Die Lebensversicherung ist mit 45,6 Prozent aller Erstversicherungsbeiträge weiter die bedeutendste Versicherungssparte in Deutschland (2010: 50,5 Prozent). Die Schaden- und Unfallversicherung kommt 2021 auf 34,3 Prozent der Erstversicherungsbeiträge (2010: 30,9 Prozent) und die PKV auf 20,1 Prozent (2010: 18,6 Prozent).
Im laufenden Jahr dürfte die Lebensversicherung jedoch durch wirtschaftliche und geopolitische Krisen weitere rund 1,0 Prozent ihres Prämienbestandes verlieren, prognostiziert die Rating-Agentur Assekurata heute in einer Web-Pressekonferenz zum „Marktausblick zur Lebensversicherung 2022/2023“. Bereits im Vorjahr hatte es einen Rückgang um 1,7 Prozent gegenüber 2020 gegeben.
Über drei Viertel Festverzinsliche in Portfolien
Generell sind noch immer etwa 77 Prozent der Kapitalanlagen in festverzinslichen Wertpapieren investiert, die im anhaltenden Tiefzinsumfeld kaum Erträge abwerfen, ergab die Analyse weiter. Im Vorjahr waren es noch 83 Prozent gewesen. Dadurch hat das Risikoergebnis dem Kapitalanlageergebnis mittlerweile den Rang als wichtigste Ergebnisquelle deutlich abgelaufen, was auf die niedrigen Zinsen in der Neuanlage und insbesondere auf die hohen Anforderungen der Zinszusatzreserve (ZZR) für die Hochzinsgarantien früherer Jahre zurückzuführen ist, erläutert Lars Heermann, Bereichsleiter Analysen und Bewertung bei Assekurata.
Die anhaltend konservative Anlagepolitik war auch der Grund, warum die Lebensversicherer von 2011 bis Ende 2021 rund 97 Milliarden Euro ZZR zur bilanziellen Absicherung ihrer Altgarantien aufbauen mussten, davon allein zehn Milliarden 2021. Laut Assekurata wird die Branche 2022 aber bereits die ersten Rückflüsse aus der ZZR erhalten. „Die zuletzt abrupt gestiegenen Zinsen führen zu einer völlig neuen Situation, da der branchenweite Referenzzins für die ZZR-Zuführungen nicht weiter sinkt“, sagt Heermann. Die Folge: Viele Lebensversicherer haben den Höchstwert bei der ZZR bereits erreicht.
ZZR-Höhepunkt erreicht, aber schon stille Lasten
Sollten die Zinsen ihr aktuelles Niveau nicht nur halten (Referenzzins: 1,56 Prozent), sondern die positive Tendenz weiter fortsetzen, bliebe der Referenzzins bis 2027 auf konstantem Niveau und würde dann erstmalig steigen, wodurch sich der ZZR-Abbau zusätzlich beschleunigen würde, erklärt Heermann. Bereits jetzt verzeichnet Assekurata deutlich steigende Solvenzquoten. „Der Zinsanstieg führt dazu, dass sich unser Rating-Augenmerk wieder stärker von Solvency II nach HGB-Bilanz verlagert, wo der Einfluss von steigenden Zinsen auch belastend wirken kann“, so Heermann weiter.
Hintergrund: Um ihre Leistungsverpflichtungen sicherzustellen, haben viele Gesellschaften Zinstitel mit langen Laufzeiten gekauft. Das führt in Zeiten steigender Zinsen zu stillen Lasten in den Büchern, sprich zu geringeren Marktwerten gegenüber den Buchwerten der Kapitalanlagen. Ende 2021 gab es im Gesamtmarkt Bewertungsreserven von etwa 15 Prozent der Buchwerte (150 Milliarden Euro), schätzt Assekurata. Inzwischen seien durch den Zinsanstieg aber rund 40 Milliarden Euro stille Lasten entstanden. „Die müssen zwar bilanziell nicht zwingend abgeschrieben werden, mindern jedoch die Ertragssubstanz in den HGB-Bilanzen“, so Heermann. Dies erschwere die Ertragssteuerung – siehe Grafik.
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Wo sich Bruttobeiträge am stärksten verändert haben
Starke Zuwachsraten bei den Bruttobeiträgen von 20 Prozent und mehr erzielten 2021 laut Assekurata diese Anbieter: HanseMerkur, MyLife, Sparkassenversicherung Sachsen, die Bayerische, Ideal, Neue Leben und Ergo Vorsorge.
Größte Verlierer bei der prozentualen Veränderung der Bruttobeiträge waren der R+V VVaG (- 40 Prozent), die Allianz (- 16 Prozent), Bayerische Beamten LV (- 15 Prozent), Provinzial Hannover (- 11,5 Prozent) und die Run-off-Plattform Athora (- 10,4 Prozent). Viele Anbieter haben jedoch hohe Reservequoten, darunter VGH, Allianz und Inter.
Asset Manager schon wieder vorsichtig bei Aktien
Mit der schwierigen Lage gehen die Kapitalanlageverantwortlichen der Lebensversicherer unterschiedlich um. Sie wollen 31 Asset Manager laut einer Assekurata-Umfrage zwar mehrheitlich ihre Portfolien weiter in Richtung Substanzwerte, wie Immobilen, Infrastruktur oder Private Equity, umschichten. Im Vergleich zum Vorjahr planen jedoch mehr Asset Manager, Festverzinsliche zu halten, mutmaßlich auch, weil sich der ZZR-Finanzierungsbedarf verringert hat. Daneben planen einige wegen der gestiegenen Volatilität der Aktienmärkte, ihre Aktienquote zu reduzieren.
Auch auf Kundenseite rechnet Assekurata angesichts negativer Konjunkturaussichten und stark angestiegener Inflation mit weniger Nachfrage bei LV-Produkten. „Die hohe Inflation schränkt die Sparmöglichkeiten vieler Bürger ein und zehrt an der Realverzinsung der Policen“, kommentiert Assekurata-Geschäftsführer Reiner Will. Zugleich könnten konkurrierende Bankprodukte bei weiter steigenden Zinsen attraktiver werden – falls die Banken höhere Zinsen tatsächlich an ihre Kunden weitergeben.
Fazit für den Jahresverlauf 2022
Positiv beurteilt Assekurata, dass die Zinserholung den Lebensversicherern zugutekommt. Dafür sprächen eine deutliche Entlastung auf der Solvency-II-Seite, erwartete Rückflüsse aus der ZZR, eine wieder rentablere Neuanlage in Zinspapieren, der bisher robuste Verlauf der Pandemie sowie neue Hoffnungen auf baldige Umsetzung von Sozialpartnermodellen.
Negativ sieht die Ratingagentur dagegen, dass die hohe Geschwindigkeit des Zinsanstiegs neue Herausforderungen nach sich zieht. Dazu gehörten stille Lasten in HGB-Bilanzen, die die Substanz schwächen (das sieht die DAV anders, weil die Papiere in der Regel bis zum Ablauf im Portfolio bleiben), ein Dämpfer für das Neugeschäft durch die steigende Inflation, die Pandemie, das geopolitische Umfeld sowie unattraktivere Versicherungsanlageprodukte durch negative Realverzinsung. Zudem sei die politische Rolle der Lebensversicherer für künftige Altersvorsorge-Modelle unscharf.
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