Lebensversicherung kündigen? BdV bietet fragwürdige Entscheidungshilfe
Kurzarbeit, Jobverluste, Zukunftsängste – die Coronakrise bescherte zahlreichen Haushalten finanzielle Probleme. Um das Loch im Geldbeutel zu stopfen, kamen nicht wenige Menschen auf die Idee, an ihren Versicherungsbeiträgen zu sparen oder sich gleich die Rückkaufswerte ihrer Lebensversicherungen auszahlen zu lassen.
Zwar stemmten sich die Lebensversicherer mit Sonderaktionen gegen vorschnelle Eingriffe der Kunden in den geplanten Vertragsverlauf. Unter dem Strich mussten aber viele Unternehmen einen merklichen Anstieg zumindest bei den Beitragsfreistellungen verbuchen.
LV-kritische Studie platziert
Um verzweifelten Verbrauchern in Zukunft einen Leitfaden für den Umgang mit ihrer Lebensversicherung an die Hand zu geben, hat der Bund der Versicherten (BdV) nun einen Entscheidungsbaum entwickelt. Zwar weisen die Verbraucherschützer auch darauf hin, dass dieser nur eine Hilfe sei und keine Beratung ersetzen könne. Die darauffolgenden geschlossenen Fragen liefern letzten Endes aber immer einen eindeutigen Ratschlag: „Vertrag kündigen!“, „Vertrag beitragsfrei stellen!“ oder „Vertrag weiter besparen!“ heißt es auf dem letzten Feld des Schaubilds, das man hier aufrufen kann.
Auf halbem Weg fragt der Entscheidungsbaum den Verbraucher, ob die Stabilität seines Lebensversicherers für die Restdauer des Vertrags noch ausreichend sei. Falls nein, führt er den Kunden direkt auf „Vertrag kündigen!“. Damit der Verbraucher die Stabilität seines Lebensversicherers beurteilen kann, ist auf die fragwürdige Solvenzberichtsuntersuchung des BdV verlinkt. Gemäß dieser sehen die Verbraucherschützer zwar die Hälfte der deutschen Lebensversicherer als finanziell instabil an – um zu diesem Schluss zu kommen, nutzen sie aber eine selbst entwickelte Rechengröße.
Nicht wirklich praxisorientiert
Unabhängig von der Solvenzkritik des BdV findet Versicherungsmakler Tobias Bierl, der Entscheidungsbaum sei zwar schön gedacht, aber nicht wirklich praxisorientiert. „Vergessen wird zum Beispiel die Tatsache, dass bei einem neuen Biometrievertrag die vorvertragliche Anzeigepflicht von vorne beginnt. Zudem wird die Rendite wieder einmal mit der Absicherung des Langlebigkeitsrisikos in einen Topf geworfen“, kritisiert Bierl, der von seinen Kunden teilweise auch mit Fragen nach Beitragsfreistellungen oder sogar Vertragsauflösungen konfrontiert wird. Der Grundtendenz, die biometrische Absicherung von der Altersvorsorge zu trennen, stimmt er zu. „Vorhandene Verträge lassen sich aber nicht so einfach in ein ‚Ja/Nein-Schema‘ pressen“, so sein Fazit.
Der BdV nutzt den Entscheidungsbaum also zur Platzierung seiner eigenen LV-kritischen Studie und lässt aus Maklersicht praktische Lücken. Vor dem Hintergrund des Hinweises, dass die Entscheidungshilfe eine Beratung ohnehin nicht ersetzen kann, bleibt die Frage: Wozu braucht es dann überhaupt den Entscheidungsbaum?
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