Lebensversicherung: Bei Solvency II drohen Verschärfungen

Die Lebensversicherer müssen sich auf noch härtere Bandagen beim Aufsichtsregime von Solvency II einstellen. Sowohl der GDV als auch die BaFin haben die Folgen abgeschätzt. Hier die wichtigsten Änderungen, die ab 2024 greifen könnten.

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06:03 Uhr | 31. März | 2021

Die Schuldenlast der EU-Staaten macht eine mittelfristige Leitzinserhöhung der EZB sehr unwahrscheinlich. Daher dürfte der Zuführungsbedarf zur Zinszusatzreserve (ZZR) weiter ansteigen. Die Branche hat seit Einführung des Reservetopfs 2011 insgesamt einen Bestand von 86 Milliarden Euro aufgebaut, hat die Rating-Agentur Assekurata errechnet.

Die Negativzinsen am Kapitalmarkt wirken sich unmittelbar auf die Nachreservierungspflichten der Lebensversicherer aus. Derzeit müssten sie nun im Schnitt für mehr als 84 Prozent ihrer Deckungsrückstellungen eine ZZR stellen. Damit sind mehr als 9,0 Prozent der Deckungsrückstellungen im Bestand dafür dotiert. Diese zusätzliche Zinsvorsorge entspricht laut Assekurata fast dem Fünffachen des bilanziellen Eigenkapitals der Lebensversicherer, das sich auf rund 18 Milliarden Euro beläuft.

Kein Wunder, dass die BaFin kürzlich erstmalig bei der Prognoserechnung auch Solvency-II-Zahlen erhoben hat. Somit wird der Blick geweitet: Anders als nur nach HGB die Fähigkeit eines Versicherers zu untersuchen, ob er bestehende Verpflichtungen gegenüber seinen Kunden einhalten kann, geht es nach Solvency II um seine Fähigkeit, dauerhaft Neugeschäft zu zeichnen. Dies korrespondiert mit den regulatorischen Anforderungen der Zukunft.

Reform für Prüfung zum dauerhaften Neugeschäft

Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European Insurance and Occupational Pensions Authority - kurz: EIOPA) hat der EU-Kommission am 17. Dezember 2020 Empfehlungen vorgelegt, wie und wo man Solvency II nach fünf Praxisjahren nachschärfen sollte. In ihrer Stellungnahme (intern als Opinion zum 2020-Review bezeichnet) empfiehlt die EIOPA der EU-Kommission dazu konkrete Schritte.

Ein wesentlicher Punkt im Review-Katalog ist die vorgeschlagene Änderung der Zinsextrapolation. Um die Garantien in der Rückstellung für langfristige Verträge noch risikogerechter zu berücksichtigen, soll die Extrapolation der risikofreien Zinsstrukturkurve fünf Jahre später als die bisherigen 20 Jahre starten. Die Extrapolation ist eine probate Methode zur Bewertung von Anleihen zur Bildung von Rückstellungen für Versicherungsverträge, deren Laufzeiten weiter in die Zukunft reichen als zuverlässige Kapitalmarktinformationen über risikofreie Zinsen vorliegen.

Da es länger laufende Anleihen nicht in ausreichendem Maße gibt, ist bislang ein „Last Liquid Point“, also der Startpunkt in die Extrapolation, nach 20 Jahren maßgeblich – ab diesem Zeitpunkt wird extrapoliert, das heißt, von den sicheren, beobachteten Zinsen auf die unsicheren Zinsen mit unsicherer Datenlage geschlossen. Mit dem EIOPA-Vorschlag würde man derzeit erst bei einem Last Liquid Point von etwa 25 Jahren landen.

