Riester-Rente: Warum weniger Garantie mehr bringt

Eine vollständige Beitragsgarantie passt nicht zu sehr niedrigen Zinsen. Warum es auch bei der Riester-Rente höchste Zeit für weniger Garantien und wie dennoch viel Sicherheit für Sparer möglich ist, zeigte kürzlich eine Expertendiskussion.

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08:05 Uhr | 04. Mai | 2021

Das BMF hat kürzlich per Verordnung den Höchstrechnungszins für Neuverträge in der Lebensversicherung zum 1. Januar 2022 auf 0,25 Prozent gesenkt, dabei aber die gesetzlich nötige Garantieabsenkung „vergessen“. „Die Absenkung des Höchstrechnungszinses darf nur der erste Teil eines gesamthaften Konzepts sein, um die kapitalgedeckte Altersvorsorge angesichts der anhaltenden Tiefzinssituation zukunftsfest zu machen, sonst gibt es bald am Markt vermutlich keine Riester-Rente und Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) in der bAV mehr“, warnte kürzlich Guido Bader, Vorstand der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) auf der DAV-Jahrestagung.

Auch andere Finanzexperten appellieren an die politischen Entscheidungsträger, in den kommenden Wochen mit einem geringfügigen gesetzgeberischen Eingriff das Garantieniveau bei den staatlich geförderten Vorsorgeprodukten zu senken. „Die Politik muss mehr Flexibilität und niedrigere Garantien erlauben“, hatte kürzlich André Geilenkothen, Partner des Beraters Aon, gefordert und Garantien nur zur Endfälligkeit der Verträge vorgeschlagen.

Riester-Aus durch zu hohe Zinsgarantieverpflichtung?

Kürzlich legten Experten bei einem virtuellen Fachgespräch des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) mit Fakten und Argumenten nach. Die Botschaft: Die Riester-Rente hat mit weniger Garantie mehr Potenzial, wenn nun kurzfristig zumindest eine Teil-Reform bei der Beitragsgarantie vorgenommen wird.

„Konsequenz der Höchstrechnungszinssenkung ist, dass Lebensversicherungsprodukte mit 100-Prozent-Garantie der eingezahlten Beiträge ab 2022 faktisch nicht mehr angeboten werden können“, sagt Professor Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (Ifa). Daher müsse spätestens dann auch die Mindestgarantie bei der Riester-Rente und BZML in der bAV fallen. Weniger Garantien seien aber nicht schlimm, denn „im aktuellen Zinsumfeld sind Produkte mit Garantien, die signifikant unterhalb 100 Prozent liegen, auch für sicherheitsorientierte Verbraucher bedarfsgerecht“.

Warum weniger Garantien allen mehr bringen

Russ hält solche Produkte für deutlich chancenreicher als Produkte mit hohen Garantien, zudem nur geringfügig riskanter, sofern man die für Verbraucher relevanten inflationsbereinigten Chancen und Risiken betrachtet, also Chancen und Risiken in Bezug auf die Kaufkraft der Leistung. „Es ist ja nicht wichtig, wie viel Euro man im Alter hat, sondern wie viele Mahlzeiten man sich dafür kaufen kann“, sagte er wörtlich in dem Fachgespräch.

Aktuell sind Garantien besonders teuer, so Ruß. Daher sei auch aktuell der Chancenzuwachs, der aus einer abgesenkten Garantie resultiert, besonders hoch. Eine Absenkung erhöhe real die Chance relativ stark, aber real das Risiko in viel geringerem Umfang als nominal. Zudem sei Sicherheit und Garantie nicht dasselbe. Unterm Strich hält Ruß im aktuellen Zinsumfeld eine Mindestgarantie von 70 bis 80 Prozent für angemessen, bei risikobewussten Sparern auch weniger. Darauf müsse der Gesetzgeber reagieren.

