Rente: „Große Sympathie“ für 42-Stunden-Woche
42-Stunden pro Woche arbeiten statt mit 70 in Rente gehen. Dafür hat sich nun auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, klar ausgesprochen. Eine allgemeine Verlängerung der Wochenarbeitszeit sei im Kampf gegen den Fachkräftemangel sinnvoller als das Renteneintrittsalter anzuheben. „Ich habe persönlich große Sympathie für eine optionale Erhöhung der Wochenarbeitszeit – natürlich bei vollem Lohnausgleich“, sagte Russwurm der Funke-Mediengruppe.
Bis 2030 den Verlust an Arbeitsvolumen kompensieren
Wenn die Babyboomer in einigen Jahren in Rente gehen, werde Deutschland viele Arbeitskräfte verlieren. Dabei herrsche schon heute an vielen Stellen ein Mangel. „Eine 42-Stunden-Woche wäre sicherlich leichter umzusetzen als eine allgemeine Einführung der Rente mit 70“, ist der BDI-Chef überzeugt.
Erst kürzlich hatte sich in die Diskussion um die langfristig sinkenden Einkünfte in der Rentenversicherung Wirtschaftsforscher Michael Hüther eingeschaltet und sich ebenfalls für eine 42-Stunden-Woche als Regelarbeitszeit ausgesprochen. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre hielt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hingegen für „politisch schwer umsetzbar“. Anfang Juni sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Es braucht die 42-Stunden-Woche. Die Stunden werden natürlich bezahlt – es geht nicht darum, durch die Hintertür am Lohn zu kürzen.“ Dabei verwies Hüther auf das Nachbarland Schweiz, wo die Menschen bereits zwei Stunden pro Woche mehr arbeiten, in Schweden sei es eine Arbeitsstunde pro Woche mehr. „Wenn man das aufsummiert, dann würde man bis 2030 den demografisch bedingten Verlust an Arbeitsvolumen kompensieren“, prognostizierte der IW-Chef weiter.
Die Gewerkschaften kritisieren die Vorschläge für eine 42-Stunden-Woche harsch. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte: Längere Arbeitszeiten – egal ob innerhalb der Woche oder am Ende des Erwerbslebens – seien „billige Scheinlösungen“ für die Alterssicherung. Die Lasten der demografischen Entwicklung könnten nicht allein bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern abgeladen werden. Stattdessen müsse die gesetzliche Rente zukunftsfähig aufgestellt werden, indem eine flächendeckende Entlohnung nach Tarif sowie eine Sozialversicherungspflicht ab dem ersten verdienten Euro eingeführt werde – ohne Ausnahmen bei Minijobs, Saisonarbeit, Selbstständigkeit oder den Bezügen von Mandatsträgern.
In dieselbe Kerbe schlug auch die IG Metall. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gewerkschaft, warnte: „Längere Arbeits- und kürzere Ruhezeiten führen nicht zu mehr Fachkräften, sondern zu einem Raubbau an der Gesundheit der Beschäftigten.“ Wer mehr Fachkräfte wolle, müsse Arbeitsplätze attraktiver machen, mehr aus- und weiterbilden, für mehr Vereinbarkeit sorgen sowie „Teilzeitfallen“ abbauen.
Heil pocht auf „flexiblen Übergang" in den Ruhestand
Die bestehende Ampel-Koalition hat Leistungskürzungen sowie Beitragserhöhungen bei der gesetzlichen Rente ausgeschlossen, um die sich zuspitzende finanzielle Situation in der Rentenversicherung abzumildern – stattdessen hält man an der sogenannten "doppelten Haltelinie" weiter fest. Auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters steht nicht zur Debatte. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil erteilte vor Kurzem allerdings einer Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre eine Absage. Er halte stattdessen einen „flexiblen Übergang“ in den Ruhestand für richtig. „Aber die Vorstellung, dass man im Stahlwerk oder an der Supermarktkasse, als Polizistin oder als Krankenschwester bis 70 arbeiten soll, die können nur Leute haben, die in einer ganz anderen Welt leben", sagte er im Gespräch mit der Funke-Mediengruppe.
Nach der aktuell geltenden Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Experten zufolge ist das nicht ausreichend, um die Finanzierung der Rente auf Dauer zu sichern.