Versicherungsbetrug ist alles andere als eine Lappalie: Die deutschen Versicherer schätzten bereits 2018 jede zehnte Schadensmeldung als dubios ein – durch professionelle Banden und „Gelegenheitsschummler“ entsteht so pro Jahr ein Schaden von bis zu fünf Milliarden Euro.
Die Corona-Krise wirkt zudem als Verstärker dieser Entwicklung. „Aufgrund finanzieller Notlagen könnte es eine Zunahme von ‚Gelegenheitsbetrügern‘ geben“, vermutete im vergangenen Jahr der Kölner Rechtsanwalt Abdou Gabbar. Zwar gibt es keine branchenweite Auswertung, doch Zahlen der Allianz stützen die Vermutung Gabbars. Seit Beginn der Pandemie seien Betrugsversuche um gut 10 Prozent gestiegen, meldete im Juni Jochen Haug, Vorstand der Allianz Versicherungs AG. 25 Prozent mehr Wasserschäden als noch vor Corona hätten Gewerbekunden eingereicht, berichtete Haug und vermutete einen Zusammenhang zu den Lockdown-bedingten Schließungen.
Eine Entwicklung, die sich bei anderen Versicherern ebenfalls zeigt: „Auch wir stellen gewisse pandemiebezogene Entwicklungen fest und haben unsere Mitarbeiter dafür entsprechend sensibilisiert“, berichtet Christian Krams, Schadenvorstand der zur Versicherungskammer Bayern gehörenden Bavaria Direkt. „Dabei handelt es sich etwa um mehr betrugsverdächtige Schäden aus Branchen, die vom Lockdown besonders betroffenen waren.“ Dazu gehören etwa der Ausfall von Kühlaggregaten in Gastronomiebetrieben oder Brandschäden in Friseurbetrieben.
Die Schäden für die Versicherer und letztlich auch die Versichertengemeinschaft gehen in die Millionen – allein bei der Allianz sorgen Betrügereien jährlich für Schäden im dreistelligen Millionenbereich.
Entsprechend soll in die Aufklärung investiert werden – zumal sich der Betrug auch immer stärker in den virtuellen Raum verlagert. Statt sich – wie in der Vergangenheit – zum inszenierten Autounfall zu verabreden, wird der Schaden am Auto digital per Bildbearbeitungsprogramm erzeugt. Rechnungen lassen sich mittels PDF-Editor schnell so verändern, dass der Rechnungsbetrag ein Vielfaches der tatsächlichen Summe beträgt.
Automatisierte Betrugserkennung
Laut einer Untersuchung des auf Versicherungsbetrugserkennung spezialisierten niederländischen Unternehmens FRISS will über die Hälfte der international befragten 450 Versicherungsexperten in Zukunft stärker auf automatisierte Betrugserkennung setzen. Die Software von FRISS sei laut Unternehmensangaben bereits europaweit bei über 200 Versicherern im Einsatz. Weitere Unternehmen drängen zudem mit neuen Angeboten auf den Markt. Hierzu gehört das 2016 gegründete Londoner Unternehmen Photocert, das sich auf das Aufspüren manipulierter Fotos spezialisiert hat. Zum einen bietet das Unternehmen eine App an, mit der sich Fotos authentifizieren lassen: Das Programm gleicht beispielsweise ab, ob GPS-Daten und Zeitstempel mit den Angaben des Versicherungsnehmers übereinstimmen. Zudem analysiert das System, ob das Foto nicht vom Kunden stammt, sondern zuvor schon an anderer Stelle veröffentlicht wurde, beispielsweise in einer Zeitschrift oder im Internet.
Auch Ico-Lux aus Jena hat sich der Bildforensik verschrieben – statt Aufnahmen beschädigter Fahrzeuge zu prüfen, konzentriert sich Ico-Lux jedoch auf die Überprüfung eingereichter Rechnungen. Mittlerweile arbeitet das Unternehmen mit fünf Krankenversicherern zusammen, drei weitere Unternehmen sollen bald hinzukommen. Darüber hinaus prüft die Firma, ob sich das bislang für die PKV entwickelte System auch auf andere Versicherungsbereiche oder auf Banken ausweiten lässt.
KI selektiert vor
„Unser System schafft es, Millionen Rechnungen und Belege auf Auffälligkeiten zu untersuchen. Hiervon ist rund ein Prozent fragwürdig _ die verdächtigsten davon Sachbearbeiter weitergeleitet“, erklärt Gründer Jan Franke. Die Datengrundlage hierfür musste sich Ico-Lux selbst schaffen. Ein echter Zeittreiber dabei seien auch die datenschutzrechtlichen Bestimmungen gewesen, berichtet CTO Stefan Brechtken. „Gesundheitsdaten genießen berechtigterweise die höchsten Datenschutzanforderungen. Aber ganz ohne Daten eine entsprechende Technologie zu entwickeln, ist eine echte Herausforderung.“
Auch anderswo ist die Datengrundlage die Achillesverse der Künstlichen Intelligenz. Laut FRISS-Umfrage nannten die befragten Versicherungsexperten die unzureichende Datenqualität sowie den strengen Datenschutz als größte Hindernisse bei der Betrugserkennung. So erleichtern Künstliche Intelligenz und neue Tools zwar die Aufdeckung von Betrugsfällen, schaffen letztlich zu den digital aufrüstenden Betrügern aber nur ein Gleichgewicht. Nach wie vor wird es weiterhin auf das Bauchgefühl der Schadensbearbeiter ankommen, ist Bavaria-Direkt-Vorstand Krams überzeugt. „Bei der Betrugsbekämpfung werden Software und IT zwar immer wichtiger, ersetzen können sie die Intuition und den gesunden Menschenverstand unserer Mitarbeitenden aber nicht.“
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