So schwer tun sich Versicherer und Vermittler mit der Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist ein Megathema für die Versicherungswirtschaft. Doch während die Assekuranz das Thema als integralen Bestandteil ihres Geschäftsmodells versteht, wie eine aktuelle Studie von Zielke Rating zeigt, hadern Finanzanlagen- und Versicherungsvermittler mit der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. Was auch daran liegen dürfte, dass Kunden nur geringes Interesse an nachhaltigen Produkten zeigen, wie das aktuelle AfW-Vermittlerbarometer belegt.
Zwar sind Finanzanlagenvermittler erst seit 20. April 2023 dazu verpflichtet, Kunden nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen und die Produktempfehlungen darauf abzustimmen. Doch lediglich 22 Prozent der Kunden sind laut den befragten Vermittlern überhaupt daran interessiert, über ihre Nachhaltigkeitspräferenzen zu sprechen. Bemerkenswert ist, dass sich 16 Prozent der Kunden dem Thema schlichtweg verweigern und 62 Prozent das Thema egal ist. Die Stimmung ist binnen zwei Jahren völlig gekippt, mahnt der Vermittlerverband.
Die Stimmung kippt
So zeigte das AfW-Vermittlerbarometer aus dem Jahr 2022, dass seinerzeit eine Mehrheit von 53 Prozent der Kunden bereit war, über ihre Nachhaltigkeitspräferenzen zu sprechen. Knapp ein Fünftel (22 Prozent) lehnte das Thema ab, nur 25 Prozent war es egal. „In der öffentlichen Diskussion ist der Klimawandel hinter aktuelle Themen wie steigende Preise, Wohnungsmangel und geopolitische Risiken wie der Krieg in der Ukraine und die kritische Lage im Nahen Osten zurückgetreten“, benennt AfW-Vorstandsmitglied Norman Wirth die möglichen Gründe.
Finanzanlagen- und Versicherungsvermittler gleichauf
Für Versicherungsvermittler gelten die gleichen Vorgaben für die Nachhaltigkeitsabfrage wie für Finanzanlagenvermittler bereits seit 2. August 2022. Dort bestand anfangs die Schwierigkeit, dass viele Produkte zunächst noch gar nicht entsprechend kategorisiert waren und daher von den Vermittlern nicht zu den Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden zugeordnet werden konnten. Nach Angaben des AfW haben viele Vermittler nach wie vor mit der Kategorisierung deutliche Schwierigkeiten. Und auch im Versicherungsanlagebereich ergibt sich ein ähnliches Bild.
So beurteilt in beiden Produktkategorien jeweils nur knapp die Hälfte der Vermittler – 46,7 Prozent bei Finanzanlagen und 48,2 Prozent bei Versicherungen – das Produktanagebot als ausreichend, um ihre Kunden nach deren Nachhaltigkeitswünschen entsprechend optimal zu beraten. Rund jeder vierte Vermittler hält das bestehende Produktangebot für unzureichend.
ESG-Ratings werden zur Orientierung genutzt
Fragt man konkret nach, woran sich die Vermittler in der Praxis bei der Suche nach nachhaltigen Investmentfonds für ihre Kunden orientieren, kann mehr als jeder dritte Vermittler keine Angabe nennen. 33 Prozent orientieren sich an ESG-Ratings wie zum Beispiel Morningstar, 15 Prozent beziehen sich auf Gütezeichen und -siegel wie zum Beispiel dem FNG-Siegel. Nur sechs Prozent suchen auf Informationsportalen nach den passenden Fonds.
Laut AfW haben Vermittlerinnen und Vermittler derzeit Probleme, sich objektiv orientieren zu können. Kritisch sieht der Verband die Einstufungen nach Artikel 8 oder 9 der Offenlegungsverordnung. Das Procedere hält AfW-Vorstand Wirth für zu komplex und zu aufwändig. Nötig sei stattdessen ein einfacheres Verfahren bei der Nachhaltigkeitsabfrage.
