Betriebsschließungsversicherung: Gericht verpflichtet VKB zu Leistungen in Millionenhöhe
Im Streit um Leistungen aus ihren Betriebsschließungsversicherungen sind die Fronten zwischen Versicherungsnehmern – in der Mehrzahl Gastronomen – und Versicherern verhärtet. „Viele Versicherer meinen, dass kein Versicherungsschutz für Gastronomen und Hotelbetreiber besteht, und zudem sind sie nicht bereit, über eine friedliche Lösung zu reden“, stellte Fachanwalt Tobias Strübing (Kanzlei Wirth Rechtsanwälte) die verfahrene Situation dar. Das Thema beschäftigt immer mehr die Gerichte.
Nun konnte das Lager der Gastronomen vor dem Münchener Landgericht (Az: 12 O 5895/20) einen deutlichen Sieg für sich verbuchen. Konkret ging es im verhandelten Fall um die Klage von Christian Vogler, Wirt des Münchener Augustiner-Kellers, einer Gaststätte mit angeschlossenem, 5.000 Plätze umfassenden Biergarten.
Dieser hatte – wie alle bayerischen Gastronomen – während der Corona-Krise aufgrund einer Allgemeinverfügung der bayerischen Landesregierung schließen müssen und wollte den entstandenen Schaden – insgesamt 1,014 Millionen Euro – von seiner Versicherung, in diesem Fall der Versicherungskammer Bayern (VKB), erstattet haben.
Nun stellte auch das Münchener Landgericht eine Leistungspflicht der VKB fest und verschafft damit vielen weiteren klagenden Gastwirten – allein vor dem Landgericht München sind 86 Verfahren anhängig – Hoffnung. So wies das Gericht das Argument des Versicherers zurück, der Augustiner-Keller sei selbst gar nicht von der Corona-Pandemie betroffen gewesen, sondern allein aufgrund der Allgemeinverfügung der bayerischen Landesregierung geschlossen worden. Es sei überhaupt nicht erforderlich, „dass das Coronavirus im Betrieb des Klägers auftrete, denn nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) komme es lediglich darauf an, dass der Betrieb des Klägers aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen worden sei“, stellte das Gericht fest. Dies sei durch die Allgemeinverfügung der Landesregierung, die sich ausdrücklich auf das Infektionsschutzgesetz bezogen hatte, erfolgt.
Auch das Argument der VKB, das Corona-Virus werde in den AVB nicht als versicherte Krankheit aufgeführt, wiesen die Richter zurück. In den Vertragsbedingungen heißt es unter § 1 Ziffer 2:
„Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger nach Fassung des Gesetzes vom 20.07.2000.“
Seite 1: Allgemeinverfügung der Landesregierung ist ausreichendSeite 2: Warum das Gericht eine AVB-Klausel als intransparent bewertet
Diese Klausel bewertete das Landgericht als intransparent und damit unwirksam. „Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe“, stellte das Gericht fest. Diesen Anforderungen werde besagte Klausel aber nicht gerecht – stattdessen gehe der Versicherungsnehmer von einem umfassenden Versicherungsschutz aus, da es in § 1 Ziffer 1 heißt:
„Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger in Nr. 2 aufgeführten Krankheiten oder Krankheitserregern den versicherten Betrieb (…) schließt“
Der Versicherungsnehmer müsse davon ausgehen, dass es sich bei den unter Ziffer 2 aufgeführten Krankheiten um eine bloße Wiedergabe handele, die Ausschlüsse lediglich unter Ziffer 3 subsumiert würden. Zudem sei die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger unter Ziffer 2 auch unvollständig im Vergleich zum IfSG – dieses habe sich in den vergangenen 20 Jahren schließlich auch verändert.
Um den Versicherungsschutz wirklich einschätzen zu können, hätte der Versicherungsnehmer § 1 Ziffer 2 der AVB mit der aktuellen Fassung des Infektionsschutzgesetzes vergleiche müssen – ein Aufwand, der ihm nicht zugemutet werden könne, so das Gericht: „Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei intransparent.“
VKB prüft Berufung
Die Versicherungskammer Bayern muss nach Urteil des Münchener Landgerichts nun den Augustinerbräu-Wirt mit einer Million Euro entschädigen – noch ist das Urteil aber nicht rechtskräftig. Von Seiten der VKB wurde gegenüber procontra bereits angekündigt, dass Urteil – sobald dieses samt Urteilsgründen schriftlich vorliege – genau prüfen und die Möglichkeiten der Berufung nutzen zu wollen.
„Urteile, die in den vergangenen Wochen in Deutschland zur BSV ergangen sind, zeigen starke Unterschiede in der Rechtsauffassung der jeweiligen Gerichte und Instanzen. In einer Entscheidung des LG Kempten (Allgäu) sind, bezogen auf unsere Versicherungsbedingungen, Ansprüche aus der Betriebsschließungsversicherung verneint worden. Dies zeigt deutlich, dass aus dem heutigen erstinstanzlichen Urteil keine abschließenden und allgemeinen Schlussfolgerungen gezogen werden können, da jeder Einzelfall individuell zu bewerten ist“, teilte ein VKB-Sprecher mit.
Erst vor kurzem hatte das Münchener Landgericht im Fall einer Tagesstätte gegen die Haftpflichtkasse Darmstadt im Sinne der Versicherung entschieden. Auch Anwalt Strübing kann angesichts der unterschiedlich ausfallenden Urteile noch keine Tendenz seitens der Justiz festmachen: „Erst wenn mehrere Obergerichte sich zu bestimmten Argumenten eine einheitliche Rechtsmeinung gebildet haben, kann man von einer Tendenz sprechen“, so Strübing.
Seite 1: Allgemeinverfügung der Landesregierung ist ausreichendSeite 2: Warum das Gericht eine AVB-Klausel als intransparent bewertet