Studierende brauchen weit mehr als nur die erste Haftpflichtversicherung

Weil immer mehr Studierende schon geerbt haben, ist ihr Versicherungs- und Geldanlagebedarf weitaus komplexer als oft angenommen. Mit dem richtigen Vorgehen haben Vermittler die Chance, ein lebenslanges Kundenverhältnis aufzubauen.

12:10 Uhr | 13. Oktober | 2022

Sie sind jung, stehen vielleicht zum ersten Mal auf eigenen Beinen und haben in den meisten Fällen nur überschaubare Einnahmen. Vor Ausbruch der Pandemie standen Studierenden, die allein wohnen, im Schnitt 1.060 Euro im Monat zur Verfügung, so die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Davon stammten durchschnittlich 37 Prozent aus Nebentätigkeiten, der Rest kam von den Eltern, aus dem Bafög-Topf oder dem Kindergeld. Allerdings hat sich die Situation in den vergangenen zwei Jahren verschärft: Durch die Pandemie verloren viele Studierende ihre Jobs. Um zu verhindern, dass sie deshalb ihr Studium abbrechen, hat die Bundesregierung diverse Unterstützungspakete auf den Weg gebracht.

Trotz der oft schwierigen finanziellen Lage sind Studierenden die Themen finanzielle Vorsorge und vor allem Geldanlage wichtig. Gerade durch Trading-Apps hat der Wertpapierhandel auch bei der jüngeren Zielgruppe in den vergangenen Jahren Fahrt aufgenommen. „Heute haben wir vor allem zwei Gruppen, die unseren Rat suchen“, sagt Mathias Lebtig, Geschäftsführender Gesellschafter der Financial Planning GmbH aus Freiburg. „Zum einen diejenigen, die merken, dass es bei der Geldanlage um mehr geht, als ein paar schnelle Trades und sich nun eine zweite Meinung wünschen.“ Zum anderen gehöre die Generation der Erben zu den Kunden des Vermögensverwalters. „Sie sind vielleicht selbst noch nicht in der Lage, große Summen zu sparen, haben aber geerbt und werden jetzt zum ersten Mal mit dem Thema Vermögensverwaltung konfrontiert.“

Auch Felix Czekalla, Finanzberater bei Dr. Schlemann unabhängige Finanzberatung GmbH & Co.KG erkennt zwei Gruppen von Studierenden, die bei ihm Rat suchen: „Einmal die wirklich umfassend Informierten, die mit tiefgehendem Spezialwissen und Spezialfragen punkten.“ Und auf der anderen Seite die, die sich einfach mal informieren wollen, um „ihre ersten Gehversuche in Sachen Finanzen zu unternehmen“, sagt Czekalla. Am häufigsten würden die Studierenden nicht etwa nach den spannendsten Anlageprodukten, sondern nach den wichtigsten Versicherungen fragen.

Humankapital an erster Stelle

Die Finanzexperten sind sich einig, dass genau hier die wichtigste Aufgabe in der Beratung liegt, bevor überhaupt über ETF, Depots und Co. gesprochen werden sollte. „Wer einen Kassensturz macht, wird schnell merken, dass das Humankapital bei den Studierenden den größten Wert ausmacht“, sagt Lebtig. „Und den gilt es in jedem Fall zu schützen.“ Dabei kommt nicht für jeden eine Berufsunfähigkeitsversicherung in Frage. Gerade im Fall von Vorerkrankungen müssen Berater gemeinsam mit den Studenten nach Alternativen suchen. „Gegebenenfalls ist eine Grundfähigkeitsversicherung die passende Lösung, wenn auch das nicht geht ist vielleicht eine Unfallversicherung sinnvoll“, sagt Lebtig. Berater müssen gemeinsam mit den Studierenden prüfen, was möglich ist – und welche Lösungen tatsächlich sinnvoll sind. „Glücklicherweise geht es bei den Studierenden um die nächsten Jahrzehnte. Das bedeutet, dass sie den Versicherungsschutz auch später noch einmal anpassen können – wenn sie sich beispielsweise eine höhere Beitragssumme leisten können“, sagt Lebtig. Die Anker für zukünftige Beratungsgespräche sind also gesetzt.

