Kolumne

Renten-Reform: Grundsätze der Mathematik lassen sich nicht überlisten

Die Rente muss dringend grundlegend und ohne Tabus reformiert werden, meint Susanna Adelhardt, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung. Sie stellt klare Forderungen an die neue Rentenkommission. Es dürfe keine Tabus geben, denn Mathematik sei nicht verhandelbar.

08:09 Uhr | 16. September | 2025
Susanna Adelhardt, neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV)

Susanna Adelhardt, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung

| Quelle: DAV

Die Probleme der Alterssicherung in Deutschland sind seit Jahren bekannt, die demografische Entwicklung ist schon lange kein Geheimnis mehr, und wohin sie in der gesetzlichen Rentenversicherung unweigerlich führt, auch nicht. Trotzdem erleben wir immer wieder: Die Politik verständigt sich auf Einzelmaßnahmen, die beim Wahlvolk vermeintlich gut ankommen, und um die wirklich grundlegenden und zukunftsweisenden Fragen darf sich eine Kommission kümmern. Ein Spiel auf Zeit, egal ob diese überhaupt noch ausreichend vorhanden ist.

Nun soll es also eine neue Rentenkommission richten. Wird sie den Mut haben, nicht nur die notwendigen und grundsätzlichen Fragen zu stellen, sondern auch die unbequemen Antworten zu formulieren? Oder läuft am Ende alles wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus, weil die Kommission nicht nach fachlicher Kompetenz, sondern nach politischem Proporz zusammengesetzt wird?

Uns läuft die Zeit davon

Was uns im Jahr 2035 erwartet, ist kein fernes Zukunftsszenario, sondern eine harte Zäsur: Dann sind die geburtenstarken Jahrgänge im Rentenalter. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss unser Alterssicherungssystem tragfähig aufgestellt sein - für die Betragszahler, die Rentner, aber auch für die Wirtschaft und den Staatshaushalt. Es geht nicht mehr um kosmetische Korrekturen, es geht um schmerzhafte Eingriffe. Dafür braucht Deutschland ein klares, langfristiges Zielbild, eine Agenda 2035 für die Alterssicherung – verbindlich, nachvollziehbar und generationengerecht.

Darum geht es wirklich

Die gesetzliche Rente allein kann die Lasten nicht tragen. Die private und die betriebliche Vorsorge müssen ebenso Teil der Betrachtung sein. Immerhin scheint das verstanden: Laut Koalitionsvertrag soll eine Kenngröße über alle drei Säulen hinweg entwickelt werden. Diese darf nicht im Ungefähren verbleiben, sondern muss sehr konkret werden: Welche Versorgungshöhe ist realistisch, welche ist notwendig? Wie verteilen sich die Finanzierungslasten fair zwischen den Generationen und Beitragsquellen? Welche Rolle spielt Kapitaldeckung künftig? Und was bedeutet das alles für das Renteneintrittsalter?

Tabus sind tabu

Wenn die Rentenkommission ihren Auftrag ernst nimmt, darf sie keine Themen ausklammern. Besitzstände, steuerliche Privilegien, Fragen von Pflicht oder Freiwilligkeit – alles gehört auf den Tisch. Reformen sind nur dann tragfähig, wenn sie auf der Realität aufsetzen. Durch halbherzige Lösungen werden die Probleme lediglich vertagt – und die Eingriffe in der Zukunft dafür umso schmerzhafter.

Mathematik ist nicht verhandelbar

Die vier Grundrechenarten und die anerkannten Grundsätze der Versicherungsmathematik lassen sich nicht überlisten. Annahmen sind aufgrund realistischer Erwartungen zu treffen; Hoffnung ist keine Rechnungsgrundlage. Mit jedem Tag, der ohne Kursänderung ins Land geht, schwindet die Chance, die erforderlichen und unvermeidlichen Einschnitte sozialverträglich so zu gestalten, dass den Älteren ausreichende Sicherheit geboten wird und die Jüngeren nicht überfordert werden. Die Rentenkommission kann ein wichtiges Instrument sein – aber nur, wenn sie schnell ein klares Mandat erhält, schonungslos zu Werke geht und konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet. Alles andere wäre Zeitverschwendung. Deutschland braucht eine verlässliche Agenda 2035 für die Alterssicherung – und zwar jetzt.

Long Story short

  1. Kritik am Koalitionsvertrag: Die aktuellen Reformpläne zur Alterssicherung greifen laut DAV zu kurz und behandeln nur Symptome statt grundlegender struktureller Probleme. Ein „großer Wurf“ sei notwendig.

  2. Gefahr steigender Belastungen: Ohne tiefgreifende Reformen drohen deutlich steigende Beitragssätze für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, während gleichzeitig keine ausreichenden Maßnahmen zur nachhaltigen Finanzierung getroffen werden.

  3. Forderung nach ganzheitlicher Reform: Alle drei Säulen – gesetzliche Rente, betriebliche Altersversorgung und private Vorsorge – müssen systematisch und generationengerecht gestärkt werden.

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