Gerichtsurteil

Warum Makler Gewerbekunden nach Unterversicherung fragen sollten

Vermittler sollten die Geschäftsleiter der von ihnen beratenen Unternehmen fragen, ob ihnen bewusst ist, dass sie für Versicherungslücken oder aber eine Unterversicherung in den von ihnen geführten Gesellschaften mit ihrem persönlichen Vermögen haften. Dazu rät Votum-Verbandschef Martin Klein nach einem aktuellen Urteil des OLG Schleswig.

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10:09 Uhr | 30. September | 2024
Martin Klein

RA Martin Klein, Geschäftsführender Vorstand des Votum Verbands.

| Quelle: Votum

Das Oberlandesgericht Schleswig hat im Frühjahr dieses Jahres ein Urteil (AZ 16 U 93/23 vom 26.02.2024) gesprochen, welches aus Sicht von Votum-Verbandschef und Rechtsanwalt Martin Klein von allen Versicherungsvermittlern beachtet werden sollte, die Gewerbekunden betreuen. Für procontra hat Klein die wichtigsten Erkenntnisse des Gerichtsurteils ausgeführt.

Wissen Geschäftsleiter um ihr Haftungsrisiko?

Vermittler sollten die Geschäftsleiter der von ihnen beratenen Unternehmen fragen, ob ihnen bewusst ist, dass sie für Versicherungslücken oder aber eine Unterversicherung in dem von ihnen geführten Gesellschaften mit ihrem persönlichen Vermögen haften.

Insbesondere sogenannten Fremdgeschäftsführern sollte dieses Urteil die Augen öffnen, da sie letztendlich mit ihrem Privatvermögen gegenüber den Eigentümern des Unternehmens so eintreten, als ob das Unternehmen ordnungsgemäß versichert gewesen wäre. Wenn in einem Schadenfall keine D&O Versicherung besteht, kann dies auch für gut bezahlte Geschäftsleiter in der Insolvenz enden.

Der Fall:

Nach dem Brand in einer Bäckerei stellte sich in der gutachterlichen Untersuchung heraus, dass der Versicherungswert die Versicherungssumme der Geschäftsversicherung um über 60 Prozent überstieg. Auf Grund dieser erheblichen Unterversicherung leistete der Versicherer nur 38,5 Prozent des entstandenen Schadens. Es verblieb ein Differenzbetrag von ca. 188.000 Euro. Die Gesellschafter der Bäckerei GmbH nahmen daraufhin deren Geschäftsführer auf Schadensersatz in dieser Höhe in Anspruch, mit der Begründung, dass er diese Unterversicherung zu verantworten habe. Der Geschäftsführer trat daraufhin seinen Freistellungsanspruch gegenüber der bestehenden D&O-Versicherung an die Gesellschafter ab. Der D&O-Versicherer lehnte ein Eintreten ab, wobei er sich im Laufe des Verfahrens auf eine Vielzahl von – sich teilweise widersprechenden – Gründen berief.

Vom D&O Versicherer vorgebracht Argumente:

  • Dem Geschäftsführer sei keine Pflichtverletzung vorzuwerfen, da der ursprüngliche Versicherungsvertrag über einen Makler abgeschlossen worden sei, auf dessen Rat der Geschäftsführer habe vertrauen dürfen.

  • Die Betreuung des Vertrages wäre im Anschluss an eine Außenstelle des Geschäftsversicherers übergegangen, welche ebenfalls Beratungspflichten hinsichtlich der Höhe des Versicherungswertes gehabt habe, so dass sich der Geschäftsversicherer nicht auf den Unterversicherungseinwand habe berufen dürfen.

  • Hilfsweise berief sich die D&O-Versicherung darauf, dass der Geschäftsführer die ihm obliegenden Pflichten vorsätzlich verletzt habe, mit der Begründung, dass auf eine solche innere Haltung bei einer objektiven Verletzung elementarer beruflicher Pflichten grundsätzlich geschlossen werden könne.

  • Letztendlich berief sie sich auf eine Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung, da bei Vertragsschluss bewusst wahrheitswidrig der gefahrerhöhende Umstand verschwiegen worden sei, dass dem Geschäftsführer der Umfang bestehender Versicherungen und die damit erhöhten Haftungsrisiken nicht bekannt gewesen wäre.

Sie erkennen bereits, den fantasievollen Argumenten der Anwälte der D&O-Versicherung war hier kaum eine Grenze gesetzt. Geholfen hat es nicht.