Nicht fehlen darf außerdem die private Haftpflichtversicherung, betont Czekalla. Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung sei zudem oft die Unterstützung durch die Eltern eine sinnvolle Lösung. „Studenten sind meistens noch gesund und zahlen in jungen Jahren weniger. Wenn Studierende solche Beiträge noch nicht selbst stemmen können, springen häufig Eltern ein und unterstützen ihre Kinder“, sagt Czekalla. Mit dem ersten Job lasse sich auf diesem Konzept aufbauen „Die Berufsunfähigkeitsabsicherung kann dann häufig ohne Gesundheitsprüfung direkt ein ganzes Stück erhöht werden“, sagt der Experte.

Die junge Zielgruppe von Anfang an zu begleiten hat nicht nur für die Zukunft der Studierenden Vorteile. Auch Berater können so früh eine Bindung aufbauen und so Kunden gewinnen, die sie vielleicht ein ganzes Berufsleben lang begleiten.

Das erste Depot

Selbst mit wenig Vermögen lohnt es sich zu sparen. Die Rechnung ist schließlich ganz simpel: Wer früh anfängt, Geld auf die hohe Kante zu legen, hat im Alter mehr – und kann die Sparquote nach und nach steigern. „Auch wenn manche Studenten vielleicht nur 25 Euro im Monat zurücklegen können, ist das schon ein guter Anfang“, sagt Lebtig. „Sie bekommen so ein Gefühl dafür, wie es ist, regelmäßig zu sparen.“ Geld zur Seite zu legen, wird zur Gewohnheit. Lebtig empfiehlt seinen Beratungskunden in der Regel zu einem Sparplan auf breit gestreute ETF wie den MSCI World. „Gerade bei einer langfristigen Anlage zur Altersvorsorge überzeugen die Indexfonds mit den überschaubaren Kosten“, sagt Lebtig. Die Beratung soll immer auch eine Hilfe zur Selbsthilfe sein.

„Geht es um größere Summen, verfolgen wir einen Portfolioansatz, in dem wir mit rund zehn verschiedenen Indexprodukten arbeiten“, sagt der Finanzexperte. Hier läge die Mindestanlagesumme bei 25.000 Euro. Finanzberater Czekalla sieht in jeder Lösung ihre Vor- und Nachteile. „Ein ETF-Sparplan ist auf den ersten Blick kostengünstig. Der flexible Zugriff auf das angesparte Vermögen kann aber schnell dazu verleiten, das Gesparte für größere Anschaffungen zu verwenden.“ Dieses Geld fehle dann im Alter. „Das Geld aus einem Depot ist irgendwann aufgebraucht, während eine fondsgebundene Rentenversicherung lebenslang den Unterhalt sichert“, sagt der Berater. Für weitere sinnvolle Beimischungen wie Immobilien, Edelmetalle oder Zugaben von Staat oder Arbeitgeber sei es bei den Studenten in der Regel noch zu früh.

Studenten, die sich zum ersten Mal mit dem Thema Geldanlage auseinander setzten, empfiehlt Czekalla: „Auch wenn es aktuell besonders schwerfällt, ist es sehr wichtig darauf zu achten, dass am Ende des Monats Geld übrig bleibt. So banal das klingen mag, diese Sparmentalität ist essenziell für den späteren wirtschaftlichen Erfolg.“ Das bedeutet dann vielleicht auch auf einige Annehmlichkeiten zu verzichten. Doch es lohnt sich: „Wer frühzeitig lernt, mit seinem Geld klug umzugehen, trifft langfristig bessere finanzielle Entscheidungen“, sagt Czekalla.