Elementarversicherung: Kann das Schweizer Erfolgsmodell auch bei uns funktionieren?
Was Sie erfahren werden:
Wie das Schweizer Modell für Naturgefahrenversicherungen funktioniert
Warum das Modell nicht einfach auf Deutschland übertragen werden kann
Welchen Versicherungsansatz der GDV favorisiert
Wie lässt sich die Verbreitung der Elementarschadenversicherung in Deutschland erhöhen? Wenn es um diese Frage geht, kommt häufig auch das Schweizer Modell ins Spiel. Denn während hierzulande nur gut jeder zweite Hausbesitzer einen Elementarschutz hat, liegt die Versicherungsdurchdringung in der Schweiz bei nahezu 100 Prozent.
Kantonale und private Versicherer
Dazu muss man wissen, dass in 19 von 26 Kantonen Versicherungspflicht für Gebäude gegen Naturgefahren besteht. Kantonale Gebäudeversicherungen treten hier als öffentlich-rechtliche Monopolanbieter auf und versichern rund 2,3 Millionen Gebäude gegen Feuer- und Elementarschäden. Bezogen auf die Gesamtschweiz entspricht dies einem Gebäudeanteil von ungefähr 85 Prozent.
In den übrigen sieben Kantonen, darunter Genf, Tessin und Wallis, müssen Immobilien privat versichert werden. Hier haben sich zwölf private Versicherer zu einem Elementarschadenpool (kurz ES-Pool) zusammengeschlossen, der über eine einheitliche Prämie einen solidarischen Risikoausgleich organisiert.
„Dank dem ES-Pool ist es möglich, Elementarschäden mit einer für alle Versicherungsnehmer tragbaren Einheitsprämie zu versichern. Er ist ein weltweit in dieser Art einzigartiges Solidaritätswerk zugunsten der von Elementargefahren besonders bedrohten Bevölkerung beispielsweise in den Bergkantonen“, heißt es dazu beim Schweizerischer Versicherungsverband SVV.
Zuletzt bewähren musste sich der Pool Mitte des Jahres, als es im Lötschental zu einem schweren Gletscherabbruch gekommen war.
Eidgenossen als Vorbild?
Könnte das Schweizer Modell also als Vorlage für Deutschland dienen? Beim Branchenverband GDV hält man dessen Ergebnisse zwar für sehr „eindrucksvoll“, glaubt aber nicht, dass sich das Modell so ohne Weiteres auf Deutschland übertragen ließe. Die öffentlich-rechtliche Organisation der kantonalen Gebäudeversicherungen mit Monopolstellung wäre hierzulande weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich zulässig, so der GDV gegenüber procontra.
Darüber hinaus widerspreche das Prinzip einheitlicher Prämien ohne Risikodifferenzierung den grundlegenden aufsichtsrechtlichen Regelungen der europäischen Finanzmarktstabilität (Solvency II). Zudem begrenze die Schweizerische Eidgenossenschaft über die Aufsichtsverordnung (AVO) die finanzielle Verantwortung des Elementarschadenpools der privaten Versicherer. „Sind die Schäden eines Ereignisses höher, bekommen Betroffene nur einen Teil des eigentlichen Schadens ausgezahlt (Quotelung). Auch dieser Mechanismus kann nicht unmittelbar auf den europäischen Rechtsraum und dessen aufsichtsrechtliche Regeln übertragen werden.“
Opt-out als Teil der Lösung
Grundsätzlich befürwortet der GDV einen flächendeckenden Versicherungsschutz gegen Elementargefahren – allerdings nicht über eine gesetzliche Pflichtversicherung. Stattdessen setzt der Verband auf einen Dreiklang aus Versicherungsschutz mit Opt-out, verbindlicher Prävention und einer staatlichen Partnerschaft bei Extremrisiken.
„Die Formulierungen im Koalitionsvertrag bieten hier eine gute Grundlage – insbesondere die Überlegungen zu einer Opt-out-Lösung gehen in die richtige Richtung“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. „Klar ist aber auch: Keine Form der ‚Pflicht‘ senkt Schäden und macht Versicherungen automatisch günstiger.“
Auch Versicherer sind skeptisch
Die GDV-Haltung zum Schweizer Modell wird auch von großen Wohngebäudeversicherern geteilt. „Trotz hoher Akzeptanz und Stabilität lässt sich dieses System nicht auf Deutschland übertragen – aus rechtlichen wie aus strukturellen Gründen“, meint etwa Jürgen Haux von der Versicherungskammer Bayern.
„Die Schweiz biete dennoch wertvolle Impulse, etwa die institutionalisierte Verantwortung für Prävention auf kommunaler und kantonaler Ebene. „Dieser integrative Ansatz“, so Haux, „ist in Deutschland bislang nicht so ausgeprägt. Er könnte über eine gezielte Verzahnung von Versicherungswirtschaft, öffentlicher Hand und Bauordnungsrecht weiterentwickelt werden.“
Auch bei der Ergo zeigt man sich auf procontra-Nachfrage skeptisch gegenüber dem Schweizer Modell. „Einheitsprämien beteiligen Bürger nicht risikogerecht und es fehlen Anreize, die Gefährdung durch Präventionsmaßnahmen zu reduzieren“, gibt Pressesprecherin Claudia Wagner zu bedenken. „Wir unterstützen den Vorschlag des GDV: ein Gesamtkonzept aus Prävention, Klimafolgenanpassung und Versicherung. Denn insgesamt sehen wir bei der Versicherung von Elementargefahren kein Angebotsproblem.“