BU-Leistung ohne Prüfrecht des Versicherers

Muss die Berufsunfähigkeitsversicherung leisten oder nicht? Diese Frage muss mitunter von Gerichten geklärt werden und das kann sich hinziehen. Wie ein jahrelanger Rechtsstreit um die Leistungspflicht im BU-Fall plötzlich endete und welche Vertragsklausel dabei eine Rolle spielte.

12:05 Uhr | 23. Mai | 2019
Versicherung Berufsunfähigkeit Recht Erwerbsminderung

Wann hat der Versicherer kein eigenes Prüfrecht im BU-Leistungsfall? Bild: shutterstock.com/ Stock-Asso

Es klingt kurios: Ein jahrelanger Rechtsstreit um die Leistungspflicht eines Berufsunfähigkeitsversicherers endet dank einer „bis dahin unbeachteten Vertragsregelung“. Anhand des Falls, über den das „Haller Kreisblatt“ ausführlich berichtet, lassen sich gleich mehrere Aspekte von Berufsunfähigkeitsversicherungen beleuchten.

Aspekt 1: BU-Ursachen und ihr Nachweis

In dem Fall aus Versmold geht es um einen Versicherten, der als Führungskraft tätig war. Nach einem leichten Schlaganfall im Alter von 59 Jahren werden 2014 auch Erschöpfungssymptome und Depressionen diagnostiziert. Das Gutachten einer Reha-Einrichtung attestiert Berufsunfähigkeit; die Rentenkasse schließt sich der Einschätzung an. 2016 wird dem ehemaligen Abteilungsleiter rückwirkend eine Erwerbsminderungsrente zuerkannt.

Dass Nervenleiden und psychische Erkrankungen mittlerweile die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit sind, zeigen aktuelle Erhebungen. So verzeichnet der BU-Versicherer Swiss-Life im eigenen Bestand in den letzten zehn Jahren eine Zunahme um 40 Prozent in diesem Segment.

Aspekt 2: Verzögerungen und Vergleiche

Der Fall aus Versmold wurde mehrfach vor Gericht verhandelt. Denn der BU-Versicherer sah sich nicht in der Leistungspflicht. Es folgten Gutachten, in denen es um die Frage ging, ob der bedingungsgemäße BU-Fall vorliegt oder nicht.

Das ist kein Einzelfall. Das Nicht-Erreichen des BU-Grades von 50 Prozent ist einer der häufigsten Ablehnungsgründe. Und oft auch Gegenstand langwieriger Gerichtsfahren, die zu einem Großteil in Vergleichen enden. Auch im vorliegenden Fall bot der Versicherer statt Auszahlung der vollen Versicherungssumme in Höhe von 116.000 Euro letztlich 20.000 Euro an. Das hätte vielleicht zur Deckung der Kosten für Anwalt, Gutachter und Gericht gereicht.

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Aspekt 3: Kundenservice im Run-off

Interessanter Nebenaspekt im vorliegenden Fall: Der ursprüngliche Versicherer, Delta Lloyd, wurde 2015 von der Run-Off-Gesellschaft Athene (inzwischen Athora) übernommen. Doch lässt sich sagen, ob allein daraus Nachteile für den Versicherten entstehen, wie Verbraucherschützer vermuten? Eher nicht. Vielmehr zeigt der vorliegende Fall, dass sich auch der Run-Off-Versicherer an die bestehenden Verträge halten muss.

Aspekt 4: Wer die Bedingungen beherrscht, beherrscht den Rechtsstreit

Die Wende im vorliegenden Fall in Versmold kam durch eine Vertragsklausel zustande, die besagt, dass der Versicherer ohne eigenes Prüfrecht leistet, wenn dem Versicherten bei Vollendung des 55. Lebensjahres eine unbefristete Erwerbsminderungsrente aus gesundheitlichen Gründen durch die Deutschen Rentenversicherung zugesprochen wurde. Das war traf auf den Versicherten zu und schließlich erklärte sich der Versicherer bereit, seine Leistungspflicht zu übernehmen.

Klarer Regulierungsprozess fehlt

Erschreckend ist, dass diese Klausel in dem mehrjährigen Rechtsstreit bis dahin „unbeachtet“ blieb. Zum einen spricht das für eine professionelle Leistungsfall-Begleitung. Aber es wird auch deutlich, dass einheitliche Standards und Prozesse fehlen, die dem Versicherten schnell Klarheit hinsichtlich konkreter Leistungen verschaffen, wie Peter Dörrenbächer, Fachanwalt für Versicherungsrecht, gegenüber procontra forderte.

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