„Versicherer müssen das Thema erst einmal verstehen”
procontra: In Deutschland gibt es nur zwei, drei Versicherungsunternehmen für Kryptowährungen. Warum wagen sich nur so wenige Versicherer an Krypto-Policen?
Sandner: Versicherer müssen dieses sehr komplexe Thema erst einmal verstehen. Und weil der Markt noch relativ klein ist, fragen sie sich natürlich, warum sie sehr viel Geld für die Expertise ausgeben sollten. Aber der Markt entwickelt sich rasant, die Entwicklung verläuft außergewöhnlich schnell, auch weil es sich um ein internationales System handelt, an dem sehr viele Menschen gleichzeitig mitarbeiten. Die Versicherer, die in dem Segment bereits jetzt aktiv sind, werden es in Zukunft leichter haben.
procontra: Die Versicherer wie Munich Re, die Krypto-Policen anbieten, halten sich bedeckt und hüllen sich in Schweigen, wenn sie auf die Policen angesprochen werden. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?
Sandner: Der gesamte Bereich Blockchain und Krypto-Assets ist noch recht neu. Es gibt auch große Vorbehalte in der Bevölkerung – Stichwort: Stromverbrauch von Bitcoin. Gleichzeitig gibt es sehr viel Unwissen, sowohl ganz generell in der Gesellschaft als auch bei den Versicherern. Der ganze Bereich Blockchain steht noch am Anfang, aber entwickelt sich rasant. Ich würde deswegen das Schweigen eher als „Orientierungsphase“ werten. Ich denke, dass Versicherer in den kommenden ein, zwei Jahren zu diesen Fragen eine klare Meinung haben werden – und auch haben müssen.
procontra: Um zu verstehen, wie Kryptogeld versichert werden könnte, muss man erst einmal begreifen, wie es gespeichert wird. Wie lässt sich Kryptogeld verwahren?
Sandner: Das Thema Gold bietet hier eine gute Analogie: Gold können Besitzer selbst verwahren – in ihrem eigenen Tresor, in einem Bankschließfach oder indirekt durch ein Zertifikat. Bei Bitcoins funktioniert es ähnlich: Man kann sie direkt besitzen zum Beispiel auf einem USB-Stick zuhause in der Schublade, dann müsste der USB-Stick versichert werden. Oder man lagert die Bitcoins bei einer Krypto-Börse wie Coinbase, die BSDEX, Nuri oder Bitcoin.de, dann müssten sie über die Börse versichert werden. In Europa sind ansonsten noch die Börsen Bitstamp und Bitpanda relevant. Andere Börsen, wie die asiatischen, sind schwerer einzuschätzen und teilweise eher unsicher.
procontra: Warum?
Sandner: Sie unterliegen keiner Kontrolle wie bei uns durch die Bafin und bei manchen Krypto-Börsen weiß man zum Teil nicht ganz genau, wo sie tatsächlich ihren Sitz haben. Eine Versicherung wird damit rechtlich sehr schwierig. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass sich Versicherer eher entscheiden, Policen für europäische und amerikanische Börsen anzubieten.
procontra: Wie ließe sich der Verlust von Krypto-Währungen denn sinnvoll abdecken?
Sandner: Die Frage ist, wen man konkret versichern will: einen Privatkunden oder eine Bank, die ihren Kunden Kryptowährungen anbietet? Privatanwendern würde ich immer raten, die Coins auf einem speziellen USB-Stick zu verwahren. Das sind USB-Sticks, die nur dafür da sind, Bitcoins zu speichern. Aber theoretisch reicht auch ein Zettel und ein Stift, um das Passwort zu notieren.
procontra: Jeder Nutzer erhält für den Zugriff auf seine virtuelle Geldbörse, die Wallet, einen Code aus Zahlen und Buchstaben, der wie ein Schlüssel funktioniert. Ist der Schlüssel weg, können Nutzer auch nicht mehr auf ihr Kryptogeld zugreifen. „Not your keys, not your coins”, lautet deswegen eine Redewendung in der Krypto-Szene.
Sandner: Richtig, die Versicherung des Private Keys, also eine Art Passwort, ist der Dreh- und Angelpunkt. Ob man auf das Wallet oder auf das Passwort aufpasst, läuft aufs Gleiche hinaus. Wer das Passwort besitzt, der kontrolliert die Bitcoins. Ein Versicherer müsste also prüfen, ob derjenige, der Krypto-Währungen hält, das Passwort dafür entsprechend sicher verwahrt.
procontra: Kann es überhaupt eine sinnvolle Krypto-Versicherung für Kleinanleger geben?
Sandner: Ich bin skeptisch, ob eine Versicherung für Privatpersonen funktioniert. Das wäre so als wollte man einen Waffenschrank versichern, von dem man nicht weiß, wo er steht, ob er abgeschlossen ist, ob Kinder einen Schlüssel haben, wie einbruchsicher die Fenster sind oder ob sich der Schrank leicht raustragen lässt…Man kann nicht kontrollieren, wer Zugang hat. Oder es wird unendlich teuer. Es werden tendenziell eher Großprojekte versichert als ein paar private Bitcoins.
procontra: Wie werden Krypto-Währungen im Gewerbebereich denn konkret versichert?
