ETF-Interview: „Für viele Selbstentscheider sind Fonds keine Option mehr“
Was Sie erfahren werden:
Was der Trend zu Selbstentscheidern auf sich hat
Wie der Finanzvertrieb sich verändern wird
Strategien aktiver ETFs
procontra: Kurz vor der Weihnachtspause haben Sie eine Partnerschaft mit Scalable Capital für die Vermarktung eines globalen ETF angekündigt. Was ist der Hintergrund?
Simon Klein: ETFs sind ein idealer Baustein für viele Anleger. Hier sprechen wir oft von „Selbstentscheidern“, also von besonders digital affinen Menschen. Mit ihren Plattformen ist Scalable der richtige Partner, um diese Kunden zu erreichen. Für Scalable haben wir einen ETF auf globale Aktien entwickelt. Das Besondere an dem ETF ist die hybride Replikation, d.h. die Kombination der direkten Abbildung einiger Aktienmärkte mit dem Einsatz von Swaps für andere Märkte. Der Produktstart war erfolgreich; wir haben während der ruhigen Weihnachtszeit 50 Millionen Euro von Anlegern damit eingesammelt.
Michael Mohr: Diese Kombination gibt dem ETF die Möglichkeit, unter Umständen den Leitindex MSCI All Country World zu schlagen. Denn: Bei der direkten Abbildung können Sie durch die Wertpapierleihe Zusatzerträge erwirtschaften und bei einer Swap-basierten Handhabung gibt es bestimmte Marktgegebenheiten, die dazu führen, dass Sie eine bessere Performance erzielen können als der entsprechende Markt. Mit dem Produkt haben wir versucht, die besten Eigenschaften von beiden Methoden zu kombinieren.
procontra: Woran liegt es, dass es immer mehr Selbstentscheider gibt und weniger Kunden, die eine Investmentlösung in einer Bankfiliale suchen?
Mohr: Zu den neuen Selbstentscheidern gehört zum Beispiel mein Bruder. Er interessiert sich nicht sonderlich für Finanzen, weiß aber, dass es klug ist, mit Aktien zu sparen. Er weiß auch, dass ETFs günstiger sind als Fonds und von daher erspart er sich den Gang zu der Bankfiliale, wo er in der Regel eine Fondsberatung bekäme. Doch wenn er eine Suche im Internet oder bei einem gewöhnlichen Online-Broker macht, kommen verschiedene Aktien-ETFs raus. Da weiß mein Bruder nicht, welchen er nehmen sollte. Da kann ein Robo-Advisor wirklich helfen, wenn Interessenten ihre Risikotoleranz und den Anlagehorizont angeben. Das reduziert die Komplexität der Anlageentscheidung enorm.
Klein: Für viele Selbstentscheider sind klassische Fonds eher keine Option mehr. Für sie sind ETFs aufgrund der hohen Transparenz, der leichten Handelbarkeit und der Liquidität das Mittel der Wahl. Hier geht es nicht unbedingt darum, ob aktiv oder passiv mehr Vorteile hat, sondern um die beliebte „Hülle“ ETF mit den genannten Vorteilen.
Strategien, um Alpha zu generieren sind bei vielen Selbstentscheidern erst einmal zweitrangig.Simon Klein, Globaler Vertriebsleiter, DWS
procontra: Wie kann das denn sein, wenn es Investmentfonds gibt, die nach Kosten Outperformance bieten…
Klein: ETFs sind oft weniger komplex. Viele Selbstentscheider bauen erst einmal eine für sie passende Allokation. Hier steht dann die Marktperformance im Vordergrund. Strategien, um Alpha zu generieren sind bei vielen Selbstentscheidern erst einmal zweitrangig. Wenn die Allokation steht, können neben ETFs aber auch aktive Strategien in den Fokus rücken.
Mohr: Ihre Haltung kann man auch verstehen, wenn man sich die Daten quer über aktive Fondsprodukte anschaut. Hier stellt man fest, dass der aktive Teil, der also weg von der Benchmark ist, oft nur im einstelligen Prozentbereich liegt. Dieses weitgehende Klammern an der Benchmark macht es für die entsprechenden aktiven Fonds sicherlich schwer, eine Outperformance zu liefern.
procontra: Haben aktive Fonds keine Zukunft mehr?
