procontra: Herr Prof. Arnold, zunächst scheinen Neobroker den Zugang zum Kapitalmarkt zu demokratisieren: einfach, transparent, niedrige Gebühren. Sind die zahlreichen neuen Kontoeröffnungen nicht angesichts der niedrigen Zinsen doch irgendwie auch ein Segen, der Geldvernichtung auf deutschen Sparbüchern entgegenzuwirken?
Prof. Dr. Marc Arnold: Der Trend zu tieferen Gebühren ist sicherlich zu begrüßen. Gerade die Transparenz ist jedoch bei den Neobrokern noch in vielerlei Hinsicht unzureichend. Um der Geldvernichtung entgegenzuwirken, ist es zudem zentral, grundsätzliche Fehler zu vermeiden. Sonst kann die Geldvernichtung schnell grösser sein als durch die niedrigen Zinsen.
procontra: In Ihrer Studie kritisieren Sie, dass die Anbieter solcher Apps und Plattformen gezielt das Verhalten der Anleger beeinflussen. Mit welchen Konsequenzen?
Prof. Dr. Arnold: Die Anleger werden mittels Push-Benachrichtigungen oder Pop-ups dazu stimuliert, häufig und risikoreich zu handeln. Dieses Verhalten erhöht die Einkünfte der Anbieter, schadet jedoch insbesondere langfristig den Anlegern. Zudem kann es durch das hohe Risiko zu unerwartet großen Verlusten bei den Anlegern kommen.
procontra: Ein weiterer Kritikpunkt ist der Vergleich mit Glückspiel und auch der Vorwurf der „Gamifizierung“ von Geldanlage steht im Raum. Ist vor einem solchen Hintergrund überhaupt an langfristigen Vermögensaufbau über Neobroker zu denken?
Prof. Dr. Arnold: Ein langfristiger Vermögensaufbau ist möglich, insbesondere wenn man von Beginn an eine klare Anlagestrategie verfolgt und typische Fehler vermeidet – zum Beispiel häufiges Trading. Das verursacht nämlich Kosten, welche die Performance massiv schmälert, was in den meisten Fällen einen Vermögensaufbau unmöglich macht. Schlimmer noch: Diese Kosten verursachen bei der Mehrheit der Trader sogar einen langfristigen Vermögensabbau. Die Anleger sollten also einer sinnvollen Anlagestrategie und nicht einer Tradingstrategie folgen. Wobei man aber auch bei einer Anlagestrategie nie vergessen darf: Ein langfristiger Vermögensaufbau ist möglich, aber nicht garantiert. procontra: Wie viel Kapitalmarktwissen müssten Anleger mitbringen, um Neobroker zu nutzen?
Prof. Dr. Arnold: Grundsätzlich kann man auch ohne Kapitalmarktwissen Neobroker nutzen und bei einigen Investitionen Glück haben. Es besteht dann jedoch die Gefahr eines unerwartet großen Verlusts oder von Fehlern, welche die Performance schmälern. Es gibt Studien dazu, welche Art von Wissen die Performance der Anleger erhöht. Anleger, die sich mit Kapitalmarktgrundsätzen befassen, haben tatsächlich eine bessere Performance. Anleger, die sich mit vergangenen Kursen, Kursmustern oder Trends befassen, haben hingegen eine schlechtere Performance.
procontra: Jeder Berater steht bei Geldanlagetipps in der Haftung, wie sieht die bei Neobrokern aus, wenn die doch gezielt Einfluss auf das Tradingverhalten ihrer Kunden nehmen?
Prof. Dr. Arnold: Die Neobroker achten darauf, ihre Einflussnahme als „unverbindliche Information“ darzustellen. Ich denke daher, sie sind sich dieser Gefahr durchaus bewusst und versuchen, sich rechtlich geschickt zu verhalten. Ich bin gespannt, welche Urteile wir in den USA diesbezüglich beobachten können.
procontra: Vor dem Hintergrund Ihrer Studienergebnisse: Können Neobroker die Anlageberatung oder die Versicherungslösung für so wichtige Themen wie Altersvorsorge langfristig ablösen?
Prof. Dr. Arnold: Das geschieht teilweise bereits. Auch übernehmen etablierte Banken gewisse Konzepte und Tools der Neobroker in diesem Bereich. Hier ist also definitiv ein Umdenken im Gange. Insbesondere ist auch das Bewusstsein gestiegen, dass für langfristige Themen wie Altersvorsorge tiefe Gebühren absolut zentral sind. Weitere Information zur Studie der Universität St. Gallen finden Sie