Finanzmarktbürokratie: „Wir schaffen ein Bürokratiemonster nach dem anderen“

Aufsichts-Wechsel, Provisionsdeckel und neue Dokumentationspflichten – beim Thema Finanzberatung ist der Regulierungseifer der Politik weiterhin stark ausgeprägt. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler findet, der Gesetzgeber sollte sich öfter mal raushalten. Vieles würde der Markt selbst besser regeln.

07:07 Uhr | 29. Juli | 2021

procontra: Freie Finanzanlagenvermittler klagen über immer mehr Papierkram. Den Regulierern sei Dank?

Frank Schäffler: Natürlich. Die Überregulierung ist schon ein jahrelanger Trend, der über die gesamte Finanzbranche kommt. Für freie Vermittler bedeutet sie eine große Belastung. Man muss eine Umkehr einleiten, aber das ist nicht einfach. Denn wir bewegen uns hier auf europäischer Ebene, und da sind Reformprozesse langwierig. Ich will das Thema jedoch im deutschen Bundestag angehen, um das Schlimmste zu verhindern.

procontra: Die FDP hat daher auch das Moratorium zur Finanzmarktbürokratie eingebracht. Mit diesem wollten Sie einige Maßnahmen wenigstens vertagen. Grüne und Linke werfen Ihnen vor, die Pandemie als Ausrede zu missbrauchen.

Schäffler: Zu Unrecht. Schon in normalen Zeiten ist die Bürokratie schwer zu bewältigen. Jetzt kommt Corona hinzu, und ausgerechnet in dieser schwierigen Situation will die Regierung der Branche zusätzliche Lasten aufbürden – beispielsweise die Finanzanlagevermittlung unter die Aufsicht der BaFin zu stellen und die Einführung eines Provisionsdeckels für Lebensversicherungen. Dabei müssen wir jetzt erst mal möglichst schnell durch die Krise kommen, bevor der Gesetzgeber das nächste bürokratische Monster schafft.

procontra: Stichwort BaFin-Reform. Angedacht war etwa, dass die Aufsichtsbehörde auch Finanzanlagenvermittler beaufsichtigt.

Schäffler: Der Plan ist erst mal gestoppt – zum Glück. Es wäre eine Herkulesaufgabe gewesen. Die BaFin hätte zahlreiche neue Mitarbeiter finden und eine ganz neue Struktur schaffen müssen. Gleichzeitig hätte man das bewährte System der Gewerbeämter zerstört – obwohl es überhaupt keine nachweisbaren Mängel gibt. Ich denke, die Regierungskoalition hat von diesem und anderen Plänen unter dem Druck der Branche und auch der FDP Abstand genommen.

procontra: Aber kann man komplett auf eine Reform der Finanzaufsicht verzichten – vor allem nach dem Wirecard-Skandal?

Schäffler: Bevor die BaFin neue Aufgaben übernimmt, sollte sie sich erst mal um ihre Kernaufgaben kümmern: die Banken ordentlich zu beaufsichtigen, statt kleinere Akteure zu Tode zu regulieren. Jüngst wurde im Finanzausschuss ein Acht-Punkte-Plan für eine interne BaFin-Reform vorgelegt. Es bewegt sich also ein wenig, aber vieles liegt im Argen. Wenn mehrere hundert BaFin-Mitarbeiter Finanzgeschäfte mit Aktien machen, die sie gleichzeitig beaufsichtigen, zerstört das natürlich das Vertrauen.

procontra: Die Finanztransaktionssteuer ist erst mal auf Eis gelegt. Zuletzt scheiterte Olaf Scholz im Jahr 2019 in Brüssel mit dem Vorhaben, doch er verspricht einen nächsten Anlauf. Wie schätzen Sie seine Erfolgschancen ein?