Sandner: Mir sind aktuell nur wenige Versicherer wie die Munich Re und Lloyd bekannt, die Kryptotransaktionen und die Verwahrung von Kryptowährungen abdecken. Es geht im Kern ja immer um die Verwahrung, also die Speicherung der sogenannten privaten Schlüssel, der Passwörter. Ein Versicherer müsste sich also die technischen Gegebenheiten ansehen und fragen: Wie sicher ist das Passwort hinterlegt? Liegt es in einem Tresor oder bei einem Manager auf dem Schreibtisch? Die klassische IT-Versicherung kommt einer Krypto-Police wahrscheinlich am nächsten.
procontra: Was, wenn Bitcoins Teils eines ETF sind?
Sandner: Dann muss der Emittent, der das Bitcoin-ETF erzeugt, auf die Sicherheit der Bitcoins achten. Und der lagert sie wahrscheinlich bei einem Verwahrer wie zum Beispiel Coinbase.
procontra: Wie will man eigentlich die Schadensumme, die bei einem Bitcoin-Diebstahl entsteht, berechnen? Der Kurs schwankt erheblich.
Sandner: Zunächst einmal ist durch die Blockchain-Technologie für alle öffentlich einsehbar, wie viele Bitcoins auf einem Konto lagen. Man könnte dann sagen: In dem Augenblick des Diebstahls gilt der Tagespreis des Bitcoins, so wie bei Gold auch. Dann wäre der Wert der Bitcoins gemessen am Tageswerk zu ersetzen.
procontra: Eine neue Gefahr für die Verwahrung von Kryptogeld droht durch die Entwicklung von Quantencomputern.
Sandner: In der Tat ist der Quantencomputer in Bezug auf das Hacking der Schlüssel gefährlich, aber das gilt für alles, was mit Computern und Verschlüsselung zu tun hat und damit ist er auch eine Bedrohung für Versicherer, die Bankentresore verschlüsseln.
procontra: Warum?
Sandner: Weil sowohl beim Bitcoin, beim Geldautomaten, als auch bei der Bank oder im Handy die sogenannte SHA 256-Kryptografiefunktion eingebaut ist. Der Quantencomputer greift genau diese Kryptografie-Funktion an und kann innerhalb kürzester Zeit unzählige Versuche starten, um ein Passwort zu ermitteln. Wenn der Quantencomputer erst einmal da ist, gibt es noch ganz andere Probleme zu lösen als die Versicherung von Kryptowährungen.
procontra: In Deutschland wurden Kryptowährungen Anfang 2020 unter Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) gestellt. EZB-Chefin Christine Lagarde fordert weltweite Regulierungen von Bitcoins. Wie wirken sich diese Reglementierungen auf das Thema Bitcoin-Policen aus?
Sandner: Das minimiert das Risiko für die Sicherheit von Kryptowährungen. Auf europäischer Ebene soll bis Ende 2022 die sogenannte MiCA-Verordnung („Markets in Crypto-Assets“, Anm. d. Red.) greifen, durch die EU-weit einheitliche Regeln im Umgang mit Krypto-Währungen und -Assets geschaffen werden.
procontra: Die EZB plant ebenfalls eine eigene digitale Bankenwährung. Die Anzahl der Krytpo-Währungen liegt laut investing.com weltweit mittlerweile bei über 6.000.
Sandner: Das ist richtig, aber man muss sich die Marktkapitalisierung ansehen und die geht bei den meisten Währungen gegen null. Es gibt tausende Kryptowährungen, die einen sehr, sehr geringen Wert haben und nur wenige, etwa einhundert, die man ernst nehmen sollte.
procontra: Was bedeutet das für Versicherer?
Sandner: Wenn ich ein Versicherungsunternehmen wäre, würde ich mich zunächst mit zwei Basistechnologien im Blockchain-Bereich beschäftigen, insbesondere mit Bitcoin und Ethereum. Das wäre ein guter Einstieg und damit sind 70 Prozent des gesamten Krypto-Währungsmarktes abgedeckt.
procontra: Wie lautet Ihre Prognose: Bleiben Kryptowährungen?
Sandner: In El Salvador wurde der Bitcoin jetzt als offizielles Zahlungsmittel eingeführt. So eine Entscheidung wird nicht spontan getroffen, dahinter stehen intensive Überlegungen. Ich finde es aber erstaunlich, dass sich nach wie vor vergleichsweise wenige Menschen und Institutionen mit dem Thema beschäftigen. Die Blockchain-Technologie und die Kryptowährungen werden uns nämlich ganz sicher weiterhin begleiten.
Professor Philipp Sandner leitet das Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) an der Frankfurt School of Finance & Management. Seit 2017 ist er Mitglied im FinTechRat des Bundesministeriums der Finanzen und im Blockchain Observatory der Europäischen Union. Sandner war Mitgründer des Blockchain Bundesverbands und forschte am Berkeley Center for Law & Technology. Bild: Frankfurt School of Finance & Management gGmbH.