Macht die DAX-Reform den Leitindex krisenfester?

30 statt 40 Unternehmen im DAX – eine historische Veränderung. Der wichtigste deutsche Börsenindex soll dadurch auch krisenfester werden. Ob das wirklich zutrifft, diskutieren für procontra die Anlageexperten Tobias Stöhr und Philipp Vorndran.

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13:09 Uhr | 23. September | 2021

Tobias Stöhr (Börsenexperte beim Finanzinstitut Spectrum Markets): Pro DAX-Reform

Bislang hingen europäische Aktien den US-Werten deutlich hinterher. Die führende Rolle des US-Marktes hat in erster Linie mit seiner Größe und der dort viel stärker ausgeprägten Investmentkultur zu tun. Die DAX-Reform steht als eine der ersten in einer Reihe weiterer Anpassungen, die auf veränderte Marktbedingungen reagieren und damit auch die Attraktivität des Leitindex steigern werden. So werden früher oder später sicher weitere Governance-Kriterien über Aufnahme und Verbleib im DAX entscheiden. 

Das Nachziehen der zehn nächststärkeren Werte ist konsistent mit dem Hauptgewicht auf Streubesitz-Marktkapitalisierung als Aufnahmekriterium. Durch die Verkleinerung des MDAX, das heißt, durch den ersatzlosen Wegfall der Schwergewichte, verschiebt sich der Fokus auf zwar weniger stark kapitalisierte, aber dafür wachstumsstärkere Unternehmen. Das kann sich zu einem großen Vorteil für die Attraktivität des MDAX erweisen.

Eines der DAX-Aufnahmekriterien ist, dass das gelistete Unternehmen einen Sitz in Deutschland hat oder, wenn der Sitz im EU-Ausland ist, der Handelsumsatz in der Aktie an der Börse Frankfurt am höchsten ist. Frankfurt dürfte insgesamt als Finanzplatz im europäischen Wettbewerb stärker werden, damit mehr Unternehmen den Standort als Hub zur Eigenkapitalaufnahme über die Börse suchen. Durch die Erweiterung des DAX gewinnt der Index an internationalem Format, denn bislang gehörte der DAX im globalen Vergleich eher zu den kleineren Indizes. Eine größere Auswahl ermöglicht zudem eine bessere Diversifizierung. Enthielt der DAX30 noch viel Old Economy, scheint der DAX40 im Branchenvergleich deutlich ausgewogener, was ihn auch weniger konjunkturabhängig und damit zum Beispiel attraktiver für ETF-Investoren macht.

Auch die Profitabilität wurde als neues Kriterium aufgenommen. In der Regel befinden sich Start-Ups, wenn sie keinen Gewinn erzielen, in einer Frühphase ihrer Entwicklung. Wenn sie zu einem solchen Zeitpunkt dennoch bereits in der Lage sind, Eigenkapital an der Börse aufzunehmen, ist die Hoffnung auf Wachstum groß, die Unsicherheit über die Strategie der Gründer und Hauptkapitalgeber allerdings auch. Delivery Hero hatte nicht nur operativ keinen Gewinn erzielt, sondern war trotz deutschem Hauptsitz in Deutschland nicht mehr aktiv. Da die Aufnahme in einen Leitindex durch seine Nachbildung in passiv gemanagten Fonds erhebliche Auswirkungen hat, auch was das Vertrauen in die vertretenen Unternehmen betrifft, sollten geschäftsmodellökonomische Aspekte durchaus eine Berücksichtigung finden. Unter dem Strich ist es grundsätzlich positiv, im Leitindex eine möglichst große Zahl stark kapitalisierter, aber auch stabiler Substanzwerte zu vereinen und für die Aktien von Unternehmen in der Start-Up-Phase entsprechende Alternativen zu schaffen.

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Philipp Vorndran (Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch): Contra DAX-Reform

Der DAX hat mittlerweile 40 statt 30 Mitglieder. Ob ihn das 'besser', weil 'robuster' macht, wurden wir in den vergangenen Monaten oft gefragt, auch von unseren Freunden in Spanien oder Italien. Weil der DAX die deutsche Wirtschaft nun viel besser abbilde als zuvor, so das Argument.

Tut er das wirklich? Er tut es nicht. Er täte es vermutlich auch nicht, wenn er aus 50 oder 60 Unternehmen bestehen würde. Weil das Rückgrat, wie es immer so schön heißt, in Deutschland der Mittelstand ist. Viele mittelständische Unternehmen, darunter auch der eine oder andere Weltmarktführer, sind aber nicht börsennotiert. Ich würde mich als Anleger überhaupt davon lösen, die deutsche Wirtschaft abbilden zu wollen. Warum sollte es sinnvoll sein, sich bei der Auswahl seiner Anlagen derart einzuschränken? Nicht zu vergessen das dahinterliegende Risiko. Was meine ich damit?

Wer in Deutschland lebt, dort Einkommen bezieht, eine Wohnung oder ein Häuschen hat, das er abbezahlt, sollte sich fragen, ob es sinnvoll ist, sich auch noch bei den Investments auf die Heimat zu versteifen. Oder nicht auch gefährlich. Das klassische Klumpenrisiko. Ein vorausschauender Anleger stellt sein Vermögen stattdessen breit auf, weil er einsieht, nicht alles wissen zu können, und weil die Welt sich stetig wandelt, Strukturen brechen. Breit aufstellen heißt nach unserem Verständnis: nicht nur verschiedene Anlageklassen und Einzeltitel, sondern eben auch verschiedene Währungsräume. In globalen Unternehmen denken, nicht in Heimatindizes. So lassen sich Risiken reduzieren.

Weg vom eigenen Kirchturm, über die Ortsgrenzen hinaus. Wer sich dabei unbedingt an einem Index orientieren möchte, sollte sich zumindest einen aussuchen, der die Weltwirtschaft einigermaßen gut abbildet. Den MSCI Weltaktienindex beispielsweise oder den amerikanischen S&P 500. Beide beinhalten auch die großen US-Tech-Konzerne. Konzerne, wie es sie in Europa nicht gibt, schon gar nicht in Deutschland. Der DAX dagegen ist wie ein Optionsschein auf China – viel zu sehr abhängig von der Weltkonjunktur.

Das zeigt im Übrigen auch die unterdurchschnittliche Wertentwicklung in den vergangenen Jahren. Das fällt nur deshalb nicht so auf, weil der DAX als Performance-Index konstruiert ist, die Dividenden also – anders als bei fast allen anderen großen Indizes – mit in die Berechnung einfließen. Rechnet man die raus, bleibt nicht allzu viel unter dem Strich stehen. Dummerweise sehen viele Anleger genau darin den vermeintlichen Reiz: Weil der DAX im Vergleich zu anderen Indizes über viele Jahre eher mäßig abgeschnitten hat, vorsichtig ausgedrückt, habe er nach vorne schauend umso mehr Potenzial. Aufholpotenzial. Wir sehen das anders. Die Wertentwicklung ist das Ergebnis struktureller Probleme. Nicht mehr, nicht weniger.

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