„Wir müssen die betriebliche und private Altersvorsorge wieder flott bekommen"

Peter Weiß gilt als einer der profiliertesten Rentenexperten im Bundestag. Seit 1998 sitzt er für die CDU im Parlament, für die kommende Legislaturperiode tritt er nicht mehr an. Mit procontra sprach er über den Zustand der Altersvorsorge in Deutschland und welche Hausaufgaben er seinen Kollegen im Parlament mit auf den Weg gibt.

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09:07 Uhr | 15. Juli | 2021

procontra: 23 Jahre sitzen Sie jetzt im Deutschen Bundestag, Herr Weiß. Rückblickend betrachtet: Ist es für die Deutschen in den vergangenen Jahren einfacher oder herausfordernder geworden, eine auskömmliche Altersversorgung sicherzustellen.

Peter Weiß: Wir haben sicherlich mit Blick auf die damals hohe Arbeitslosigkeit schwere Jahre durchgemacht. Die zehn Jahre vor der Corona-Krise waren aber sehr gute Jahre, besonders für die gesetzliche Rentenversicherung. Man schaue nur auf die vielen Leistungsverbesserungen der vergangenen Jahre und den gleichzeitig historisch niedrigen Beitragssatz von 18,6 Prozent. Die nächsten Jahre werden durch die demografische Entwicklung aber herausfordernd werden.

Mit Blick auf die betriebliche und private Altersvorsorge haben wir in den vergangenen Jahren eine Zeit des Aufbaus erlebt, die seit Jahren aber in eine Phase des Stillstands beziehungsweise gar Rückschritts übergegangen ist.  Die Bürger sind derzeit im Hinblick auf die private Vorsorge vollkommen verunsichert – hier muss es dringend wieder mehr Klarheit und Verlässlichkeit geben. Sollten wir es nicht schaffen, die Verbreitung der betrieblichen sowie privaten Altersvorsorge deutlich zu steigern, wäre das eine aus meiner Sicht höchstgefährliche Entwicklung.

procontra: Reformiert wurde in der aktuellen Legislaturperiode die betriebliche Altersversorgung mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz. Erklärtes Ziel war es, dass über 90 Prozent der Arbeitnehmer über eine zusätzliche Betriebsrente im Alter verfügen. Sie sagten damals, dass man für dieses Ziel ehrgeizige Maßnahmen ergreifen müsse. Waren Sie nicht ehrgeizig genug?

Weiß: Vorweg: Das Betriebsrentenstärkungsgesetz sowie die nochmalige Nachbesserung in dieser Legislaturperiode sind der richtige Weg. Ich muss gestehen, dass ich tatsächlich ein wenig enttäuscht bin – ich habe mir hier mehr erhofft, insbesondere was die Verbreitung angeht aber auch, dass bestimmte Instrumente des BRSG bislang nicht genutzt werden. Hier bedarf es in der kommenden Legislaturperiode dringend eines weiteren neuen Aufschlags.

procontra: Was genau stellen Sie sich vor?

Weiß:   Ganz grob lässt sich ja sagen: Wer in einem Betrieb mit mehr als 1.000 Mitarbeitern arbeitet und überdurchschnittlich verdient, hat in der Regel eine bAV. Arbeitnehmern aus kleineren Betrieben und mit eher unterdurchschnittlichem Einkommen haben hingegen keine bAV – dieses Ungleichgewicht verstärkt die Unterschiede zwischen finanziell gut und schlecht gestellten Rentnern noch einmal zusätzlich. Deshalb muss es unser dringendstes Ziel sein, Geringverdiener in die betriebliche Altersversorgung zu bekommen. Und ich glaube, der einzige Weg, dies zu erreichen, lautet: Die Geringverdienerförderung, die wir mit dem BRSG eingeführt haben, muss verpflichtend werden – mit Freiwilligkeiten alleine werden wir unsere Ziele hier nicht erreichen.

procontra: Warum führt man nicht gleich ein generelles bAV-Obligatorium ein? Sie selbst hatten sich in der Vergangenheit für ein solches ja schon einmal ausgesprochen.

Weiß: Ich persönliche glaube weiterhin, dass man mit einem generellen Opting-Out-System eine große Verbreitung der bAV erreichen könnte. Ich verstehe aber auch, dass Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ein solches System nicht möchten, da so zu stark in ihre tarifvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten eingegriffen würde. Darum befürworte ich die Idee, mit einer Pflicht für Geringverdiener zu beginnen, auch wenn diese anfangs keine eigenen Beiträge einzahlen. Der Start muss einfach gelingen – dann zahlen die Arbeitnehmer eventuell später auch eigene Beiträge ein.

procontra: Ein weiterer Bestandteil des BRSG war ja die Einführung des Sozialpartnermodells – bis auf einen kleineren Abschluss in diesem Jahr ist hier bislang wenig geschehen. Ist dieses Modell gescheitert oder stellt dieser erste Abschluss nun den Startschuss dar?

Weiß: Ich persönlich stand diesem Modell von Anfang an skeptisch gegenüber. Von Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite war dieses aber damals eingefordert und als Modell der Zukunft gepriesen worden. Dafür ist es aber sehr still geworden um das Sozialpartnermodell. Nun hat Verdi einen ersten Abschluss vereinbart – vielleicht erleben wir ja jetzt ein Wettbewerb zwischen den Gewerkschaften, wer den besten Abschluss hinbekommt.

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procontra: Ein weiteres Sorgenkind ist bekanntlich die Riester-Rente, in der seit einiger Zeit die Vertragszahlen nicht nur stagnieren, sondern sich sogar rückläufig entwickeln. Wie schafft man es hier, die Menschen wieder zu mehr privater Altersvorsorge zu animieren?