Schäffler: Seine Amtszeit als Finanzminister neigt sich dem Ende. Insofern wird er gar nicht mehr die Gelegenheit haben. Bisher ist der Vorstoß vor allem gescheitert, weil sich die Länder nicht auf einen Verteilungsmechanismus für die Einnahmen einigen konnten. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Ich rechne fest damit, dass das Thema wieder auf die Tagesordnung kommt. Die Grünen sind ebenfalls große Befürworter der Transaktionssteuer, die CDU ist nicht völlig abgeneigt. Es wäre das nächste Bürokratiemonster ohne irgendeinen Nutzen.

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procontra: Bürokratie kommt nicht ohne Nebenwirkungen, aber ist der Verbraucherschutz nicht ein gutes Argument für sie?

Schäffler: Nein. Nehmen Sie die Dokumentationspflicht als ein Beispiel. Mit ihr hat man dem Verbraucherschutz einen Bärendienst erwiesen. Anbieter und Vermittler von Finanzprodukten können sich freischwimmen, indem sie sich einfach alles unterschreiben lassen. Das ist nur ein Pseudo-Verbraucherschutz. Ein verschärftes Haftungsrecht, wie es sich auch anderswo in der Marktwirtschaft bewährt hat, ist die bessere Alternative. Aus so einem Haftungsregime ergeben sich automatisch Anforderungen an die Dokumentation. Deutschland hat vielfältige Anbieter und Vermittler, jeder mit seinen Vor- und Nachteilen. Dem Kunden die Wahl zu lassen, ist die beste Qualitätssicherung.

procontra: Schon Ende dieses Jahres könnte der nächste Punkt zur Dokumentationspflicht kommen: die Frage, ob der Kunde nachhaltig investieren will. Muss die EU die Finanzbranche beim Klimaschutz mit in die Pflicht nehmen?

Schäffler: Ich halte davon wenig bis gar nichts. Es ist nicht mal geklärt, was eigentlich als nachhaltig gilt. Die Branche sollte selbst Standards entwickeln. Schon jetzt entdecken Anbieter den Bereich als Nische, weil sie auf die Nachfrage reagieren. Weder Notenbanken noch Gesetzgeber, schon gar nicht europäische Gesetzgeber, sollten sich da einmischen. Wenn die Geldpolitik nach ESG-Kriterien arbeitet, können Klumpenrisiken ähnlich der Dotcom- oder der US-Immobilienblase entstehen.

procontra: Beim Provisionsdeckel für Restschuldpolicen ist der Zug schon abgefahren. Wie stehen Sie zu der Entscheidung?

Schäffler: Die Policen wurden bisher vor allem über den Bankschalter vermittelt und eben nicht über freie Vermittler. Die Branche hat es sich mit sittenwidrigen Provisionen verscherzt. Sie hätte längst selbstregulierend eingreifen müssen. Wir als FDP sehen auch die BaFin in der Pflicht, die über das Versicherungsaufsichtsgesetz hätte einschreiten können – und müssen. Es bereitet mir Sorgen, dass der Gesetzgeber nun mit Provisionsdeckeln arbeitet. Irgendwann überträgt er das Instrument vielleicht auf andere Bereiche wie Lebens- und Sachversicherungen. Dagegen haben wir uns immer gewehrt. Für die Restschuldversicherungen schlagen wir eine Cooling-down-Phase ähnlich wie in Großbritannien vor. Demnach darf die Versicherung erst nachträglich abgeschlossen werden, damit Kunden nicht in der akuten Drucksituation entscheiden müssen.

procontra: Gibt es einen Bereich, für den Sie sich mehr statt weniger Regulierung wünschen?

Schäffler: Wir brauchen mehr Klarheit bei Kryptowährungen. Viele Detailfragen sind seit Jahren ungeklärt, sodass für Investoren Rechtsunsicherheit herrscht. Ab wann ist ein Bitcoin-Investor gewerblich tätig? Wie soll er Erträge steuerlich handhaben? Ich habe das erstmals 2013 eingefordert. Erst jetzt acht Jahre später, kurz vor dem Ende der Legislaturperiode geht das Bundesfinanzministerium das Thema an. Das Beispiel zeigt, dass die Regulierung hierzulande eine Schnecke ist und international oft hinterherhinkt.

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