Das Urteil

Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung, ebenso wie das erstinstanzliche Landgericht Kiel, der Klage gegen den D&O-Versicherer stattgegeben. Die Begründung enthält einige interessante Aspekte, die für die gesamte Vermittlerschaft von Bedeutung sind.

Das Gericht stellt in seinem Urteil heraus, dass es zu den Berufspflichten eines Geschäftsführers gehört, „für eine genügende Versicherung des Betriebsvermögens zu sorgen.“ Ein Geschäftsführer habe sich, „zur Vermeidung einer möglichen Unterversicherung auch darum zu besorgen, dass die Versicherungssumme bei der Inhalts- und Betriebsunterbrechungsversicherung dem realen Anlagevermögen der Klägerin (Bäckerei) adäquat wäre.“

Weil es sich bei der Inhalts- und Betriebsunterbrechungsversicherung nicht um eine Versicherung zum gleitenden Neuwert gehandelt habe, bestand die Pflicht, die ausreichende Versicherungssumme regelmäßig zu prüfen und an die realen Verhältnisse anzupassen.

Einmaliger Maklerkontakt enthaftet nicht

Der Geschäftsführer konnte sich auch nicht darauf berufen, dass der Vertrag ursprünglich durch einen Makler eingedeckt worden sei, da die Zusammenarbeit mit dem Makler bereits etwa 18 Jahre vor dem Brand beendet worden sei.

Versicherer muss nicht selbst aktiv auf den Kunden zugehen

Das Gericht wies eine (Mit)Verantwortung des Geschäftsinhaltsversicherers für die Unterversicherung zurück. Hierzu führt es aus: „Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VVG besteht nach Vertragsschluss während der Dauer des Vertragsverhältnisses eine Verpflichtung des Versicherers zur Beratung des Versicherungsnehmers (nur) soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist. Dem steht hier aber schon entgegen, dass es – auch nach der VVG-Reform – grundsätzlich die Sache des Versicherungsnehmers ist, seinen Versicherungsbedarf selbst zu ermitteln und das zu versichernde Risiko abzuschätzen. Anders ist es nur, wenn der Versicherungsnehmer um Hilfe bei der Feststellung des Versicherungsbedarf bittet…. Allein der Umstand, dass bei näherem Hinsehen freilich auch die Agentur auf den Gedanken hätte kommen können, dass die zur Jahrtausendwende bestimmte Versicherungssumme womöglich den realen Anlagevermögen, über das sie nichts wusste und auch nichts wissen musste, nicht mehr adäquat sein könnte, begründet ihre bzw. der Geschäftsinhaltsversicherung (Mit-)Haftung nicht.“

Arglist Argument nicht nachvollziehbar

Hinsichtlich der nachgeschobenen Anfechtung des D&O-Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung, geht das Urteil am härtesten mit der Argumentation der Anwälte der D&O-Versicherung „ins Gericht“.

Hier heißt es: „Insoweit gelingt der Beklagten schon die Formulierung eines Vorwurfs nicht wirklich. Was damit gemeint sein soll, dass die Bäckerei hätte offenbaren sollen, dass ihrem Geschäftsführer „der Umfang von etwaig bestehenden Versicherungen und damit erhöhten Haftungsrisiken nicht bekannt“ gewesen sei, erschließt sich nicht. Ein besonderer tatsächlicher Umstand, den ein Versicherungsnehmer benennen könnte, wird damit nicht nachvollziehbar dargetan… Es bestand kein Anlass dafür, ungefragt darauf hinzuweisen, dass der Geschäftsführer – natürlich – kein Fachmann für Versicherungsfragen war. Das ihm nicht bewusst war, dass er für eine Überprüfung dieser Summe im Zeitverlauf hätte sorgen müssen, musste und konnte er schon deshalb ungefragt nicht offenbaren, weil er das – offensichtlich übersehen hatte. Gerade im Hinblick auf derartige unerkannte Risiken und daraus resultierende – wie ausgeführt: lediglich fahrlässige – Pflichtverletzungen in einem eher randständigen Bereich seiner Geschäftsführertätigkeit sollte die D&O-Versicherung abgeschlossen werden, und diese würde sinnlos, wenn sich der Versicherer seiner Eintrittspflicht entziehen könnte, weil ein Versicherungsnehmer nicht bezüglich aller denkbaren Haftungsrisiken zum Umfang seiner Kenntnisse und Vorkehrungen ungefragt Angaben gemacht hat. Und entsprechend konnte, was wiederum den Vorwurf der Arglist angeht, auch der Geschäftsführer unmöglich davon ausgehen, dass er mit einem diesbezüglichen Schweigen die Entscheidung des Versicherers beeinflussen würde, deren Aufgabe von Gesetzes wegen nun einmal ist, ihr bedeutsam erscheinende Gefahrumstände selbst zu erfragen.“

Gelten die Pflichten nur für die Anpassung bestehender Versicherungen?