Doch während die Kunden nicht wollen und die Vermittler mit der Regulatorik hadern, zeigt sich auch bei den Versicherern hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung Licht und Schatten, wie eine aktuelle Umfrage von Zielke Rating bestätigt. „Es ist ein Bemühen, mehr Informationen zu geben und sich in den entsprechenden Indikatoren zu verbessern“, sagt Zielke, der für das aktuelle Rating die Nachhaltigkeitsberichte von 21 europäischen Versicherungsgesellschaften ausgewertet hat. Und trotzdem: Obwohl der Großteil der Versicherer börsennotiert ist und die Versicherer ein Interesse daran haben müssten, in den Nachhaltigkeitsratings vorne zu liegen, scheint es auch in der europäischen Versicherungsbranche durchaus so zu sein, dass es Versicherungsgesellschaften gibt, die beim nachhaltigen Umbau des Unternehmens ein größeres Interesse hätten als andere“, so Zielke.
Überrascht zeigte sich der Analyst, dass Gesellschaften wie BNP Paribas, Crelan, Ethias, Argenta und Prudential bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung doch deutliche Defizite aufwiesen. Laut Zielke würden sogar einige deutsche mittelständische Versicherer hier besser abschneiden. Zielke führt das schlechte Abschneiden auf die mangelnde Bekanntheit des Ratings im außerdeutschen Raum zurück. „Wir machen die Studie seit einigen Jahren. Und die Unternehmen hierzulande wollen nicht auf den hinteren Plätzen landen“, erklärt er gegenüber procontra. Im internationalen Vergleich stehen die deutschen Versicherer hier weit vorne, sagt Zielke. Die Unternehmen sind getrieben, weil sie wissen, dass die Informationen analysiert und ins Verhältnis gesetzt werden. „Das haben Sie in Großbritannien nicht. Und in Frankreich und Belgien ebenfalls nicht.“ Der Experte erwartet aber, dass sich das ändert, wenn die CSRD ab Juli 2024 greifen wird und die Berichtsformate sich dann vereinheitlichen.
Was machen die Top-gerateten Versicherer wie Axa, Zurich Insurance oder Baloise besser als die schlecht gerateten wie BNP Paribas, Crelan oder Prudential? „Wenn die Unternehmen uns keine Informationen geben, die entweder sehr schlecht sind, weil sie einen schlechteren CO2-Fußabdruck haben als die Konkurrenten, bekommen sie keine Punkte“, sagt Zielke. Unternehmen, die schlecht abgeschlossen hätten, hätten häufig im Environement-Bereich nicht genügend Informationen geliefert, gerade was die Scope-3-Angaben wie den CO2-Abdruck betrifft. Zudem würden Angaben im sozialen Bereich fehlen.
Laut Zielke dürfte es künftig spannend werden, denn die ab Sommer 2024 geltenden neuen Berichtspflichten sehen eine erhebliche Ausweitung im sozialen Bereich vor. Das betrifft nicht nur die Frauen-Quoten sondern auch die Inklusions-Quoten, so Zielke. Hinzu komme, so Zielke, auch der Gender-Pay-Gap: also nicht nur die unterschiedliche Bezahlquote zwischen Frauen und Männern, sondern auch zwischen dem niedrigsten und der höchsten Gehaltsstufe. Das sei sehr spannend, weil es dies in dieser Form in Deutschland noch nicht gegeben habe. „In Frankreich gibt es das schon länger und das hat dazu geführt, dass es keine Exzesse der Manager-Gehälter in Frankreich gegeben habe“, so Zielke. Der Experte vermutet, dass es einen deutlichen Effekt auf die Bezahlung von Vorständen in Deutschland haben dürfte.
Bemerkenswert: Viele Versicherer nutzen die Nachhaltigkeitsberichte, um deutlich auf ihre CO2-Emissionsreduzierungen und die konkreten Maßnahmen hinzuweisen. Spannend ist allerdings, dass von den 21 Unternehmen lediglich 43 Prozent der Versicherer diese Reduzierungen von externen Dritten testieren lassen. Laut Zielke waren es im Vorjahr weniger gewesen. In Zukunft dürfte sich dies laut dem Experten allerdings ändern. Im Rahmen der CSRD müssten die Informationen vorliegen, so Zielke. Dazu gehöre, dass der CO2-Verbrauch auch korrekt berechnet würde.