Verluste. Dennoch dürfte sich dadurch die Ausfinanzierung deutscher Betriebspensionen der großen börsennotierten Konzerne in diesem Jahr verbessern, so eine These des „3. Pension Monitors“ der Frankfurt School of Finance & Management in Kooperation mit dem Asset Manager Insight Investment.
Hintergrund: Um den Barwert der Pensionsverpflichtungen, also den heutigen Wert aller in Zukunft zu leistender Zahlungen eines Unternehmens, zu ermitteln, werden alle Zahlungen mit einem Zinssatz diskontiert. „Wenn der Zinssatz steigt, sinkt im Gegenzug der Barwert dieser Verpflichtungen“, erklärt Frank Diesterhöft, Head of Fixed Income Sales Germany von Insight Investment. So wie über viele Jahre sinkende Zinsen zu höheren Pensionsverpflichtungen geführt hatten, haben die zuletzt steigenden Zinsen den gegenteiligen Effekt.
Wie Pensionsrisiken auf Aktienkurse wirken
Der Insight Pension Monitor untersucht aus der Kapitalmarktperspektive, wie sich beispielsweise der Aktienkurs oder die Refinanzierungskosten der einzelnen Dax- und M-Dax-Unternehmen in Abhängigkeit der Pensionsrisiken dieser Unternehmen entwickelt haben. Diese Perspektive ist auch für Empfehlungen von Maklern für Versicherungsanlageprodukte ihrer Kunden interessant.
Überraschendes Ergebnis: Unternehmen mit niedrigem Pensionsrisiko für Direktzusagen warfen seit 2012 eine um 5,2 Prozent pro Jahr höhere Aktienrendite ab als Unternehmen mit hohem Pensionsrisiko. Als Pensionsrisiken wurden Defizit-bezogene Kennzahlen (Pensionsdefizit muss in der Zukunft ausgeglichen werden), verpflichtungsbezogene Kennzahlen (wirtschaftliche Relevanz der Pensionsverpflichtungen; entsprechen dem abgezinsten Wert der erwarteten zukünftigen Pensionszahlungen) und Cashflow-bezogene Kennzahlen (wie sich Pensionsdefizite und -verpflichtungen von Jahr zu Jahr verändern) analysiert.
Was der Mittelstand von großen Konzernen lernen kann
Firmen können durch Steuerung des Pensionsrisikos wichtige Kapitalmarktkennzahlen positiv beeinflussen, besagt die Studie, die tiefer geht als andere Analysen, die sich nur mit dem Ausfinanzierungsgrad der Pensionsverpflichtungen beschäftigen. Der Insight Pension Monitor kommt zu drei maßgeblichen Ergebnissen:
Letzteres hat erstaunliche Wirkungen. In der Mehrzahl der Realzinsszenarien im Untersuchungszeitraum von 2012 bis 2021 haben Unternehmen mit niedrigem Pensionsrisiko viel besser performed als solche mit hohem Pensionsrisiko. Wegen der langen Durationen von Pensionsverpflichtungen sind die Zinsen in der Regel der größte singuläre Pensionsrisikofaktor, konstatiert die Studie. Die zuletzt steigenden Zinsen haben den Rechnungszins, mit dem sich die Barwerte der Pensionsverpflichtungen errechnen lassen, wieder auf einen Wert von mehr als 3,0 Prozent steigen lassen.
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Wie steigende Zinsen bereits auf Direktzusagen wirken
„Die Rechnungszinsen sind auf Zehnjahreszeitraum nie so dynamisch angestiegen wie in den vergangenen sechs Monaten“, sagte Wolfgang Murmann von Insight Investment der FAZ bei Vorstellung der Studie. Dies seien sehr gute Nachrichten, denn der Barwert der Pensionsverpflichtungen sinkt und entlastet die Unternehmensbilanzen. „Je nach Duration sind die Verpflichtungen um 20 bis 40 Prozent gesunken“, so Murmann weiter. Und fügt etwas technisch formuliert hinzu: „Die starke Verpflichtungsperformance dürfte die schwache Assetperformance kompensieren.“
Für künftige Betriebsrentner ist dies nicht unbedingt eine positive Nachricht. Denn neben der anziehenden Inflation, die bei Fortschreibung über 40 Jahre eine Betriebsrente fast auf ein Drittel der Kaufkraft abschmelzen würde, sind die gängigen Beitragsgarantien ein Risiko. „Eine Beitragsgarantie wird als etwas Positives dargestellt“, sagt Olaf Stotz, Finanzprofessor der Frankfurt School. Vordergründig höre sie sich für zukünftige Rentner positiv an, ist aber mit Kosten verbunden. Die im Mittelstand verbreitete Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) sei gegenüber aktuellen Kapitalmarktrisiken empfindlicher als die in Konzernen verbreiteten direkten Leistungszusagen der Arbeitgeber.
Politische Hausaufgaben
Die bAV-Regulatorik insgesamt braucht dringend Veränderung. Alte bAV-Zusagen seien meist sehr gut, doch die bAV-Chancen für neue Mitarbeiter stünden schlecht, weil Arbeitgeber kaum noch genug Gesamtbudget für die bAV hätten, meint Susanna Adelhardt, Head of Benefits beim Spezialchemiehersteller Evonik Industries.
„Da weder die zugesagte Leistung nachträglich gekürzt noch der vereinbarte Beitrag im Laufe der Zeit erhöht werden dürfen, muss der Beitrag mit erheblichen Sicherheiten kalkuliert werden, was ihn in die Höhe treibt“, ergänzt Friedemann Lucius, Vorstandsvorsitzender des bAV-Beraters Heubeck.
Echte Kapitalmarktpartizipation durch BZML behindert
„Zusätzlich verlangt das Aufsichtsrecht, dass Versorgungsverpflichtungen zu jeder Sekunde während des gesamten, oft jahrzehntelangen Versorgungsverhältnisses mit Vermögen bedeckt sein müssen“, erinnert Lucius. Folge: Beiträge müssen schwankungs- und damit renditearm in meist festverzinsliche Anlagen investiert werden, wodurch eine echte Kapitalmarkt-Partizipation verhindert wird. Fast ein Jahr nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages hat die Bundesregierung noch kein Gesamtkonzept vorgelegt, um die Altersvorsorge zukunftsfest zu machen.
Zur Erinnerung: Der Höchstrechnungszins bei klassischen Rentenversicherungen ist seit 1. Januar dieses Jahres im Neugeschäft von 0,9 auf 0,25 Prozent abgesenkt worden. Das garantierte Kapital am Ende der Laufzeit fällt damit bei anhaltendem Niedrigzins wesentlich geringer aus. Bei der BZML muss der Versicherer trotz abgesenktem Garantiezins weiterhin 100 Prozent Beitragsgarantie darstellen. Daher wird vielfach in der bAV schon die beitragsorientierte Leistungszusage (BoLZ) geboten.
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