Konkrete Verweisung in der BU-Versicherung: Welche Strahlkraft hat der öffentliche Dienst?

Im Rahmen der konkreten Verweisung gibt es häufig Streit – ist der neue mit dem alten Job im Hinblick auf die bisherige Lebensstellung vergleichbar? In einem aktuellen Fall argumentierte der Versicherer mit der hohen Strahlkraft des öffentlichen Dienstes. Hatte er damit Erfolg?

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14:02 Uhr | 07. Februar | 2022

Oftmals ist es für Menschen, die ihrem gelernten Beruf nicht mehr nachgehen können, möglich, eine andere Tätigkeit zu ergreifen. Die Aufnahme einer neuen Beschäftigung ist nicht immer konfliktfrei – denn der Berufsunfähigkeitsversicherer kann aufgrund der konkreten Verweisung die Leistung einstellen – zumindest dann, wenn der neue Job dem alten im Hinblick auf die soziale Wertschätzung und das Einkommen vergleichbar ist.  

Geht es nur ums Geld?

In einem Fall vor dem Nürnberger Oberlandesgericht (Urteil vom 1. Februar 2022, Az: 8 U 2196/21) ging es um einen berufsunfähigen Konstruktionsmechaniker, der nach seiner Berufsunfähigkeit eine Anstellung beim bayerischen Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung antrat. Statt wie zuvor 2.000 Euro brutto im Monat verdiente er nun 2.200 Euro. Alles wunderbar also, dachte sich der BU-Versicherer, bei dem der Mann zwei Verträge mit einer BU-Rente von jeweils 500 Euro im Monat hatte, und stellte die Auszahlung der BU-Rente ein.  

Diese Auffassung vertrat auch das Landgericht Weiden und lehnte die Klage des Versicherungsnehmers ab. Dieser zog jedoch weiter vor das Nürnberger OLG und erhielt Recht. Die soziale Stellung, die ebenfalls maßgeblich für eine konkrete Verweisung ist, hänge nicht allein von der Höhe des Einkommens ab, sondern auch vom Ansehen, das ihm sein Beruf in den Augen der Öffentlichkeit vermittelt.  

Entscheidend für die Wertschätzung eines Berufs sei, welche Kenntnisse und Fähigkeiten seine Ausübung erfordert. „Ein höheres Einkommen bei niedrigerer Arbeitszeit kann deshalb die nicht mehr nutzbaren Qualifikationen und die darauf gegründete Wertschätzung nicht ausgleichen“, so das Gericht.  

Im vorliegenden Fall hatte der Versicherungsnehmer eine reguläre Berufsausbildung zum Konstruktionsmechaniker durchlaufen und erfolgreich mit der Gesellenprüfung abgeschlossen. Beim Landesamt war er hingegen als Fahrer und Messgehilfe tätig – hierbei handelt es sich folglich nicht um einen Ausbildungsberuf. Stattdessen wurden dem Mann die arbeitsplatzspezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten in einer vierwöchigen Anlernphase vermittelt.

Welche Strahlkraft hat der öffentliche Dienst?

Ein weiterer Faktor: Statt wie bislang in einem Betrieb an seinem Wohnort beschäftigt zu sein, arbeitete der Mann nun in ganz Bayern – je nachdem in welcher Region es etwas zu tun gab. Auch dieser Umstand könne beim Vergleich des gelernten mit dem Vergleichsberuf durchaus eine Rolle spielen, stellte das Gericht fest. „Denn der stationär am Wohnort Tätige kann in Arbeitspausen 'zwischendurch' private Angelegenheiten am Ort (etwa: Behördengänge, Arzttermine) erledigen, der tagsüber in ganz Bayern umher Fahrende indessen nicht.“  

Auch das Argument, eine Anstellung im öffentlichen Dienst beim Land Bayern habe eine gewisse Strahlkraft, ließ das Gericht nicht gelten. Hierfür gebe es keine Beweise. Im Gegenteil: Da öffentliche Arbeitgeber in Stellenanzeigen ihre Konkurrenzfähigkeit unter Beweis stellen müssten, sei eher vom Gegenteil auszugehen. 

Die konkrete Verweisung auf die neue Stellung scheitere somit, urteilte das Nürnberger Gericht. Der Versicherer muss dem Mann nicht nur weiter seine BU-Renten zahlen, sondern auch Nachzahlungen in Höhe von gut 25.000 Euro leisten.  

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