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70 bis 80 Prozent Garantie angemessen

Wissenschaftlich begründet hat Ruß seine Aussagen in der Ifa-Studie „Auswirkungen von Garantien auf inflationsbereinigte Chancen und Risiken langfristiger Sparprozesse“. Zugleich hat er wesentliche Auszüge und Folgerungen kürzlich als Sachverständiger bei einer Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages vorgetragen. Fachpolitiker der ministerialer Arbeitsebene würden das Problem mit der 100-Prozent-Garantie verstehen und würden es lösen, aber die Spitze des BMF tut bislang nichts, berichtete Ruß. „Man nimmt als Nebenwirkung einer bloßen Verordnung in Kauf, die Riester-Rente und die BZML schwer zu beschädigen, da ohne Garantieabsenkung keinerlei nennenswertes Renditepotenzial mehr besteht.“

Union Invest schränkt Fonds-Riester ab Juli ein

Björn Deyer, Leiter Produktmanagement Vorsorge bei der Fondsgesellschaft Union Investment, unterstreicht: „Selbst bei 50 Prozent weniger Kosten lässt sich die 100-Prozent-Garantie nicht mehr darstellen.“ Ohne Eingriff des Gesetzgebers ziehen sich weitere Riester-Anbieter zurück, fürchtet Deyer. Union Invest, Marktführer bei Fonds-Riester, schränkt sein Neugeschäft ab Juli ein und bietet nur noch Riester-Verträge mit mindestens 20 Jahren Laufzeit an, informierte Deyer.

Die gescheiterte Riester-Reform sieht Deyer als fatales Signal für die Altersvorsorge, da in der EU auf das Muster Deutschland geschaut wird und dort mit der Europa-Rente (Pepp) nun sogar ein Produkt weitgehend ohne Garantien lanciert werden soll. Grundsätzlich sei die Zulagenförderung der Riester-Rente sozial gerecht und würde bei nötiger Vereinfachung – Förderung für jeden Steuerpflichtigen und bessere Fördersystematik – die Chance zu sehr hoher Verbreitung haben. Union Investment erinnert in diesem Zusammenhang an den 5-Punkte-Fahrplan für eine Riester-Reform, den GDV, BVI und private Bausparkassen bereits Ende 2019 vorgelegt hatten.

Riester-Beerdigung mit Ansage

Frank Breiting, Leiter Altersvorsorge der DWS Group, kritisierte im DIA-Gespräch, dass die Diskussion um die nötige Garantieabsenkung schon lange geführt wird, womöglich aber wieder ohne Ergebnis endet. Von der BMF-Spitze heißt es weiter: „Der Meinungsprozess ist noch nicht abgeschlossen.“ Dabei sollte doch die Riester-Einführung 2002 kommende Lücken der damaligen Reform der GRV mittels rentierlicher Kapitaldeckung schließen. „Dieser Zweck wird durch Beibehaltung der 100-Prozent-Garantie und Ausbleiben der Riester-Reform in Frage gestellt“, warnt Breiting. Dies wäre ein Eingeständnis politischen Versagens, zumal man ja private und betriebliche Vorsorge weiterhin stärken will.

„Wir sind bereit, über Riester-Kostenobergrenzen zu diskutieren, obwohl Depots und Fonds seit 2002 für Sparer meist nicht teurer geworden sind, die staatlich verordneten Systemkosten aber deutlich teurer wurden“, wendete sich der DWS-Verantwortliche an die Politik. Weiteres Zögern führe zum Rückzug der ohnehin nur noch wenigen Riester-Anbieter im Markt, auch weil Garantien mit Eigenkapital unterlegt werden müssten. „Wer sich das aus sozialpolitischer Verantwortung weiter leistet, handelt sich ein Klumpenrisiko ein, das auf Dauer die Finanzaufsicht auf den Plan rufen würde“, prophezeit Breiting. Daher sei die Riester-Beerdigung auf breiter Front wahrscheinlich.

Auf einer kürzlich abgehaltenen BaFin-Konferenz äußerte sich BMF-Staatssekretär Jörg Kukies nicht zum Thema Garantieabsenkung, seine Abteilungsleiterin Eva Wimmer sah da „keine Regelungsmaterie“. BaFin-Abteilungsleiter Kay-Uwe Schaumlöffel hält zumindest „mehr Flexibilität bei der Beitragsgarantie für sinnvoll“.

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