"Nach wie vor ist sehr viel Unsinn auf dem Markt"
procontra: Frau Boss, vor sechs Jahren wurde der Versicherungskäse gegründet. Welches Produkt hat Sie so erbost?
Bianca Boss: Es war kein besonderes Produkt, vielmehr die allgemeine Situation. Uns ist in unserer täglichen Arbeit einfach aufgefallen, wie viele intransparente, nutzlose, unsinnige und mysteriöse Versicherungen auf dem Markt sind. Mit dem Versicherungskäse wollten wir die Menschen dafür sensibilisieren, dass sie sich in erster Linie nur gegen existenzielle Risiken absichern und nur solche Produkte kaufen sollten, die sie selbst auch verstehen.
procontra: Was macht denn aus Ihrer Sicht ein schlechtes Versicherungsprodukt aus?
Boss: Da gibt es verschiedene Kriterien: Das können Produkte sein, die für den Kunden, selbst für den Versicherungsberater, vollkommen unverständlich sind. Schlechte Produkte weisen auch zu hohe Kosten auf, ohne dafür eine entsprechende Leistung zu bieten. Oder es sind Produkte, die für den Kunden keinen wirklichen Nutzen bieten.
procontra: Wie gehen denn die Versicherer mit der Auszeichnung um?
Boss: Bislang hat keiner der „ausgezeichneten“ Versicherer den Preis persönlich entgegengenommen. Einzige Ausnahme, die hier auch mal lobend erwähnt werden sollte, ist die Allianz. Wir würden es begrüßen, wenn die Versicherer aktiv an der Preisverleihung teilnehmen würden – sie können vor Ort die Kritik akzeptieren, haben aber auch die Möglichkeit, zu widersprechen und zu erklären, warum ihr Produkt super ist. Manche Versicherer, wie beispielswiese die Ideal mit ihrer Krebsversicherung, haben nach der Verleihung mit uns ja auch das Gespräch gesucht.
procontra: Hat der Versicherungskäse also mehr als eine mediale Wirkung?
Boss: Die Krebs-Versicherung der Ideal ist vom Markt verschwunden und zu einer Dread-Disease-Versicherung geworden. Wir haben mit derIdeal auch Gespräche hierüber geführt – ob diese allerdings dazu beigetragen haben, dass die Versicherung vom Markt verschwindet, das wage ich nicht zu behaupten. Die Stadionversicherung der Allianz gibt es ebenfalls nicht mehr und auch die Schülerversicherung der BGV und Württembergischen Gemeinde-Versicherung ist nicht mehr so auf dem Markt, wie sie ausgezeichnet wurde.
procontra: Mittlerweile gibt es die Schülerversicherung aber wieder.
Boss: Aber nicht mehr in der früheren Form. Damals wurden sie aktiv von den Lehrern vertrieben, mittlerweile gibt es Gruppenverträge, die von den Kommunen abgeschlossen werden, Auch hier gilt aber: Existenzieller Versicherungsschutz der Kinder gehört in die Hände der Eltern. Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Kinder abgesichert sind, mit einer Privathaftpflichtversicherung und gegebenenfalls einer Unfall- oder Kinderinvaliditätsversicherung.
procontra: Nun geht der Versicherungskäse ins sechste Jahr. Hat die Branche aus Ihrer Sicht dazugelernt?
Boss: Ich fürchte, dass nach wie vor sehr viel Unsinn auf dem Markt ist. Verbraucherinnen und Verbraucher ist weiterhin dringend angeraten, sich zum Thema Versicherungsschutz ordentlich beraten zu lassen um herauszufinden, welche Versicherungen existenziell und sinnvoll und welche eher verzichtbar sind. Brauche ich eine Fahrrad- oder Glasbruchversicherung wirklich oder kann ich das Geld hierfür nicht selbst ansparen? Nicht alles muss schließlich versichert werden.
procontra: Gibt es denn ein Segment, in dem Sie besonders viele negative Produkte feststellen können?
Boss: Nach wie vor ist der Bereich Altersvorsorge, Lebens- und Rentenversicherungen derjenige, bei dem wir sehr häufig auf schlechte Produkte stoßen. Hier gibt es eine Vielzahl von Produkten, die für den Kunden, den Vermittler und selbst unseren Versicherungsmathematiker Axel Kleinlein nur äußerst schwer zu verstehen sind. Viele Lebens- und Rentenversicherungen sind dazu mit anderen Produkten, wie einer Berufsunfähigkeits- oder einer Pflegeversicherung, gekoppelt, wovon wir prinzipiell abraten. Die Versicherer haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie einfach keine Altersvorsorge können und sich lieber darauf konzentrieren sollten, existenzielle Risiken abzusichern. Bringt man das in Zusammenhang mit der derzeitigen Kapitalmarktkrise gehe ich davon aus, dass sich die Versicherer mittelfristig vom Thema Altersvorsorge auch verabschieden werden müssen.
procontra: Die aus Ihrer Sicht fragwürdigen Versicherungsprodukte sind nur die eine Seite der Medaille, die andere sind die Kunden, die lieber ihr Handy als ihre Arbeitskraft versichern. Wie viel Aufklärungsarbeit ist hier noch notwendig?
Boss: Ich denke, hier muss über die Beratung noch viel Aufklärung betrieben werden. Ich sehe es ja selbst in meinem Bekanntenkreis, dass es Versicherungen für Handy, Brille und das Fahrrad der Kinder gibt, die Eltern aber über keine Risikolebensversicherung verfügen. Der Fokus der Beratung muss auf der Absicherung existenzieller Risiken sowie der Altersvorsorge liegen – nur wenn dann noch Geld übrig ist, kann man über weitere Absicherungen nachdenken.