Sozialpartnermodell: Chemie startet wohl im November

Noch in diesem Jahr soll nun endlich das erste auf einem Flächentarifvertrag basierende Sozialpartnermodell starten. Alle bekannten Details haben die Chemie-Sozialpartner kürzlich auf einer Fachtagung publik gemacht. Jetzt ist die BaFin am Zug.

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07:09 Uhr | 26. September | 2022

„Die ersten drei Sozialpartnermodelle (SPM) könnten noch in diesem Jahr an den Start gehen“, hat aba-Vorstandschef Georg Thurnes bereits auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) im Mai prognostiziert. Namen nannte er damals nicht, aber die Chemie- und auch die Energiebranche seien weit vorangekommen, bei Talanx fehle noch immer die BaFin-Genehmigung für ein SPM auf Basis eines Haustarifvertrages.

Vier Monate später kommt die Chemiebranche aus der Deckung. Auf einer Fachtagung vergangene Woche in Berlin stellten die Sozialpartner gemeinsam mit der R+V die Eckpunkte des Modells vor, das über den von R+V betriebenen Chemie-Pensionsfonds organisiert werden soll. Nutznießer des tariflich abgesegneten Projekts sind zunächst neue Tarifbeschäftigte und Auszubildende in den Chemie-Betrieben, die für ihre Altersvorsorge auf den Chemie-Pensionsfonds setzen. Für die bisherigen Kunden des Pensionsfonds ändert sich nichts an den bestehenden Verträgen und Versorgungen.

Arbeitgeber und Gewerkschaft einhellig dafür

Die Chemie ist damit die erste Branche, die das SPM „zum Fliegen bringen wird“, sagt Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BAVC. Man werde den Chancen Vorfahrt geben vor den Garantien. Das könnte die „Basis sein für eine attraktivere Betriebsrente, vielleicht auch für mehr bAV in Deutschland“, ergänzt BVAC-Präsident Kai Beckmann.

Ungewohnt harmonisch sieht das die Gewerkschaft – zumindest die IG BCE: „Das SPM wird die bAV durch höhere Renditechancen und einen neuen Sicherungsbeitrag der Arbeitgeber attraktiver und zukunftsfest machen“, ist Tarifvorstand Ralf Sikorski überzeugt.

Wie das SPM technisch aussehen soll

Tatsächlich stiften die Arbeitgeber 5,0 Prozent Sicherungsbeitrag, um Rentenschwankungen auszugleichen. Damit ist das SPM keine Zockerrente, wie von den Linken unterstellt, sondern klarer Chancen-Zuwachs, meint Sikorski. Es werde als Matching-Modell die Entgeltumwandlung mit AG-Beiträgen aufstocken, sagt R+V-Vorstand Rüdiger Bach, zugleich Vorstand des Chemie-Pensionsfonds und bei R+V unmittelbar für die Kooperation mit den Chemie-Sozialpartnern zuständig.

Wie bisher gebe es dazu im Pensionsfonds eine variabel anpassbare Beitragszahlung. Die chancenreiche Kapitalanlage sei in der Anwartschaftsphase und im Rentenbezug möglich. Als Leistung kann eine Altersrente mit oder ohne Hinterbliebenenrente vereinbart werden, bei Tod in Anwartschaftsphase wird individuelles Versorgungskapital an Hinterbliebene verrentet.

Startschuss im November?

Die spannendste Frage ist im Moment, wann der praktische Startschuss erfolgt. Lutz Mühl, Geschäftsführer Wirtschaft und Sozialpolitik des BAVC, ist angesichts der bisherigen Projektphasen extrem optimistisch, dass der Startschuss im November 2022 fällt. Dem Vorwurf der zeitlich gefühlten Hängepartie bei bisherigen SPM-Ansätzen in Deutschland entgegnet er: „In der Chemie hat es nur ein Jahr gedauert“, und erinnert an den chronologischen Ablauf.

Erste Gespräche zwischen den Sozialpartnern gab es im Herbst 2021, ebenfalls mit R+V und dem Berater Mercer. Schon im Dezember wurde die BaFin einbezogen. Erste Dokumente waren im Februar 2022 fertig, auf die die BaFin schon im März erstmals reagiert hat. Im Juli waren alle Dokumente fertig, im August und September wurden die letzten Anmerkungen der BaFin eingearbeitet. „Wir rechnen mit der BaFin-Genehmigung voraussichtlich im Oktober“, so Mühl.

„Alles ist unterschriftsreif“, bestätigt Christian Jungvogel, Abteilungsleiter Tarifpolitik der IG BCE. Neu gegenüber der bisherigen Kooperation beim Chemie-Pensionsfonds sei die Einrichtung eines Steuerungsausschusses mit je drei Vertretern von BAVC, IG BCE und R+V. Der Ausschuss legt zum Beispiel Rentenfaktoren fest und gibt den Rahmen für die Kapitalanlage vor, so Jungvogel. „Ob die Chemie beim SPM die Nase vorn hat, ist nicht ganz sicher, das Fotofinish muss noch ausgewertet werden“, sagt dagegen diplomatisch BMAS-Staatssekretär Rolf Schmachtenberg.

Tarifbindung wird nicht aufgehoben

Schmachtenberg erteilte der Idee, die reine Beitragszusage (rBZ) nicht nur auf Tarifebene zuzulassen, sondern auch auf Betriebsebene zu erlauben oder sogar ohne Einschränkung für alle Arbeitgeber zu öffnen, eine Absage. „Niemand kann glauben, dass die rBZ in solch kleinen Strukturen, also bei einzelnen kleinen Unternehmen, zu guten Ergebnissen führen wird.“ Das BMAS habe auch kein Interesse an weiterer bAV-Ausbreitung um jeden Preis. Betriebsrenten haben Qualitätsanspruch, und möglichst viele Beschäftigte sollen sich solch qualitativ hochwertigen SPM anschließen können.

Ihm schweben „fünf bis sieben große Tanker vor, bei denen andere andocken können“. In einigen Punkten müssten noch die Rahmenbedingungen überprüft und möglichst verbessert werden. Namentlich nannte Schmachtenberg arbeitsrechtliche Garantien, Optimierung der steuerlichen Förderung und Spielräume im Finanzaufsichtsrecht.

Fachdialog soll letzte Hürden beseitigen

Die Bundesministerien für Arbeit und Soziales sowie für Finanzen laden alle Beteiligten in Kürze zu einem Fachdialog ein, kündigte Schmachtenberg auf der Tagung an. Ergebnisse sollen 2023 in ein Gesetzgebungsverfahren münden. Erhofft wird sich dadurch auch ein baldiges Ende der Diskussion mit der BaFin um die SPM-Zulassungen. „Kollektive Lösungen sind der Schlüssel für eine zukunftsfeste Altersversorgung“, so Schmachtenberg.

Davon ist auch die aba überzeugt und wirbt um Geduld beim SPM. Es brauche Zeit, bis die Einsicht reift, dass Sicherheit auch jenseits von teuren Garantien geschaffen werden kann. „Nach Jahrzehnten des Einschwörens auf Garantien zur Altersversorgung muss man nun Arbeitnehmern und Gewerkschaften vermitteln, dass Garantien schädlich sind für die Altersversorgung und ein Modell wie die rBZ hier entscheidende Vorteile bringt“, so aba-Chef Thurnes.