Der Gesetzgeber hat die Pflichten von Geschäftsleitern zuletzt im neuen StaRuG nochmals postuliert. Hier heißt es in § 1 Abs. 1:

„Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin.“

Die Risikovorsorgepflichten der Geschäftsleiter sind daher nicht auf bestehende Versicherungen beschränkt, sondern erfassen auch neu hinzugekommene Risiken, wie etwa die von Cyber-Attacken.

Was muss ein Fremdgeschäftsführer tun, dessen Eigentümer am Versicherungsschutz sparen?

Ein Geschäftsführer der, auch mit Unterstützung seines Versicherungsvermittlers, eine Deckungslücke oder Unterversicherung erkennt, bei dem die Eigentümer des Unternehmens aber - häufig aus Kostengründen - den Abschluss einer Versicherung scheuen, muss eine solche Entscheidung dokumentieren. Dies geschieht am besten im Protokoll einer Gesellschafterversammlung. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft sollte hier zumindest den Aufsichtsrat informieren und einen entsprechenden Aufsichtsratsbeschluss herbeiführen.

Abschließend ein Wort zur Rolle des D&O Versicherers in diesem Prozess

Das Regulierungs- und Prozessverhalten von Versicherern sollte häufiger zur Chefsache gemacht werden. Versicherer müssen darauf achten, dass sie nicht durch ihr Verhalten im Schadenfall mühsam gewonnene Marktanteile verlieren und so sprichwörtlich mit dem Hintern das einreißen, was vorn der Vertrieb aufgebaut hat.

Das Prozessverhalten des Versicherers, der in diesem Verfahren von einer der renommiertesten deutschen Kanzleien im Versicherungsrecht vertreten wurde, ist hierfür ein exemplarisches Beispiel.

Nachdem das Gericht erkennen ließ, dass es hier trotz aller Argumente der Versicherungsanwälte von einer Pflichtverletzung des Geschäftsführers ausgehen würde, mutierten die Anwälte zu Winkeladvokaten und trugen nunmehr vor, dass es sich in diesem Fall ja um eine vorsätzliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers gehandelt haben müsse, für die der Versicherer ebenfalls nicht hafte bzw. um eine arglistige Täuschung des Versicherers bei Abschluss des D&O Vertrages.

Es verwundert nicht, dass dieses Argument die Richter wenig überzeugt hat.

Nach Außen entsteht hier der fatale Eindruck, dass der Versicherer in letzter Konsequenz immer bereit ist, die versicherte Person im Regen stehen zu lassen. Wer damit wirbt: „Bleiben Sie gelassen auch im Schadenfall. Ihr persönlicher …. Jurist steht Ihnen zur Seite.“ Sollte nicht bei einem solch plumpen Versuch erwischt werden, sich in die Büsche zu schlagen.

Makler, denen ein solches Regulierungsverhalten eines der Spezialversicherer in der D&O Versicherung bekannt wird, müssten eigentlich zu dem Ergebnis kommen, ihren Ansprechpartnern einen Versicherungswechsel zu empfehlen. 

Abschluss einer D&O Versicherung weiterhin dringend zu empfehlen

Trotz des fragwürdigen Prozessverhaltens des betroffenen Versicherers zeigt die Entscheidung deutlich Sinn und Zweck einer D&O-Versicherung auf. Ohne Versicherungsschutz hätte der Geschäftsführer mit seinem privaten Vermögen gehaftet. Zudem war der Geschäftsführer durch die Abtretung seiner Ansprüche an die Gesellschaft auch vor einem Prozess gegen ihn geschützt, da das OLG bestätigt hat, dass mit der Abtretung der Freistellungsansprüche aus der D&O-Versicherung die Gesellschaft so lange verpflichtet ist, nicht gegen den Geschäftsführer vorzugehen, wie die Möglichkeit besteht, von dem Versicherer Ersatz des Schadens zu erhalten.

Auch dies sollte für Vermittler ein Beratungsansatz in ihrer noch nicht versicherten Kundschaft sein.