Weiß: Ich denke, erst einmal muss der Name geändert werden: Der Name Riester ist schlicht und einfach negativ besetzt. Darüber hinaus muss die staatlich geförderte Altersvorsorge grundlegend reformiert werden. Ich kann mir hier ein einfach strukturiertes Zulagenmodell vorstellen und dass durch eine stark verringerte Bürokratie auch die Kosten wesentlich reduziert werden können. Darüber hinaus wäre dann noch die Garantiefrage zu klären.

procontra: Sie meinen, Garantien zu reduzieren?

Weiß: Ich glaube, dass das Thema Garantien grundlegend neu definiert werden muss. In der alten Sprache bedeutet Garantie ja, dass das Geld mündelsicher angelegt werden muss – sprich in Staatsanleihen – der normale Bürger versteht unter Garantien aber in erster Linie, dass sein Geld nicht nur sicher angelegt ist, sondern auch Renditen erwirtschaftet.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass wir, wenn wir in der betrieblichen sowie in der privaten Altersvorsorge Wahlmöglichkeiten anbieten, die beispielsweise nur eine 80-prozentige Garantie vorsehen, zeigen können, dass die Rendite für den Altersvorsorge-Sparer am Ende größer ist. Dieser Ansatz dürfte auch näher am Garantie-Verständnis des durchschnittlichen Sparers liegen. Hier bedarf es aber noch viel Aufklärungsarbeit – nicht nur bei den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch im politischen Raum.

procontra: Ein weiterer Kritikpunkt gegenüber der Riester-Rente sind die zu hohen Kosten. Immer wieder ist nun zu hören, auch aus Ihrer Partei, dass bei der Neugestaltung der staatlich geförderten Altersvorsorge die Versicherer außen vor bleiben sollen. Kann Altersvorsorge ohne die Versicherer gelingen?

Weiß: Egal wie man es macht, man wird immer die Versicherer brauchen. Nur sie haben die Experten, wenn es um die Kapitalanlage geht – das wird keine staatliche Behörde leisten können. Darüber hinaus hege ich große Zweifel daran, dass, wenn wir im ohnehin schon sehr komplexen Feld der betrieblichen und privaten Altersvorsorge ein weiteres zusätzliches System implementieren, irgendwas besser wird. Vielmehr sollte es darum gehen, Komplexität zu reduzieren statt sie zu vergrößern.

procontra: Stichwort Verunsicherung.

Weiß: Genau. Der Altersvorsorgebericht der Bundesregierung liefert hier ja interessante Erkenntnisse: Da ist zu lesen, dass der größte Teil der kleinen und mittleren Betriebe keine Ahnung von der betrieblichen Altersversorgung hat. Und wo keine Ahnung vorhanden ist, kann man auch nicht erwarten, dass in Sachen Altersvorsorge gehandelt wird.

procontra: Auch die politischen Debatten der vergangenen Jahre dürften zur Verunsicherung beigetragen haben.

Weiß: Ich denke auch, dass der größte Dienst, den die Politik sowohl der gesetzlichen Rente als auch den kapitalgedeckten Zusatzsystemen leisten kann, der ist, endlich einmal Ruhe in die politische Debatte zu bekommen und die Menschen nicht weiter zu verunsichern.

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procontra: Zur Verunsicherung hat sicherlich auch das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums beigetragen, in dem unter anderem eine Erhöhung des Renteneintrittsalters gefordert wurde. Das wurde prompt von allen Parteien zurückgewiesen. Was spricht eigentlich dagegen?

Weiß: Auch hier gilt: Wer einfach nur ein neues Datum für die Erhöhung der Regelaltersgrenze in die Welt setzt, trägt maßgeblich zur Verunsicherung der Menschen bei. Entscheidend ist doch vielmehr die Frage, ob mehr Menschen auch länger arbeiten können und wollen. Die Erfolge der vergangenen Jahre sind ja maßgeblich auch auf die Erhöhung des faktischen Renteneintrittsalters zurückzuführen, weil Arbeitnehmer heute mit 63 Jahren nicht mehr gebeten werden, Platz für die Jüngeren zu machen, sondern vielmehr länger arbeiten sollen, weil man teils gar keine Nachfolger für sie mehr findet.

Bevor man jetzt über eine weitere Erhöhung der Regelaltersgrenze spricht, sollte man erst einmal die Erwerbsbeteiligung Älterer im bestehenden System steigern und die Bereitschaft, auch über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten, weiter erhöhen und attraktiver gestalten, beispielsweise durch die vollständige Abschaffung des Zuverdienst-Deckels.

procontra: Der Reformbedarf ist groß, aktiv als Bundestagsabgeordneter werden Sie aber nicht daran mitwirken können, schließlich ist die jetzige ihre letzte Legislaturperiode. Welche Botschaft haben Sie an Ihre Kollegen: Welches Reformprojekt sollte unbedingt angegangen werden?

Weiß: Die Aufgabenstellung ist im Altersvorsorgebericht klar beschrieben: Wir müssen die betriebliche und die private Altersvorsorge wieder flott bekommen und auf diese Weise für eine Verbreitung sorgen, die möglichst viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen umfasst und auch für Geringverdiener attraktiv ist.

procontra: Mit welcher Regierungskonstellation dürfte dieses Vorhaben denn am ehesten gelingen?

Weiß: Obwohl die Notwendigkeiten so klar auf dem Tisch liegen, ist es bedauerlich, dass wichtige demokratische Parteien im Parlament sich einseitig auf die erste Säule konzentrieren. Künftige Koalitionsverhandlungen dürften schwierig werden.

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