Weitere Milliardenbelastung für Versicherer

„Dies würde zu einem zusätzlichen Eigenmittelbedarf der europäischen Lebensversicherer von gut 60 Milliarden Euro führen“, schätzt Uwe Ludka, Vorsitzender des GDV-Ausschusses Finanzregulierung. „Diese Eigenmittel würden dann fehlen, um langfristige Investitionen mit höheren Renditeperspektiven mit dem von Solvency II geforderten Kapital abzusichern“, erklärte der Vorstandschef der Itzehoer Versicherungen kürzlich auf einem Medien-Workshop. Der mögliche Investitionsbeitrag der Branche für europäische Schlüsselprojekte wie den Green Deal und die Kapitalmarktunion würde damit eingeschränkt.

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Der Review sei wichtig, weil die Niedrigzinsphase andauere und die Solvenz beeinträchtige. Es biete sich die Chance, das Aufsichtsregime sinnvoll anzupassen, merkte Ludka an: "Zusätzliche Kapitalbelastungen sollten aber vermieden werden." Auch die umfangreichen Berichtspflichten der Versicherer gehörten auf den Prüfstand.

GDV sieht Fortschritte, aber noch viel Diskussionsbedarf

Positiv wertet der GDV den EIOPA-Vorschlag, die für die Fachöffentlichkeit bestimmten Solvenzberichte der Unternehmen (SFCR) in zwei Teile aufzuspalten: einen Kurzbericht primär für interessierte Verbraucher sowie einen ausführlichen Bericht für professionelle Akteure. Die von der EIOPA geforderte externe Prüfung der Berichte sei nicht notwendig.

Die EIOPA-Vorschläge für eine stärkere Anwendung des Proportionalitätsprinzips gehen für den GDV zwar in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. Von der Anhebung der Anwendungsgrenze für Solvency II auf 25 Millionen Euro Bruttobeitragseinnahmen (für kleinere Versicherer gilt Solvency I) würden in Deutschland nur wenige Versicherer profitieren. Der GDV beziffert den Gesamtanteil am Schaden-/Unfallmarkt auf nur 0,2 Prozent. Der GDV plädiert dafür, Erleichterungen nicht von quantitativen Grenzwerten, sondern vom tatsächlichen Risikoprofil der Unternehmen abhängig zu machen.

Auch BaFin sieht noch Diskussionsbedarf

Die BaFin hat der Opinion als Gesamtpaket zugestimmt, sagte Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin, kürzlich auf der virtuellen Fachtagung „Zukunftsmarkt Altersvorsorge 2021“. Der aktuelle Kompromiss ist „einigermaßen akzeptabel“, es gebe „aber noch Luft nach oben“ für Diskussionen. „Auf Seiten der deutschen Lebensversicherer mit ihren sehr langen Vertragslaufzeiten und hohen Zinsgarantien würden sich die Kapitalanforderungen deutlich erhöhen“, sagt Grund und ergänzt: „Aus Sicht der Unternehmen ein unschönes Ergebnis.“

Aber: Spätestens seit Einführung von Solvency II sind die Versicherer dabei, ihr Neugeschäft umzugestalten – weg von kapitalfordernden Garantieprodukten und hin zu kapitalmarktorientierten Verträgen, die weniger Eigenmittel erfordern. Mit jedem Jahr werden die Anforderungen nach Solvency II tendenziell geringer.

Der weitere Zeitplan

Entschieden ist noch nichts. Hintergrund: Nach Vorlage der EIOPA-Stellungnahme im Dezember ist nun die Europäische Kommission am Zug. Sie muss sich mit dem Vorschlag befassen und wird dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament anschließend einen eigenen Vorschlag unterbreiten – voraussichtlich im dritten Quartal 2021. Darauf folgen dann die Trilog-Verhandlungen, deren Dauer offen ist.

Mit einer Entscheidung ist nach BaFin-Auffassung nicht vor 2024 zu rechnen. Unter Hinzurechnung der Übergangszeit, die EIOPA in ihrem Vorschlag vorsieht, würden die Regeln erst ab 2032 gelten. Bis dahin dürfte es so gut wie keine Neuverträge mehr mit Garantien geben.

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