Mohr: Natürlich haben die Produkte, die Alpha liefern, eine Zukunft. Es gibt auch viele aktive Manager, die einen sehr guten Track Record haben. Angesichts des Benchmark-Klammerns und der Tatsache, dass Leitindizes wie der S&P 500, MSCI World oder der Dax so viel Liquidität bekommen, halte ich es persönlich für sehr schwer, Outperformance nach Kosten zu liefern. Aktives Fondsmanagement eignet sich eher für weniger liquide Märkte, wie z.B. Nebenwerte.
procontra: Trotzdem: Ist es für den Bankvertrieb nicht problematisch, dass sich immer mehr Leute auf das Internet verlassen, um ihre Ersparnisse zu investieren?
Klein: Zunächst müssen wir festhalten, dass in Europa der Fondsabsatz immer noch dominiert. Auf der Retailseite sind rund 80 Prozent der Assets in Fonds investiert und 20 Prozent in ETFs. Wir gehen aber davon aus, dass das Geschäft mit ETFs weiter boomt, sodass bis 2028 das Verhältnis vielleicht 60-40 zu Gunsten von Fonds sein wird. Mit Blick auf den Boom wissen die Banken, dass sie perspektivisch ihr Geschäftsmodell anpassen müssen, was sie teilweise auch schon tun. Hier sehen wir Lösungen weg vom Produktvertrieb und hin zur Vermögensverwaltung für die Kunden. Das heißt, dass sie künftig eher eine Anlagelösung aus ETFs oder Fonds anbieten und dafür eine Service-Gebühr verlangen werden.
Mohr: Das heißt auch nicht, dass Banken und ihre Berater weniger an den Kunden verdienen werden. Die Kosten werden einfach anders ausgewiesen. Fest steht jedenfalls, dass zum Beispiel Ausgabeaufschläge und Retrozessionen an Bedeutung verlieren werden. Die Tatsache, dass wir mit Scalable zusammenarbeiten, ist nicht exklusiv. Wir haben weitere große Anlageberater, die unsere Produkte einsetzen wollen. Bislang sind deutsche Banken allerdings nicht bereit, uns als ETF-Produktpartner im breiten Privatkundensegment auch für kleinere Anlagebeträge zu engagieren.
Bislang sind deutsche Banken nicht bereit, uns als ETF-Produktpartner im Privatkundensegment auch für kleinere Anlagebeträge zu engagierenMichael Mohr, Globaler Leiter für passive Produkte, DWS
procontra: Die Banken könnten Ihnen entgegnen, die DWS kannibalisiert ihre eigenen Produkte…
Mohr: Die Gefahr sehe ich nicht. Unsere ETFs werden von unseren eigenen Fondsmanagern in deren Fonds gekauft. Ein ein Beispiel: Vor ein paar Jahren haben wir die Wachstumsthemen Künstliche Intelligenz und Big Data in einem Fonds und in einem ETF abgebildet. Beide Produkte sind seitdem sehr erfolgreich, weil sie auf unterschiedlichen Vertriebskanälen laufen und damit nichts voneinander wegnehmen. Das eine Produkt ist für Selbstentscheider und das andere ist für das immer noch starke Fondsgeschäft.
procontra: Sie haben eben von einem „aktiven ETF“ gesprochen. Wie kann ein passives Produkt „aktiv“ sein?
Mohr: Bei passiven ETFs habe ich einen Index und bei den neuen, aktiven ETFs habe ich einen Investmentprozess. Und er kann das Gleiche sein wie bei aktiven Fonds auch: Es gibt Analysten und Portfoliomanager, die eine Aktienselektion machen. Dabei werden bei aktiven ETFs oft quantitative Modelle eingesetzt, um den Investmentprozess weniger arbeitsintensiv und damit kostengünstiger zu machen. Es kann auch sinnvoll sein, aktive ETFs zu nutzen für Themen wie Nebenwerte. Aktive ETFs sind in der Regel etwas günstiger als Fonds und werden naturgemäß an der Börse gehandelt. Fondsanteile können zwar auch an der Börse gehandelt werden, nur die Differenz zwischen dem Briefkurs und dem Geldkurs liegt oft sehr weit auseinander. Die Liquidität ist also nicht gegeben.
Klein: Ein weiteres Beispiel für eine aktive ETF-Strategie wäre etwa die Bündelung von 20 Aktien, die nach Einschätzung von Analysten den breiten Markt outperformen dürften. Diese könnten wir in einen aktiven ETF bündeln und z.B. über Online-Broker anbieten. Auch ein Dachfondsmanager könnte sagen, statt den MSCI World zu kaufen, nehme ich einen aktiven ETF mit einer quantitativen Strategie und erziele ggf. eine geringe, aber systematische Outperformance nach Kosten.